Der Krebs, an dem Demokratie leidet

Wie das um sich greifende Schwarz-Weiß-Denken die Demokratie gefährdet: Ein Plädoyer für die Meinungsvielfalt.

Die USA haben gewählt und schon wieder wird nach einem überraschenden Wahlausgang primär darüber gerätselt, wer denn am Wahlausgang schuld sei: Für die Linken sind es die dummen rechten Männer weißer Hautfarbe; für die Rechten die linken abgehobenen Eliten. Und schon gibt es eine Kategorisierung mit ideologisch bequemen Antworten.

Dieses Schwarz-Weiß-Denken ist mittlerweile der Krebs, an dem unsere Demokratie leidet. Immer stärker wird gegeneinander statt miteinander geredet, werden Wahlkämpfe mit Angst statt mit Hoffnung geführt. Das Verhindern, Vernadern, Verächtlichmachen ersetzt das Vertrauen in die Kraft der eigenen Argumente.

Die eiskalte Hillary Clinton gegen den verrückten Donald Trump; der kommunistische Antidemokrat Alexander Van der Bellen gegen den rechtsextremen Norbert Hetzer Hofer. Es ist nicht verwunderlich, dass sich die Wähler entweder abwenden oder immer stärker radikalisiert werden. Vorurteile sind die Vernunft der Narren, sagte schon Voltaire.

Das bedeutet nicht, dass jegliche Kritik unberechtigt ist. Wenn laut „Economist“ rund 70 Prozent der US-Printmedien Clinton unterstützten und nur ein Prozent Trump, dann wird ein großer Teil der Bevölkerung dies – höflich formuliert – als nicht ausgewogen empfinden, sich anderen Informationsquellen zuwenden und dort in selbstbestätigenden Meinungsblasen gefangen sein.

Unterminiertes Fundament

Wenn Truck Driver der häufigste Beruf in den USA ist, dann ist es im Wissen um die kommende Automatisierung absurd, diese Ängste als Quengelei von Verlierern abzustempeln. Genauso abzulehnen ist es aber, unser demokratisches System und seine gewählten Vertreter ständig der Lächerlichkeit auszusetzen, grundsätzlich das dümmste Politikerfoto auszuwählen oder pauschal dauernd die Unfähigkeit der Regierenden zu trommeln. Wenn das Fundament aus Wertschätzung und Meinungsfreiheit ständig unterminiert wird, dann wird das darauf stehende Haus der Demokratie immer einsturzgefährdeter. Das aber will bis auf einen kleinen, aber gefährlichen Bodensatz wohl niemand.

Die gefühlte Realität zählt

Wir brauchen eine Rückbesinnung auf die Lehren aus der Ersten Republik: Dass Demokratie bei allen Gegensätzen ein Miteinander braucht; dass Blockade, Stillstand und Eskalation der Gemeinschaft nicht nutzen; dass die Grenze der Meinungsfreiheit in einer liberalen Gesellschaft allein die Verfassung ist, auch wenn manche Meinungen einen moralisch anwidern; dass politische Überzeugungen, die primär mit Feindbildern gearbeitet haben, Millionen Tote verantworten; dass es nicht reicht, arrogant stolz darauf zu sein, die Ängste und Sorgen der Wähler anzuhören.

Solange nicht verstanden wird, dass ihre persönliche gefühlte Realität für die Mehrheit der Bürger wahlentscheidend ist und nicht die veröffentlichte, wird die Unzufriedenheit steigen.

Es kann zwar auch nicht die Aufgabe eines Politikers sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann nur das Populäre zu tun. „Aufgabe des Politikers ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen“, wie Walter Scheel treffend formulierte. Aber dauerhaft gegen die Bevölkerungsmehrheit zu agieren, endet in einer Demokratie meistens darin, dass sich die Wähler andere Vertreter suchen. Es ist nämlich, frei nach Karl Popper, der größte Vorteil der offenen Demokratie, dass man in ihr die Herrschenden auswechseln kann.

P.S. Auch der Autor dieser Zeilen ist sich völlig bewusst, dass er sich der von ihm so kritisierten vereinfachenden Schubladisierung nicht entziehen konnte.

Heimo Lepuschitz war Pressesprecher von FPÖ-Parteiobfrau Ursula Haubner und später des BZÖ. Heute akademischer Kommunikations- und Politikberater.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2016)

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