Mit Federn, Haut und Haar

Gehören Wissenschaftler in die Politik?

Politwissenschaftler sind keine Garantie für das Gute und Schöne, Intelligenz und Bildung bürgen nicht für Charakter.

Sollten wird jubeln, wenn Wissenschaftler in die Politik gehen? Etwa im Sinn der von Plato zunächst in seiner „Politeia“ geforderten, später abgeschwächten Herrschaft der Philosophen? Auch unter den heutigen Wissenschaftlern finden sich Leute, die mehr über diese Welt wissen und besser logisch denken können als gewöhnliche politische Kandidaten.

Oder dies zumindest von sich glauben, getreu dem Motto „Nein, ich bin kein Klugscheißer, ich weiß wirklich alles besser“.

Zu Zeiten von Trump, Putin und ähnlicher Potentaten mögen Wissenschaftler in der Politik Bremswirkung entfalten, auf dem Weg der „Fassadendemokratien“ in ein autoritäres Zeitalter (Ulrich Mies und Jens Wernicke, ProMedia, 2017). Sie sind unverzichtbar, den „Neuen Bürgerkrieg“ des offenen Europa mit seinen Feinden (Ulrike Guérot, Ullstein Streitschrift, 2017) im Sinn der Aufklärung zu entscheiden.

Aber Politwissenschaftler sind keine Garantie für das Gute und Schöne, denn Intelligenz und Bildung bürgen nicht für Charakter, nicht einmal für Hausverstand. So drängte der aus Ungarn stammende, geniale Mathematiker John von Neumann den US-Präsident Eisenhower dazu, die Sowjets mit der Explosion einer Wasserstoffbombe für immer einzuschüchtern. Gottlob ohne Erfolg.

Historische Beispiele zeigen, dass die Verbindung von Wissenschaft mit Politik unerquicklich enden kann. Autoritär, wie bei den oft hoch gebildeten Monarchen des 18. Jahrhunderts; denn wenn einer alles besser weiß, braucht er die anderen nicht mehr einzubeziehen. Die aktuell-utopische Horrorversion davon wäre die Herrschaft einer allwissenden Maschine, die nach objektiven Kriterien optimale Entscheidungen trifft. Dass Intelligenz und Bildung nicht unbedingt in Humanismus münden, demonstrierten die kambodschanischen Roten Khmer, deren Führer an französischen Unis studierten und dennoch bis 1978 zwei Millionen Menschen grausamst ermorden ließen, pikanterweise v. a. die intellektuellen Eliten.

Schrecklich auch das Wirken des Pseudowissenschaftlers Trofim Lyssenko: Als Günstling Stalins brachte er vielen seiner Kollegen Tod und Verbannung, seinem Land molekularbiologische Rückständigkeit. Harmloser die Anbiederung von Konrad Lorenz an die Nazis; sie führte aber letztlich dazu, dass seine bleibenden wissenschaftlichen Verdienste kaum mehr perzipiert werden; vielmehr erfand man vor allem im englischsprachigen Bereich das Rad neu. Zudem erleidet er noch heute sein Fegefeuer als unfreiwilliger Säulenheiliger der extremen Rechten.

In der modernen Politik geht es vor allem um die Sympathiewerte der Vorsitzenden. Der Parteicharakter schlägt sich allenfalls in sachpolitischen Nuancen nieder. In einem solchen System sind Amokläufe politischer Wissenschaftler nicht zu erwarten. Im Gegenteil, es kann die Allianz zwischen Sachkompetenz und politischem Amt durchaus segensreich sein, wie das Wirken unseres letzten Wissenschaftsministers, Karlheinz Töchterle, zeigt. Dennoch: korrekterweise – und aus gutem Grund – ist es die Rolle des Wissenschaftlers zu beraten, die des Politikers zu entscheiden. Man wird sehen, ob ein bei Türkis quereinsteigender Kollege mehr sein wird als bloße Listenbehübschung, ob er jenes Vor- und Querdenken schaffen wird, das Martin Engelberg leidenschaftlich und zu Recht fordert, um Österreich voranzubringen.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2017)

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