Lachen nach dem Weltkrieg

Zwei „Weigel-Bücher“ von Wolfgang Straub und Band 3 der österreichischen Geschichte des Kabaretts im 20. Jahrhundert von Iris Fink und Hans Veigl zeigen, wie sich das Kulturleben nach 1945 zaghaft neu formierte.

Hans Weigel war eine Institution. Er war eine öffentliche Person, die sich selbst institutionalisiert hatte.“ So beginnt der Wiener Germanist Wolfgang Straub seinen Band über den 1991 verstorbenen Autor, Kabaretttexter, Kritiker, energischen Förderer junger Autoren und – besonders – Autorinnen sowie zeitweiligen Brecht-Verhinderer. Da dies aber nicht durch Selbstausrufung allein erfolgen konnte, trägt das Buch den Titel „Die Netzwerke des Hans Weigel“. Denn denen verdankte er seinen langjährigen Einfluss.

Ob der 1908 als Sohn eines jüdischen Fabrikdirektors Geborene schon am Wiener Akademischen Gymnasium seine Fäden zog, ist unbekannt. Nach der Matura studierte er bis 1928 drei Semester Jura in Hamburg und Berlin, begeisterte sich aber für die Literatur und absolvierte diverse Praktika in der Verlagsbranche, etwa 1929/30 beim Wiener Zsolnay Verlag. Zudem liebäugelte er als musikalisch Interessierter mit einem Job im Musikmanagement. Der Wunsch ging in Erfüllung: 1932 erhielt er einen Posten als Produktionsassistent für die Wiener Aufführung der Brecht/Weill-Oper „Mahagonny“ beim Wiener Musikverlag Universal-Edition, wo er nützliche Kontakte knüpfte.

Dazu kamen Arbeiten für die damals blühende Kabarettszene Wiens. Weigel belieferte Kleinkünstbühnen wie den Lieben Augustin, das ABC, die Stachelbeere und die Literatur am Naschmarkt mit Texten. Kollegen waren zum Beispiel Peter Hammerschlag und Jura Soyfer. Spätestens ab 1934 verfasste er auch Texte für Operetten und Musicals sowie Zusatzstrophen für Nestroy-Aufführungen. Für Ralph Benatzkys Operette „Axel an der Himmelstür“ verfasste er die Liedtexte, darunter den Gassenhauer „Gebundene Hände“.

Politisch links angesiedelt, machte er in dieser Zeit auch die Bekanntschaft von Christian Broda, dem SPÖ-Justizminister in der Zweiten Republik, der ihn auch oft anwaltlich vertrat – etwa in der berühmten Ohrfeigenaffäre des Jahres 1956, als ihn die Schauspielerin Käthe Dorsch wegen einer schlechten Kritik in der Öffentlichkeit attackierte. Im anschließenden Prozess waren fast alle aus dem Burgtheater als Zeugen geladen. Da hatten die Wiener wieder ihre Hetz!

Doch den vorgezeichneten Weg als Textknappe der leichten Muse und Musikmanager beendete im März 1938 der Einmarsch der NS-Truppen. Weigel konnte mit seiner Frau, Gertrud, in die Schweiz flüchten, wo die Schauspielerin 1936/37 ein Engagement am Schauspielhaus Zürich vorweisen konnte. Es gelang ihm, mit geflüchteten Künstlern ebenso in Kontakt zu bleiben wie mit den Kollegen der Universal-Edition im besetzten Wien. Arbeitsmöglichkeiten im Exil waren für ihn zwar nicht vorgesehen, doch konnte er inoffiziell arbeiten und unter Pseudonymen publizieren. 1939 thematisierte er seine Situation im Stück „Wartesaal III. Klasse“.

Daneben schrieb er den Roman „Der grüne Stern“, in dem der Provinzler Gottfried Hofer mit Einsatz übler Tricks und Benutzung modernster Manipulationsmöglichkeiten eine quasifaschistische Diktatur errichtet. Der Roman erschien in Fortsetzungen in einer Schweizer Zeitung und wurde von Weigel nach der Rückkehr auch in Österreich als Buch veröffentlicht. Klar, dass er auch Kontakt zu anderen österreichischen Flüchtlingen wie Fritz Hochwälder und Schauspielern in der Schweiz suchte und hielt. Man wartete sehnsüchtig auf das Ende des Kriegs und erwog Möglichkeiten der Remigration.

Zuwendung zur „jungen Literatur“

Für Weigel war es bald so weit. Zwar war die Heimkehr von Künstlern nicht vorrangiges Ziel der Siegermächte, diese waren primär an Politikern interessiert, denen sie vertrauen konnten. Aber Weigel hatte Glück – und gute Bekannte. Wie Otto Pasetti, der in der Wiener „Mahagonny“-Aufführung den Jimmy gespielt hatte und nun als US-Kulturoffizier in Salzburg tätig war. Dort verschaffte er dem über Bregenz und Innsbruck Zugereisten einen Job bei der Kultur- und Propagandaabteilung der US-Army. Weigel bezog ein Büro im Mozarteum und mischte bald beim US-Sender Rot-Weiß-Rot mit, wo er neue Bekanntschaften machte. Pasetti half auch bei Weigels Heimkehr auf einem Militärlastwagen nach Wien, wo er am 26. September 1945 eintraf. Und bald wieder Mitarbeiter bei der Universal-Edition wurde, die in der Kriegszeit unter treuhändischer Verwaltung stand, und beim US-Sender Rot-Weiß-Rot in Wien. Dem diente Weigel das Brecht/Weill-Lehrstück „Lindberghflug“ an. Eine recht unsensible Idee, war Charles Lindbergh doch NS-Sympathisant. Vom Brecht-Boykott war da noch keine Rede.

Bald mischte der Remigrant nach Reaktivierung alter Verbindungen im sich neu formierenden Wiener Kulturleben mit. Mit Rudolf Steinboeck war in der Josefstadt ein alter Kabarettkollege Direktor geworden, der persönliche Freund Alfred Ibach Vize. Weigel wurde Hausautor der Studiobühne des Theaters und brachte dort auch sein Drama „Barrabas“ zur Aufführung. Im Musikverlag hatte er Kontakt zu Elisabeth „Bobbie“ Löcker, die auch für die von Egon Seefehlner im Sommer gegründete Österreichische Kulturvereinigung und deren Monatszeitschrift „Der Turm“ tätig war, in der Weigel regelmäßiger Autor wurde. Das sind nur einige der Kontaktkreise, die Straub penibel und mit ausführlicher Zuhilfenahme der „Netzwerktheorie“ schildert.

In der seit je aufmüpfigen Kleinkunstszene waren zwar viele jüdische Kabarettisten in KZ ermordet worden oder emigriert, doch die Wiederaufnahme des Betriebs ging relativ rasch vonstatten. Schwieriger war die Situation in der Literatur, in der wieder alte Ständestaat-Schreiber – die sich in der NS-Zeit gefällig verhielten – nach Posten und Einfluss gierten. Klar, dass sich Weigel dem jungen Nachwuchs widmete, der schon aufgrund des Alters nicht als NS-Reichskulturkammer-Diener infrage kam. Dass Weigel dies nicht allein tat, sollte zu manchen persönlichen Reibereien führen, die sich oft auchals politisch darstellen ließen.

Manche Konflikte entstanden auch aus Petitessen – so Weigels Zürnen gegen den PEN-Klub und dessen Präsidenten Franz Theodor Csokor. Den hatte Weigel noch inständig um die Rückkehr nach Wien gebeten. Doch weil der Weigel-Freund Erwin Ringel nicht in den PEN aufgenommen wurde, war Weigel auf den PEN zornig und stänkerte im Schatten des Korea-Kriegs: „Es gibt Nordkoreaner, Südkoreaner und Csokoreaner“ – für ihn ein Deckwort für „kommunistische Trittbrettfahrer“ im herrschenden Kalten Krieg.

Ausführlich beschreibt Straub die spätere Gegenposition zu Brecht, die Hinwendung zu jungen Schreibenden wie Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann – die Affäre mit ihr haben beide literarisch verarbeitet –, Jeannie Ebner und anderen. Sowie Weigels Ärger, als seine Schützlinge sich auch dem deutschen Buchmarkt zuwenden wollten. Der Band versteht sich nicht als Biografie, liefert aber interessante Aspekte zur Aktivität des zeitweiligen österreichischen Kulturpapstes. Interessant, dass der Name Erich Fried – mit dessen Umarmung beim Ersten Österreichischen Schriftstellerkongress 1981 im Wiener Rathaus ein alter Konflikt beendet wurde – nur in einer Fußnote auftaucht.

Weitere Spezialuntersuchungen bietet der von Straub edierte Band „Hans Weigel. Kabarettist – Kritiker – Romancier – Literaturmanager“, der Referate einer dem Vielseitigen gewidmeten Tagung präsentiert. Evelyne Polt-Heinzl und Joseph McVeigh behandeln das Verhältnis Hans Weigel/Ingeborg Bachmann, Stefan Maurer und Straub widmen sich dem Kalten Krieger, Doris Neumann-Rieser und der Herausgeber werfen genaue Blicke auf den Roman „Der grüne Stern“, Barbara Nowotny behandelt die Zusammenarbeit von Weigel und Jura Soyfer, Peter Roessler Weigels Theaterschriften und -kritiken, die erst in seriösen, später auch in Boulevardmedien erschienen. Eine Diskussion der Teilnehmenden und Herta Hirnaus' Fotos von Weigels Arbeitszimmer in Maria-Enzersdorf runden den Band ab.

Wenn er auch im folgenden Werk eine wichtige Rolle spielt, heißt es nun: Von Hans Weigel zu Hans Veigl. Und Iris Fink. Denn die beiden Kleinkunsthistoriker vom Grazer Kabarettarchiv haben mit „. . . und Lachen hat seine Zeit“ den dritten Band ihrer Kulturgeschichte des österreichischen Kabaretts – eingebettet in die oft die Bedingungen setzende Zeit- und Weltgeschichte – vorgelegt, der die Ära zwischen Wiederaufbau und Wirtschaftswunder behandelt, also 1945 bis 1970. Sie haben dabei nicht nur Wien im Blick, sondern auch die Landeshauptstädte Innsbruck, Salzburg, Linz und Graz, die teilweise die Wiener Szene befruchteten.

Nach der Befreiung durch die Alliierten war die Stimmung zwiespältig. Einerseits war nach der Oppression der NS-Zeit Kritik nun nicht mehr nur erlaubt, sondern sogar – in Maßen – erwünscht. Dem gegenüber standaber, durch die in Krieg und Verfolgung erlittenen Traumata verständlich, eine Sehnsuchtnach der populären Wiener Unterhaltungskultur der 1920er- und 1930er-Jahre, die zum Vergessen und Verdrängen einlud. Auf Plakaten, Briefmarken, Münzen wurde die Vorstellung des „Immer-Gleichen“ von oben verbreitet: Vertraute Bilder wie Sämann, Zimmermann, Berge, Flüsse, Dome – und wovon unsere Hymne noch wimmelt – sollten der sozialen Harmonisierung einer Österreich-Identität dienen.

Nicht nur Zuschauer im Kalten Krieg

Gleichzeitig herrschte eine geistig-kulturelle Restauration vor mit einer Kontinuität alter, wenngleich etwas angepatzter „Eliten“ und einer zukunftsfrohen Wirtschaft. Dennoch war es durch verfügbares Geld bei gleichzeitigem Gütermangel eine gute Zeit für die Unterhaltung, wenn auch die Haltung dabei oft auf der Strecke blieb.

Mit Marshallplan, Wiederaufbau undWirtschaftswunder saß Österreich bald in der hintersten Etappe des Kalten Kriegs – offiziell neutral, aber westlich gesonnen. Da machten auch die Kabarettisten mit. Selbst der als Linker angesehene Helmut Qualtinger bestand darauf, dass in jedem Programm eine antisowjetische Nummer dabei war. Gerhard Bronner ohnehin. Nur die Kurzposse„Der Herr Karl“ kratzte kräftig an der rasch aufgetragenen Schminke.

Nun ist es in diesem Rahmen nicht möglich, ganz nahe auf alle Geschichten und Gschichterln dieser fast 500 Seiten einzugehen. Aber der – hoffentlich großen – potenziellen Leserschaft sei versichert: Sie sind alle da, wie das reichhaltige Namensregister verrät. Um nur einige von über hundert zu nennen: Der Armin Berg. Der Karl und der Maxi Böhm. Der Rudolf Carl. Der Heinz Conrads. Der Felix Dvorak. Der Farkas. Der Kuno Knöbl. Der Georg Kreisler. Der Hermann Leopoldi. Der Qualtinger, mit und ohne Bronner und Merz. Der Muliar. Der Sowinetz- und der Sobotka-Kurtl. Der Günter Tolar. Der Ernst Waldbrunn. Der Peter Wehle. Der Hugo Wiener. Die Miriam Dreifuss. Die Stella Kadmon. Die Cissy Kraner. Die Lore Krainer. Die Edith Leyrer. Die Louise Martini. Die Elly Naschold. Die Elfriede Ott. Die Eva Pilz. Die Duos Pirron & Knapp, Wondra & Zwickl. Und der Weigel? Ja, der auch. No na! ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2016)

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