Gastkommentar

Die antisemitischen Reflexe in der Volkspartei

Antijüdische Witze und herabwürdigende Rhetorik von ÖVP-nahen Gruppen schockieren, aber kommen nicht von ungefähr.

Der Wechsel eines ÖVP-Bundesparteiobmanns ist eigentlich nichts Aufregendes. 16 Parteiobleute in 72 Jahren – das ergibt 54Monate pro Kopf. Mitterlehner schaffte nur 33 Monate. Die ÖVP ist derzeit zweifelsohne in schlechter Verfasstheit. Es ist zu hoffen, dass die Volkspartei Zeit und Ressourcen für die notwendigen organisationspathologischen Diagnosen findet.

Der Partei und Österreich ist die Gesundung der ÖVP zu wünschen. Allerdings ist derzeit eine Heilung weder in Personen noch in Inhalten irgendwo erkennbar. Diejenigen, die auf die Parteiführung abzielen, haben wohl nicht das notwendige Potenzial – und diejenigen, die Führen könnten, werden gar nicht befragt. Der ÖVP fehlt offenbar die Kraft, sich zum Professionellen zu bekennen.

Viel schockierender sind in diesem Zusammenhang aber die Meldungen über antisemitische Witze und herabwürdigende, zotenhafte Rhetorik im Rahmen von Gedankenaustauschen in sozialen Netzwerken von Aktivistengruppen ÖVP-naher Studentengruppen beziehungsweise der Jungen ÖVP. Hier wurden nicht nur die Grenzen zivilisierten Umgangs überschritten. Aber wir wissen: Wes das Hirn und das Herz voll ist, des geht der Mund über.

Inszenierung vor Inhalt

Unerträglich, was sich da an Einsichten in die Gedankenwelten künftiger Eliten auftut. Es sind Studenteneliten der Juristischen Fakultät, die künftig einmal für die Aufrechterhaltung des Rechts, der Gerechtigkeit und Wahrheit, einer Kultur des konstruktiven Miteinanders mit ihrer juristischen Expertise in verschiedensten Berufsfeldern hilfreich sein sollen.

Die Wiener Stadtzeitung „Falter“ spricht von einem „Super-GAU“, der nicht nur mit der bevorstehenden Hochschülerschaftswahl in Beziehung zu bringen ist, sondern auch als größter Anzunehmender Unfall (GAU) im Rahmen von Nachwuchsorganisationen der christdemokratischen ÖVP zu werten ist.

Sebastian Kurz hat jedenfalls Verantwortung – und er wird Antworten geben müssen: Als Obmann der Jungen ÖVP leitet er jene Teilorganisation der ÖVP, die in diesen Skandal involviert ist. Als Präsident der Politischen Akademie der ÖVP leitet er jene Institution, die politische Bildung zielgerichtet jenen Parteiorganisationen anzubieten hat, die praktische Politik betreiben. Personalentwicklung für Jugendfunktionäre wäre ein Kernbereich dafür.

Oder beschäftigt sich die Politische Akademie hauptsächlich nur noch mit Fragen des optimalen Profilings von Spitzenpolitikern am Beispiel von Justin Trudeau, Emmanuel Macron oder eben Kurz, um so dem Präsidenten eifrig zu Diensten zu sein? Inszenierung vor Inhalt also – und dann wundert sich jemand?

Die Schwere der Vorfälle hat nun Entschuldigungen von vielen Personen vernehmbar gemacht, darunter auch Kurz. Auch wurden involvierte Funktionäre ausgeschlossen. Es wäre aber eine unzulässige Verkürzung – auch der christlichen Verantwortung –, es dabei zu belassen.

Kompromisslose Ursachensuche ist das Mindeste, und schmerzvolles Benennen von Fehlentwicklungen ist erforderlich. Wenn in der Politischen Akademie der ÖVP seit Amtsantritt von Kurz 2015 ein leitender Mitarbeiter bei vollen Bezügen mit Arbeitsverbot belegt ist, dessen einziges Nonkonformitätsmerkmal die Mitgliedschaft in der Israelischen Kultusgemeinschaft ist, dann darf man sich über die Wirkung solcher Vorgangsweisen nicht wundern.

War die Politische Akademie früher eine Stätte der Diversität und religiös-kultureller Vielfalt, so ist die Verkürzung auf ein reaktionär-konservatives Weltverständnis ein Schritt in eine Richtung von Separation und Teilung, samt Herabwürdigung Andersdenkender.

Relativierung der Werte

Das christdemokratische Profil der ÖVP in den ersten 50 Jahren ihres Bestands ist eindeutig und wurde von den handelnden Personen auch gelebt. Was ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten passiert, dass menschenverachtendes Denken, antisemitische Reflexe und mangelhafte Wertschätzung in solchem Umfang in die Handlungskultur der Volkspartei eingeflossen sind? War es die Folgewirkung des schludrigen Umgangs mit der Wahrheit, wie ihn einst Parteiobmann Wolfgang Schüssel mit der berühmten Frühstückslüge von Brüssel praktiziert hat?

Wer Werte bis zur Unkenntlichkeit relativiert, ebnet den Boden für Ungerechtigkeit und Tyrannei. Oder geht es einfach nur um Gedankenlosigkeit und unreflektiertes Übernehmen von Gehörtem? Offenbar fehlt es an der Sensibilität gerade in Ostösterreich. Wenn bei den oberösterreichischen Landtagswahlen 2009 die ÖVP argumentierte: „Es gab eine Wirtschaftskrise, die ging von der ,Ostküste‘ aus, doch wir in Oberösterreich haben alles getan, damit die Folgen beherrschbar waren“, so war sie damit erfolgreich – die schwarz-grüne Koalition ging in die Verlängerung.

Erinnerung an düstere Zeiten

Finanzministerin Maria Fekter traf im September 2011 im Rahmen des Ecofin-Treffens in Breslau die Aussage: „Wir bauen gerade enorme Feindbilder in Europa auf, gegen die Banker, gegen die Reichen, gegen die Vermögenden. So etwas hatten wir schon einmal: Damals war es verbrämt gegen die Juden, aber gemeint waren damals ähnliche Gruppierungen – und es hat zweimal in einem Krieg geendet.“ Damals hat die europäische Öffentlichkeit eine Entschuldigung verlangt und auch bekommen.

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl wiederum zitierte an einem 20. April den Sager von Jean-Claude Juncker, dass der (jüdische) „Ökonom Krugman ka Klugman sei“, und sandte damit klare Codes aus.

Österreichs Regierung der Jahre 2000 und folgende bemühte sich mit großem Einsatz um Wiedergutmachung geschehenen Unrechts – und das mit gewaltigen Steuermitteln. Dieser Weg der Versöhnung war aber nicht in allen Bereichen der Gesellschaft von Gedanken der Versöhnung begleitet.

Wenn man sich an den Diskurs in Intellektuellenkreisen der ÖVP erinnert, wie etwa auf die vom Land Wien forcierte Staatsbürgerschaftszuerkennung an Arie Rath repliziert wurde oder wie grundsätzlich Erfordernisse des jüdisch-christlichen Dialogs adressiert wurden, so fühlt man sich an düstere Zeiten antisemitischer Reflexe zurückerinnert.

Achselzuckende Doppelmoral

Österreich hat einen schwierigen Weg aus der Geschichte. Aber es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, warum gerade das christdemokratische Österreich so große Probleme mit wertschätzendem Umgang mit anderen Kulturen und Begegnung auf Augenhöhe mit der Jüdischen Welt hat.

Die Chats der Studentenfunktionäre sind ein schmerzvoller Stich für jeden überzeugten Demokraten. Achselzuckende Doppelmoral und strukturelle Falschheit gilt es gegen ein bemühtes und akzeptiertes Miteinander auszutauschen, das eigene Erfolge nicht nur auf Kosten der Abwertung des anderen ermöglicht.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Dr. Bernhard Löhri,
(*1953) absolvierte die Wirtschaftsuniversität Wien, wo er von 1975 bis 1977 Vorsitzender der Hochschülerschaft war. Von 1992 bis 1996 war er Direktor der Politischen Akademie der ÖVP, später Berater zahlreicher EU-Behörden – unter anderem im Rahmen von Missionen des Rats auf dem Westbalkan. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2017)

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