Die erträgliche Leichtigkeit des Schnellseins

Darf man wörtlich nehmen: Den Ferrari 812 Superfast treibt ein 6,5 Liter großer Saugmotor mit maximal 800 PS an. Das soll für bequemes, zügiges Reisen ebenso taugen wie für Ausflüge auf die Rennstrecke.
Darf man wörtlich nehmen: Den Ferrari 812 Superfast treibt ein 6,5 Liter großer Saugmotor mit maximal 800 PS an. Das soll für bequemes, zügiges Reisen ebenso taugen wie für Ausflüge auf die Rennstrecke. (c) LORENZO MARCINNO/Werk
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Angewandte Pulverfasskontrolle: Ferrari dringt mit dem 812 Superfast in neue Dynamiksphären. Die Kunst dabei: ein Auto mit 800 PS zu bauen, das normale Kunden fahren können.

Maranello. Offen und ehrlich: Die Ehrfurcht war groß. Schon der Markennimbus fordert demütiges Herantasten. Ferrari ist eine – womöglich die Heiligengestalt der Automobilbranche. Wir befinden uns im italienischen Maranello, dem Geburtsort des roten Mythos. Es folgt: die Vorstellung des Ferrari 812 Superfast.

Kurze Pause für ein mit der Hand verdecktes Lächeln. Hoffentlich hat's niemand bemerkt. Superfast? Echt jetzt? Ein Blick in die Ferrari-Geschichtsbücher verrät jedoch: Dieser Name wurde nicht nach einer kurzen Testfahrt mit Kindergartenkindern und der anschließenden Urteilsbekundung definiert. Der Beiname charakterisierte in den Sixties schon einmal ein potentes V12-Coupé - also treffend. Kurzum: Der 812 Superfast ist mit 800PS Nennleistung aus einem 6,5 Liter großen Sauger-V12 schon fast in Formel-1-Leistungssphären. Doch muss man ein Sebastian Vettel sein, um diese Kraft sicher verwalten zu können?

Im Cockpit.
Im Cockpit. (c) LORENZO MARCINNO

Fluch und Segen

Schon nach den ersten Metern hinter dem Volant, durch italienische Örtchen flanierend, fällt auf, dass vorerst nichts auffällt. Völlig intuitiv dirigiert man den wunderschön gezeichneten Zweisitzer durch den Berufsverkehr. Das Doppelkupplungsgetriebe verschleift die Gangwechsel bis zur Unmerklichkeit, die elektrische Servolenkung fühlt sich verbindlich, aber komfortabel an. Nur bei etwas mehr Last grollt der Zwölfender. Der große Ferrari rollt anmutig und geschmeidig dahin – eine zweisitzige Luxuslimousine mit besten Manieren. Jetzt 1000 Kilometer fahren? Gern doch – der 812 Superfast versteht sich in erster Linie als GT, als schneller Reisewagen. Aber das ist nur eines seiner schönen Gesichter.

Das Manettino am Lenkrad zeigt nun den Modus „Race“ an, eine geschlungene Landstraße durch das italienische Mittelgebirge liegt vor uns. Ihre beste Zeit scheint schon ein paar Jährchen her zu sein. Langsam tastet man sich an die Kraftentfaltung des monumentalen Riesensaugmotors heran – und stellt fest: Auf der Stelle umbringen möchte er einen schon einmal nicht. Bis in den mittleren Drehzahlbereich bleibt das Aggregat dein Kumpel, die Kraft lässt sich augenblicklich, aber wohldosiert abrufen. Es folgt: eine längere Gerade. Mit lautem Bellen gleicht der Motor die Drehzahl beim Zug am Schaltpaddel an den kleineren Gang an und – Feuer! 7000, 8000 Touren, der Begrenzer setzt erst bei 8900 Umdrehungen ein. Infernalisches Kreischen dringt aus dem Motorraum, die Auspuffanlage trompetet ihr Lied der unerschöpflichen Leistung. Wir erforschen den Vortrieb der vollen 800 PS und – auch sie sind kein Fluch. Selbst über die unebene Fahrbahn bügelt der 812 feinfühlig, das Fahrwerk ruht durch den hohen mechanischen Grip und die linear und harmonisch einsetzende Antriebskraft in sich.

Der 812 Superfast bleibt bei aller Brutalität, die das Datenblatt vermuten lässt, ein Gentleman. Der ruhige Shaolin-Mönch, in dem unbändige Kraft schlummert, die er gezielt einsetzen kann. Einen weiteren Charakterzug des neuen Topmodells lässt uns Ferraris Entwicklungstestfahrer Raffaele de Simone auf der hauseigenen Fiorano-Rennstrecke kennenlernen. Das Manettino wird in den „CT-off“-Modus geklickt, die Reifen sind warm. Raffaele, ein quirlig-sympathischer Mittdreißiger, plaudert locker, als er den 812er im Affentempo den Kurs entlangjagt. „Es hat keinen Sinn, ein Auto mit 800 PS anzubieten, das ein normaler Kunde nicht fahren kann“, sagt er. Viel Zeit sei in die Abstimmung der Traktionskontrolle und der Hinterradlenkung geflossen.

Das merkt man. Raffaele steuert den Wagen im Drift durch eine Kurve, was ihn nicht daran hindert, weiter von der einfachen Fahrbarkeit des stärksten Serien-Ferraris aller Zeiten (außer limitierten Editionen) zu schwärmen. Das Pulverfass mit V12, es ist leicht kontrollierbar.

FERRARI 812 SUPERFAST

Maße: L/B/H: 4657/1971/1276 mm. Radstand: 2720 mm.
Eigengewicht: 1630 kg.

Motor: Zwölfzylinder in V-Bauweise, 65°, 6496 cm3. Max. Leistung: 588 kW (800 PS) bei 8500/min. Max. Drehmoment: 718 Nm bei 7000/min. 0–100 km/h: in 2,9 sec. Vmax: 340 km/h. Hinterradantrieb in Transaxle-Bauweise. Sieben-Gang-Doppelkupplungsgetriebe.

Normverbrauch: 14,9 l/100 km.

Preis: ab 363.195 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2017)

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