Internationale Pressestimmen: Von ''Wunderwuzzi'' bis ''Brüsseler Kopfschmerzen''
"Kurz' Strategie, der FPÖ gerade beim Thema Zuwanderung und innere Sicherheit das Wasser abzugraben, indem er die Argumente und Lösungsvorschläge der Rechten weitgehend übernahm und lediglich etwas weniger rabiat artikulierte, ist nur bedingt aufgegangen. Denn die FPÖ hat bei dieser Wahl im Vergleich zu 2013 beinahe ebenso so viele Stimmen dazugewonnen wie Kurz mit seiner Neuen Volkspartei. Der vermeintliche "Wunderwuzzi" der Konservativen hat die harte Rechte endgültig salonfähig gemacht. Alle, die in Deutschland offene rechte Flanken mit möglichst rechts rumpelnder Rhetorik schließen möchten, sollten das Wahlergebnis in Österreich deshalb noch einmal gründlich analysieren."
"Der Wahlausgang bedeutet jedoch mehr als bloß einen Wechsel an der Regierungsspitze: In Österreich hat sich eine tektonische Verschiebung ereignet. Das linke politische Lager wurde dezimiert, da auch die Grünen nach einer Parteispaltung beinahe neun Prozent verloren haben und nach gegenwärtigem Stand an der Vierprozenthürde scheiterten und aus dem Parlament fliegen werden - endgültig wird das erst nach der Auszählung aller Briefwahlstimmen am Donnerstag feststehen. (...) Sebastian Kurz hat nicht viel Zeit zu verlieren, mit den Freiheitlichen handelseins zu werden. Nach mehreren Anläufen ist es für deren Parteichef Heinz-Christian Strache höchste Zeit, Regierungsposten für blaue Funktionäre herauszuholen. (...)
In dieser Konstellation wird Österreich wahrscheinlich langsam aus dem europäischen Mainstream driften - obwohl das Land in der zweiten Jahreshälfte 2018 in der EU den Ratsvorsitz übernimmt - und sich vorsichtig den Visegrád-Staaten anbiedern. Denn die Agenda, der Kurz seinen Wahlsieg verdankt, besteht hauptsächlich aus einer restriktiven Flüchtlingspolitik, die sich ganz an dem Kurs der nordöstlichen Nachbarstaaten orientiert. Geschickt hatte der Außenminister seine Machtübernahme in Partei und Regierung zumindest zwei Jahre lang vorbereitet. Und von Anfang an stand dabei fest: Er würde nur die Politik der freiheitlichen Populisten übernehmen müssen, um bei Wahlen mit dem Sieg belohnt zu werden. Für die Volkspartei entpuppte sich das Thema zur Wunderwaffe, der die Genossen nur wenig entgegensetzen konnten. Der künftige Regierungschef wird auch weiter darauf setzen, weil dadurch sein eigentliches Ziel, den sozialdemokratischen Versorgungsstaat zurückzudrängen, überschattet wird und leichter umsetzbar wird."
"Die österreichische Politik ist dabei, nach rechts zu kippen, weniger als ein Jahr, nachdem der Rechtsaußen-Präsident der Freiheitlichen Partei verhindert wurde. Die Partei geht nun als Königsmacher aus den Wahlen vom Sonntag hervor. Obwohl sie derzeit noch um den zweiten Platz hinter dem 31-jährigen Sebastian Kurz der ÖVP kämpft, hat sie es geschafft, großteils die Themen für den Wahlkampf - Migration und Angst vor dem radikalen Islam - zu diktieren, und profitiert vom 'Dirty Campaigning' aus den Reihen der traditionellen Parteien."
"Die Österreicher scheinen dieser jahrelangen Großen Koalition der Sozialdemokraten und Konservativen müde zu sein. Ein Bündnis aus Konservativen und Rechtsaußen ist also möglich. Die beiden Parteien können sich zwar nicht ausstehen, surfen aber auf derselben flüchtlingsfeindlichen Welle - die FPÖ warf (dem Spitzenkandidaten der ÖVP Sebastian) Kurz vor, ihre Wahlkampfthemen kopiert zu haben. Aber am Ende liegen die beiden Parteien mit ihren Positionen oft auf derselben Linie."
"Kurz konnte die Migration, die für viele Österreicher zum Alptraum und Trauma wurde, zum Wahlschlager machen, obwohl er Außenminister in der Zeit war, in der 100.000 Migranten nach Österreich gekommen sind. In einer Regierung, die das weder verhindern wollte noch verhindern konnte. Von der bisherigen Politik hielt er jedoch die Hände weg und übernahm unter dem Motto ́Keinen einzigen Immigranten ́ das Wahlprogramm der extrem-rechten Freiheitlichen".
"Ein 31-jähriger österreichischer Politiker wird laut Hochrechnungen der weltweit jüngste Regierungschef, nachdem er versprach, alle Begünstigungen für Ausländer zu beschränken. Der Konservative, Sebastian Kurz, 31, ist drauf und dran, die Macht zu übernehmen und eine Koalition mit Rechtsaußen einzugehen. Neben seinem Versprechen zu den Kürzungen für Migranten will er die österreichische Bürokratie drastisch abbauen und die EU aus der nationalen Politik fernhalten. Das würde neue Kopfschmerzen für Brüssel bedeuten, während es sich noch mit dem Brexit, dem steigenden Nationalismus in Deutschland, Polen, Ungarn und anderswo quält."
"Er ist erst 31 Jahre alt und schon dabei, eine verrückte Wette zu gewinnen: Der jüngste Kanzler in der Geschichte Österreichs, die jüngste europäische Führungspersönlichkeit und eine sehr jugendliche Figur auf der internationalen Bühne der Macht zu werden. Sebastian Kurz hat am Sonntag die Nationalratswahlen gewonnen, die er selbst im Mai vom Zaun gebrochen hatte. (...) Auch wenn Kurz keine Option ausgeschlossen hat, scheint eine Koalition mit der FPÖ am wahrscheinlichsten."
"Was beim Aufstieg von Kurz besonders ins Auge sticht, ist, dass er die Wahl gewinnen konnte, indem er Binsenweisheiten zum Umgang mit Populisten in den Wind geschlagen hat. Politikberater in ganz Europa warnen gemäßigte Politiker nämlich davor, die Politik und Rhetorik von rechtsextremen Parteien zu kopieren, weil die Wähler lieber beim Original blieben. Kurz, der die fade ÖVP in den vergangenen Monaten nach Belieben umgestaltete, ja sogar die Parteifarbe von schwarz zu einem dezenten türkis änderte, bewies, dass das Klonen von populistischen Positionen unter dem richtigen Anführer zum Erfolg führen kann. Auf diese Weise scheint er die Wähler davon überzeugt zu haben, dass er und seine Partei Proponenten des Wandels sind, obwohl sie seit dem Jahr 1987, dem Jahr nach Kurz' Geburt, durchgehend in der Regierung saßen.
"Der Vorwurf, er hätte den Freiheitlichen das Wahlkampfthema "gestohlen" stimmt: Dem blutjungen Anführer der erneuerten Volkspartei Sebastian Kurz ist es gelungen, mit seiner Anti-Flüchtlingspolitik seine Partei vor dem totalen Desaster zu retten, das ihr laut Umfragen noch vor einem halben Jahr gedroht hatte. Vor den Wahlen klang Kurz fast schon so wie der Anführer der Freiheitlichen, Heinz-Christian Strache. Doch diese Verschiebung betraf nicht nur ihn. Sogar der bisherige sozialdemokratische Kanzler Christian Kurz, den man als überaus flüchtlingsfreundlichen Direktor der österreichischen Eisenbahnen zum "Kanzler der Herzen" ernannt hatte, sprach dieser Tage wie Kurz in ruhigeren Tagen. Jetzt soll noch wer sagen, dass die Flüchtlingswelle keinen Schaden verursacht hat."
"Es fällt ins Auge, dass schon die bisherige rot-schwarze Koalition nach rechts geschielt hat. In den vergangenen Monaten traf sie Entscheidungen, als wären sie vom islamfeindlichen und europaskeptischen Rechtspolitiker Strache diktiert worden. Etwa die Verlängerung der Kontrollen an der Schengen-Binnengrenze, auch jener zu Slowenien, wo teilweise sogar ein Zaun errichtet wurde. Kurz gehört auch zu jenen mit den größten Verdiensten dafür, dass die Balkan-Flüchtlingsroute hermetisch geschlossen wurde. Es stimmt schon, dass Österreich und die Welt nicht untergehen werden, wenn Kurz Strache in seine Regierung aufnehmen wird. Brüssel wird die bittere Pille schlucken und weiterhin Selbstbeschäftigung betreiben, während immer mehr von Europa in Europaphobie und Nationalismus rutscht."
"Die Versprechungen eines Neubeginns haben die erhofften Ergebnisse gebracht. (...) Um eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden, könnten die Konservativen neuerlich mit den Sozialdemokraten koalieren. Aber diese traditionelle Koalition wurde von Sebastian Kurz mehrmals angefeindet und von einer Schmutzkübelkampagne der SPÖ heftig erschüttert. Eine Übereinkunft zwischen der ÖVP und der extremen Rechten gilt als ganz und gar nicht unwahrscheinlich, könnte aber dieselben stürmische Reaktion auslösen, die es auch schon im Jahr 2000 bei dieser Koalitionsvariante gegeben hatte. Schließlich könnten auch SPÖ und FPÖ genug Mandate auf sich vereinen, um eine Mehrheit im Parlament zu bilden, aber die Aussicht auf ein solches Bündnis könnte zu heftigen Spannungen innerhalb der Sozialdemokratischen Partei führen."