Zerschlug ein Buch die "Brüderlichkeit zweier Genies"?

Facettenreiche Männerfreundschaft: Der Maler Cézanne (Guillaume Gallienne) und Émile Zola (Guillaume Canet) im Film ''Meine Zeit mit Cézanne''.
Facettenreiche Männerfreundschaft: Der Maler Cézanne (Guillaume Gallienne) und Émile Zola (Guillaume Canet) im Film ''Meine Zeit mit Cézanne''. (c) Filmladen
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Der Film "Meine Zeit mit Cézanne" kommt heute in die Kinos. Er schildert die Freundschaft von Paul Cézanne und Émile Zola. Die "Presse" blickt hinter die Kulissen - auf Geldsorgen, Nacktbaden und ein zerrissenes Gemälde.

„Seitdem du Aix verlassen hast, mein Lieber, betrübt mich ein düsterer Kummer; ich lüge wahrlich nicht. Ich erkenne mich selbst nicht mehr, ich bin antriebslos, dumm und träge.“ Es war der 9. April 1858, als der angehende Maler Paul Cézanne diese Zeilen schrieb und von den glücklichen Sommertagen in Südfrankreich träumte. Es sind Spaziergänge, Jagdausflüge, das Diskutieren über Literatur, das Entwerfen kurioser Verse und das nackte Baden im Fluss, an das sich der 19-Jährige erinnerte. Und das er bald zu wiederholen gedachte – gemeinsam mit seinem Schulfreund Émile Zola. Die „Unzertrennlichen“ wurden die beiden (und ihr Klassenkamerad Jean-Baptistin Baille) schon in der Schule genannt. Nun aber trennten sie hunderte Kilometer: Der um ein Jahr jüngere Zola war mit seiner Mutter nach Paris gezogen, lebte dort in ärmlichen Verhältnissen und bekniete Cézanne, ihm nachzukommen. Der Ältere fürchtete sich indes vor seiner Baccalauréats-Prüfung, kritzelte Zeichnungen aufs Papier und träumte von Frauen, die er nie treffen sollte.

Eine Brieffreundschaft hatte ihren Anfang genommen, die fast drei Jahrzehnte, zwei Ehen, Geldsorgen, Affären, Verhaftungen, Streitigkeiten, Ruhm und (beinahe) ein umstrittenes Buch überdauern sollte. Sie begann überschwänglich: „Carissime Zola, Salve“, begrüßt da der Sohn eines Huthändlers, der Jurist werden soll („Oh weh! Ich schlug des Rechts verwinkelten Pfad ein“), seinen Freund. „Mein Gott, armer Cézanne“, gibt der angehende Autor, der zweimal durch die Reifeprüfung fällt („Ich kann nicht einmal gutes Französisch sprechen; ich weiß rein gar nichts“) und notgedrungen als Schreiber im Zollamt anheuert, zurück. Er philosophiert: „Das Leben ist eine Kugel, die nicht immer dorthin rollt, wohin man sie lenken möchte.“ Und träumt: „Ich hatte neulich einen Traum. Ich hatte ein schönes Buch geschrieben, ein herrliches Buch, das du mit schönen, herrlichen Zeichnungen versehen hattest. Unsere beiden Namen leuchteten auf dem Titelblatt in Goldbuchstaben vereint, und in dieser Brüderlichkeit der Genies gingen wir unzertrennlich in die Nachwelt ein.“

Vom Ehrgeiz gepackt, von Zweifeln gequält

Zunächst aber kam das Scheitern: Cézanne brach 1861 sein Jusstudium ab und ertrotzte von seinem Vater einen Parisaufenthalt. Dort wollte er an der École des Beaux-Arts lernen und berühmt werden. Doch gleich mehrmals scheiterte er an der Aufnahmsprüfung, lernte stattdessen im „freien“ Atelier von Père Suisse, fand einen Unterstützer im Farbenhändler Père Tanguy und begann unter anderem ein Porträt von Zola zu zeichnen, das ihm dermaßen missfiel, dass er es eigenhändig zerstörte. Auch seine übrigen Werke genügten seinen Ansprüchen nicht. Das sollte so bleiben. Noch in seinem Todesjahr 1906 sollte er betrübt notieren: „Die Natur hab' ich kopieren wollen; es gelang mir nicht.“ Schließlich zog er nach Aix zurück, pendelte ab und an nach Paris und schrieb wieder Briefe an Zola, in denen er über das immer schlechter werdende Verhältnis zu seinem Vater klagt, das seinen Tiefpunkt erreicht, als letzterer erfährt, dass Cézanne schon (unehliche) Frau und Sohn hat.

Zola hingegen war vom Ehrgeiz gepackt. Penibel teilte der Sohn eines (früh verstorbenen) dalmatinischen Ingenieurs seinen Tagesablauf ein, der schon um 7 Uhr früh begann. Zunächst hielt er sich als Angestellter in der Werbeabteilung des Verlagshauses Hachette und mit schlecht bezahlten Kunstkritiken in Zeitschriften über Wasser, bis ihm mit dem Roman über die berechnende Mörderin Thérèse Raquin sein erster großer Erfolg gelang. 1864 veröffentlichte er erste Erzählungen, schon zwei Jahre später konnte er von seinen Einkünften leben – und mit seiner Freundin Éléonore-Alexandrine Meley, einen Haushalt gründen (die Hochzeit folgte erst im Mai 1870 , Cézanne wurde einer der Trauzeugen) – eine Verbindung, über die bis heute spekuliert wird. So hält sich die Legende, dass sie ein Malermodell und erst mit Cézanne zusammen war, bevor sie dieser Zola zuführte. Bestätigt ist dies nicht, umstritten allemal.

In den Jahren zunehmenden Ruhms machte es sich Zola außerdem zur Gewohnheit, Cézanne seine literarischen Werke als Lektüre zuzusenden (sowie zeitweise auch Geld). Der Maler las sie fleißig. „Ich danke dir herzlich dafür, dass du mir dein letztes Buch geschickt hast, und für die Widmung“, schrieb er. Allerdings: Die Freundschaft war abgekühlt, die Formulierungen in den Briefen neutraler bis kühl. Zwar warb Zola häufig für Cézannes Werke, reißenden Absatz fanden sie jedoch bei weitem nicht.

"Ich verlor die Lust, ihn zu sehen"

Schließlich brach 1886 an – und es kam zur Veröffentlichung von „L'Oevre“ (dt. „Das Werk“; einer der Romane aus dem Zyklus „Les Rougon-Macquart“). Die Protagonisten: der Maler Claude Lantier und der Schriftsteller Pierre Sandroz, zwei Jugendfreunde. Der eine, der Autor nämlich, erfolgreich, der andere, der Maler, so von Misserfolgen geplagt, dass er letztlich Selbstmord begeht. Autobiografisches ist unverkennbar: Die Freunde gedenken in ausschweifenden Reden ihrer gemeinsamen Jahre am Land, leben in Paris, haben Geldsorgen, treffen Frauen und geraten teils heftig aneinander. Während der Autor zum Starschreiber avanciert, taumelt der Maler von einem Misserfolg in den nächsten Abgrund. Freunde Zolas, darunter Claude Monet und Antoine Guillemet, reagierten verstört auf die Charakterisierungen. Und Cézanne?

Seine Reaktion ist nicht restlos geklärt: Einerseits soll er laut den Erinnerungen Emile Bernards gesagt haben: „So kam es, dass sein Roman L'Oeuvre, in dem er mich zu schildern behauptet hat, nur eine unerhörte Entstellung und ganz und gar eine Lüge zu seinem Ruhm ist.- (…) Zola selbst wurde unerträglich, je berühmter er wurde, und es schien mir, er empfange mich nur noch aus gnädiger Höflichkeit. Das ging so weit, dass ich die Lust verlor, ihn zu sehen.“ Geht es andererseits nach dem Autor Joachim Gasquet, so hätte Cézanne sehr wohl zwischen Fakten und Fiktion unterschieden und Zola nach wie vor als Freund verehrt. Auch Dino Heicker, der die Briefe zwischen Zola und Cézanne im Vorjahr erstmals auf Deutsch herausbrachte, glaubt nur an eine Lockerung, nicht aber an einen Riss der Bande zwischen den beiden: Immerhin, sei ein (der nach jetzigem Stand letzte) Brief vom 28. November 1887 erhalten, in dem Cézanne Zola für dessen neuestes Buch dankt und einen Besuch in Aussicht stellt.

"Französische Nationalgüter" auf der Leinwand

Sehen sollten sich die beiden aber nie mehr: Während Zola nach seinem berühmten Artikel „J'accuse“, in dem er für den zu Unrecht wegen Landesverrats verurteilten Leutnant Alfred Dreyfus, Partei ergreift, ins Londoner Exil gedrängt wird, verkriecht sich Cézanne in malender Einsamkeit (seine Bilder verkaufen sich etwas besser, seine erste Einzelausstellung bestückt er mit 56 Jahren). Während seine Frau und sein Sohn in Paris oder anderswo weilen, bleibt er in seinem Landhaus, wo ihm eine Zuckerkrankheit zu schaffen machte. Erst, als Zola 1902 an Kohlengasen erstickte, die wegen eines verstopften Kamins nicht aus seinem Schlafzimmer abgezogen waren, soll Cézannes harte Schale Risse bekommen und er bitterlich geweint haben. Vier Jahre später, im Oktober 1906, verstarb auch er.

Nun, 110 Jahre nach dem Tod des Malers, 130 Jahre nach dem angeblich durch ein Buch ausgelösten Bruch zwischen den beiden „französischen Nationalgütern“, verarbeitet die Regisseurin Danièle Thompson die komplizierte Männerfreundschaft in dem Kinofilm „Meine Zeit mit Cézanne“. Letztlich ist damit doch wahr geworden, was Zola einst in einem seiner Briefe erträumt hatte: Die Namen der beiden in großen Lettern vereint – zwar nicht auf einem Buchcover, dafür aber auf einer Riesenleinwand.

Meine Zeit mit Cézanne

In der Filmbiografie „Meine Zeit mit Cézanne“ („Cézanne et moi“) schildert Regisseurin Danièle Thompson die – nicht immer völlig korrekt dargestellte – Freundschaft zwischen dem angehenden Maler Paul Cézanne (gespielt von Guillaume Gallienne) und dem späteren Journalisten und Schriftsteller Émile Zola (Guilllaume Canet). Die beiden lernten sich, tatsächlich, schon in der Schule kennen – und schrieben sich über Jahrzehnte hinweg Briefe, die im Vorjahr erstmals in einer deutschen Übersetzung erschienen sind („Porträt einer Männerfreundschaft“ von Dino Heicker).

Kinostart: 23. Dezember 2016.

Der Trailer zum Film „Meine Zeit mit Cézanne“:

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