Flüchtlingslager-Roman: In einer Stadt – kurz vor dem Zerfall

Aufschlussreich, spannungsarm: Elena Messners Flüchtlingslager-Roman „Transitzone“.

Die literarische Aufarbeitung der Flüchtlingswelle hat schon begonnen. Nach Bodo Kirchhoffs Musternovelle „Widerfahrnis“ ist Elena Messners Roman „In die Transitzone“ zum selben Thema erschienen, wobei sich die Autorin expliziter mit dem Exodus-Phänomen beschäftigt als ihr deutscher Kollege. Die Zeit der Handlung ist nicht verklausuliert. Es ist der Sommer 2015, am Höhepunkt der Einwanderungswelle. Der Ort der Handlung ist anonymisiert, wobei sich der Grund dafür nicht erschließt. Die „Transitzone“ mit dem Namen Makrique befindet sich am Mittelmeer. Die Autorin beschreibt atmosphärisch eine Hafenstadt, in der sich Marseille erkennen lässt.

Die von den Schutz suchenden Afghanen, Afrikanern und Arabern zum Teil devastierte Stadt wird im Hafengebiet vomMilitär abgeriegelt, um weitere Flüchtlings(zu)ströme zu verhindern. Eine internationale Organisation schickt ihren Mitarbeiter Daniel nach Makrique, der die Um- und Zustände beobachten und über sie berichten soll. Während seiner Nachforschungen, bei denen er zuerst nur schwer Kontakt findet, stößt er auf eine Gruppe junger Leute, die als links gelten können. An ihnen kann der Leser verfolgen, wie ziviler Ungehorsam und mehr oder weniger gewaltloser Widerstand organisiert und – gelebt werden. Erstaunlich, wie kompetent die 34-jährige Autorin die Geschehnisse nicht nur beschreibt, sondern gleichzeitig analysiert und vorsichtig kommentiert.

Großmäuler, Arme, Idioten

Neben diesen jungen Menschen tummelnsich in der Hafenstadt in unterschiedlichen Rollen eine promovierte Juristin als Migrationsberaterin, eine Lokalpolitikerin, die mit dem Vizebürgermeister sehr vertraut ist, ein schwarzer Polizist und eine blonde Französin, die nicht nur einen Lkw lenken, sondern auch aus dem Arabischen übersetzen kann. Daneben „Nervensägen und Großmäuler, Arme und Idioten“. Ein buntes Personal, mit dem Elena Messner, die selbst in Marseille lebt und an der dortigen Universität Germanistik unterrichtet, den Ausnahmezustand in einer Art schildert, dass man das Gefühl hat, ein Krieg oder eine andere Auseinandersetzung werde in Kürze ausbrechen. Im Buch heißt es dazu, „es konnten doch nicht alle Zeitungsartikel so stark übertrieben oder gelogen haben, als sie berichteten, dass es hier zuging wie nirgendwo sonst.“ Messner trifftdementsprechend eine Schlussfolgerung: „Ein weiteres Mal in der Geschichte der Stadt wird Makrique zum Schauplatz eines finsteren Dramas!“

Der Roman, den ein politikinteressiertes Publikum jedenfalls lesen sollte, ist höchst aktuell. Früher, in besonders dunklen Zeiten, wurden Menschen zu Nummern, heute werden sie zur Quote, weshalb Politiker über Obergrenzen philosophieren können, vielleicht sogar im Wissen, dass die „Zahl der jährlich Einwandernden – immer noch unter null Komma vier Prozent der europäischen Gesamtbevölkerung“ liegt, wie Messner konstatiert. Die Autorin kann eines nämlich: genau erzählen.

Der Roman liest sich deshalb über weite Strecken wie ein Dossier. Er ist gewissermaßen aus der Perspektive einer Jungakademikerin mit viel Empathie geschrieben. Etwas Wichtiges kann er freilich nicht: Spannung erzeugen. Die Geschichte ist auf hohem Niveau angesiedelt, muss aber ganz ohne Hochdruck auskommen. ■

Elena Messner

In die Transitzone

Roman. 216 S., geb., € 20 (Edition Atelier, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2017)

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