Der Arbeiterkammer-Präsident warnt ÖVP und FPÖ davor, die Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern abzuschaffen: "Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet."
Arbeiterkammer-Präsident Rudolf Kaske hat am Donnerstag die schwarz-blauen Koalitionsverhandler vor einer Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern gewarnt. "Wer Wind sät, wird Sturm ernten", sagte Kaske in einer Pressekonferenz. Konkrete Maßnahmen wollte er nicht nennen, betonte aber: "Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet."
Die Verhandler von Volkspartei und Freiheitlichen sollten sich die angedachten Maßnahmen "nochmals gut überlegen und nicht unüberlegt handeln", appellierte der AK-Chef weiter. Vor allem die ÖVP erinnerte Kaske daran, dass sie sich noch vor der Wahl zu den Kammern bekannt habe. Deshalb sollte sie auch jetzt dazu stehen.
"Perfide Strategie"
Auch eine Volksabstimmung zu dieser Frage lehnt Kaske ab. Dieses Instrument wäre für eine Abstimmung über die Kammern nicht geeignet, weil damit alle Österreicher über die AK oder die WKÖ entscheiden würden und nicht nur deren Mitglieder. Eine "perfide Strategie" wäre es für den AK-Präsidenten, wenn man zuerst die Arbeitnehmer mit einer Senkung des AK-Mitgliedsbeitrages schwächen und dann eine Vertrauensabstimmung durchführen würde. Solche Dinge würden "politisch heimgezahlt", warnte Kaske vor "unbedachten Schritten".
Einige Inhalte des schwarz-blauen Regierungsprogramms wurden bereits offiziell präsentiert, andere sind aus Verhandlerkreisen durchgesickert. Ein Überblick. (c) APA
Als eine der ersten Maßnahmen der gemeinsamen Regierungsarbeit planen ÖVP und FPÖ einen nationalen Ausstieg und ein Verbot des Pestizids Glyphosat. In einem Maßnahmenplan sollen die rechtlichen Voraussetzungen für ein nationales Verbot ebenso geklärt werden wie die Verfügbarkeit von Ersatz-Produkten und deren Verwendung und ökologische Auswirkungen. (c) APA
Verschärfungen wird es bei der Mindestsicherung geben. Für Asylberechtigte ist eine "Mindestsicherung light" wie in Ober- und Niederösterreich geplant. Außerdem soll die Sozialleistung für Familien in ganz Österreich einheitlich gedeckelt werden. Eine bestimmte Höchstgrenze nannten die Verhandler noch nicht, kolportiert wird ein Betrag von 1500 Euro pro Familie. Ziel ist eine bundeseinheitliche Regelung - wenn kein Konsens mit den Ländern gefunden wird, will die Regierung einen Rahmen vorgeben. (c) APA
Beim eigentlich für ab Mai 2018 geplanten Rauchverbot in der Gastronomie hat sich die FPÖ durchgesetzt: Die einst von SPÖ und ÖVP beschlossene Regelung wird gekippt. Gäste können daher vorerst weiter in abgetrennten Räumlichkeiten Zigaretten konsumieren. Zugleich wird der Nichtraucherschutz für Jugendliche verstärkt, unter 18-Jährige dürfen künftig nicht mehr im Raucherbereich sitzen. (c) APA
Eine Forderung aus dem ÖVP-Wahlprogramm: Ein steuerlicher Kinderbonus von 1500 Euro pro Jahr wird eingeführt. Details sollen noch ausverhandelt werden. (c) Clemens Fabry
Geeinigt hat man sich auch auf ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr für jene Kinder, die es brauchen - die Entscheidung soll unter anderem auf Grundlage einer Sprachstandfeststellung erfolgen. Für Kinder, die schlecht Deutsch sprechen, ist eine verpflichtende Sprachförderung vorgesehen. Ebenfalls im Elementarpädagogik-Bereich angesiedelt sind die Ziele von höheren Standards bei Bildung und Betreuung, die Sicherstellung des flächendeckenden Ausbaus der Kinderbetreuungseinrichtungen, die Erhöhung der Qualität der Kinderbetreuung (Sprache, Bildung, Werte) sowie verstärkte Kontrollen. (c) Presse
Ab der ersten Klasse Volksschule hat wieder die klassische Skala von 1 (sehr gut) bis 5 (nicht genügend) zu gelten. Verbale Benotungen sind nur noch zusätzlich möglich. Eingeführt werden soll zudem eine "Bildungspflicht": Lesen, Schreiben, Rechnen, Soziale und kreative Kompetenz müssen erfüllt sein, damit man die Schule nach neun Schulstufen abschließen kann. Andernfalls muss die Bildungslaufbahn fortgesetzt werden. Lehrer sollen sich verpflichtend fortbilden müssen und das "grundsätzlich" in den unterrichtsfreien Zeiten. Die entsprechenden Vorgaben im Bildungswesen sind auch einzuhalten. Ansonsten drohen Verlust bzw. Einschränkung von Sozialleistungen.
Im Wirtschaftsbereich wollen ÖVP und FPÖ die unter den Sozialpartnern höchst umstrittene Arbeitszeitflexibilisierung einführen - und die Höchstgrenze der Arbeitszeit auf zwölf Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich anheben. Ein weiterer Kernpunkt: die Entbürokratisierung. Alle neuen Gesetze sollen künftig einem "Bürokratie-Check" unterzogen und bestehende Vorschriften mit dem Ziel einer Reduktion durchforstet werden. Darüber hinaus ist eine Fachkräfteoffensive und die Stärkung der dualen Berufsausbildung geplant. Die Zulassung qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland soll "bedarfsorientiert" gestaltet werden. Arbeitszulassung und Zuwanderungsformen will man künftig klarer trennen. Die Rot-Weiß-Rot-Card soll weiterentwickelt werden.
Das von der FPÖ gewünschte Aus für die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern kommt nicht. Dafür ist eine Reduzierung der Kammerumlage geplant. (c) APA
Heikel war das EU-Kapitel. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat betont, er werde nur eine proeuropäische Regierung angeloben. ÖVP-Chef Sebastian Kurz wird nun wesentliche EU-Agenden ins Kanzleramt mitnehmen. Sollte die direkte Demokratie ausgebaut werden, wird es keine Volksabstimmung über einen EU-Austritt geben. Und im Regierungsprogramm wird eine "klar pro-europäische Linie" abgebildet sein. (c) APA
Bis zum Jahr 2030 soll der gesamte Strom in Österreich aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Außerdem will Schwarz-Blau Österreich zu einem Vorreiter in der modernen Umwelttechnologie machen, eine entsprechende nationale Klima- und Energiestrategie soll hierfür noch ausgearbeitet werden. Ziel sei aber jedenfalls, bis 2020 bei den Treibhausgasemissionen ein Minus von 16 Prozent gegenüber 2005 zu erreichen, bis 2030 sollen sie um mindestens 36 Prozent reduziert werden. "Green Jobs" sollen forciert und ein nationaler Aktionsplan für Bioökonomie beschlossen werden. Auf Kohle und Atomkraft soll vollständig verzichtet werden. Im Zuge der Brexit-Verhandlungen wollen ÖVP und FPÖ den Euratom-Vertrag überarbeiten, mit dem Ziel, dass die Staaten, die auf Atomkraft vollständig verzichten oder dies tun wollen, finanziell bessergestellt werden. Die Presse
Einig sind sich die Verhandler auch in Sachen Infrastruktur. Man plane eine "Beschleunigung von Prüfverfahren bei Infrastrukturprojekten" und will vorrangige öffentliche Interessen festschreiben, um Projekte wie die Dritte Start- und Landebahn am Flughafen Wien oder den Wiener Lobau-Tunnel rascher umsetzen zu können. Weiters soll es ein besseres Fördersystem für Elektro-Autos geben sowie steuerliche Anreize für emissionsarmes oder emissionsfreies Fahren. imago/Christian Ohde
Die Polizei wollen ÖVP und FPÖ personell aufstocken. Das Berufsbild des Polizisten soll attraktiver werden, ein Lehrberuf "Verwaltungs- und Exekutivlehrling" und ein neues Besoldungsrecht für Polizisten geschaffen werden. (c) Presse
Das umstrittene Sicherheitspaket zur Terrorprävention dürfte mit einigen Änderungen wiederbelebt werden. Damit soll die Polizei im Verdachtsfall Messenger-Dienste wie WhatsApp überwachen dürfen. Außerdem sieht es mehr Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen und eine automatische Erfassung von Autokennzeichen vor. (c) APA
Bereits präsentiert wurde auch das Kapitel "Digitales". So will Schwarz-Blau den flächendeckenden Breitbandausbau (zumindest hundert Megabit pro Sekunde) vorantreiben. Bis 2021 soll Österreich Pilotland im Bereich 5G-Ausbau werden. Außerdem plant die Koalition die Einführung eines "Bürger- und Unternehmerkontos", mit dem Amtswege online erledigt werden können. Unter dem Schlagwort "digitale Identität" sollen Bürger Personalausweis, Führerschein und E-Card etwa via Handy-App abrufen können - auf freiwilliger Basis. (c) Presse
Um die Gewinne digitaler Konzerne wie Google und Facebook in Österreich besteuern zu können, soll das Modell der digitalen Betriebsstätte umgesetzt werden. (c) APA
Bei Asylwerbern will man künftig verstärkt auf Sach-, statt Geldleistungen setzen. Außerdem sollen sie primär in Landesquartieren untergebracht werden. Abschiebungen sollen forciert, Beschwerdefristen bei Asylverfahren verkürzt werden. (c) APA
Anerkannte Flüchtlinge sollen die Staatsbürgerschaft künftig nicht mehr nach sechs, sondern (wie andere Zuwanderer) erst nach zehn Jahren beantragen dürfen. Verschärfungen soll es auch bei der Arbeitsmigration geben, hier soll etwa die Mangelberufsliste überarbeitet werden. (c) APA
Allgemeine Studiengebühren dürften wieder eingeführt werden. Die Verhandler sollen sich darauf geeinigt haben, dass sie ab dem dritten Semester, also nachdem die Studieneingangs- und Orientierungsphase abgeschlossen ist, kommen sollen. Geplant ist ein Steuerbonus, um Akademiker im Land zu halten. Die Presse
In einigen Bereichen haben ÖVP und FPÖ bislang nur grobe Leitlinien verkündet. So gibt es das Bekenntnis, die Steuer- und Abgabenquote Richtung 40 Prozent zu senken (derzeit 43,2). Im Fokus der Steuerreform sollen Entlastungen für Kinder, Familien und Erwerbstätige stehen. (c) Presse
Bei den Sozialversicherungen gibt es eine grundsätzliche Einigung auf eine Reduzierung der derzeit 21 Träger - Details wurden noch nicht genannt. In den Ländern regt sich bereits Widerstand. (c) APA
In der Medienpolitik sind eine Reduzierung der GIS-Gebühr, eine Erhöhung der Presseförderung und eine ORF-Reform im Gespräch. (c) APA
Möglich ist auch die Rücknahme der "Aktion 20.000" für die Beschäftigung älterer Langzeitarbeitsloser. Diese müsse aufgrund der Budgetsituation "noch einmal evaluiert" werden, heißt es. (c) APA
Der Ausbau der direkten Demokratie gehört zu den Kapiteln, die sich die schwarz-blaue Stuerungsgruppe für den Schluss aufgehoben hat. Während die FPÖ dafür eintritt, eine verpflichtende Volksabstimmung abzuhalten, wenn Volksbegehren von mehr als vier Prozent der Zeichnungsberechtigten (rund 250.000 Personen) unterstützt werden, plädiert die ÖVP für ein zurückhaltenderes Modell und will eine verpflichtende Volksabstimmung erst ab zehn Prozent Unterstützung (rund 640.000). (c) APA
Raum für Raucher, Bonus für Kinder: Worauf sich Schwarz-Blau geeinigt hat
Der Präsident betonte, dass die Mitglieder sowohl zur gesetzlichen Mitgliedschaft als auch zur Umlage stehen. Das würden Umfragen beweisen. An der letzten Urabstimmung 1996 haben 61 Prozent teilgenommen und davon haben 91 Prozent für eine gesetzliche Mitgliedschaft gestimmt. Kaske ist überzeugt davon, dass sich daran auch heute nicht viel ändern würde.
Zum Argument der Gegner, dass es in anderen Ländern auch keine Arbeiterkammern gebe, stellte Kaske fest: "Ja es geht auch ohne, aber schlicht und einfach schlechter." Bundesweite Arbeiterkammern mit gesetzlicher Mitgliedschaft gibt es nur in Luxemburg und Österreich. Und diese beiden Ländern belegen Spitzenplätze beim Haushaltseinkommen und der Wirtschaftsleistung, argumentierte der AK-Präsident. Er appellierte daher, die Stärken auszubauen, statt sie aufs Spiel zu setzen. Den Gegner hielt er vor, die Arbeitnehmer schwächen zu wollen.
Leitl für Regierungsvertreter in Kassen-Gremien
Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl befürwortete am Donnerstag, einen von den Koalitionsverhandlern ins Auge gefassten Einzug von Regierungsvertretern in die Gremien der Sozialversicherungen. Eine solche Drittelparität zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmer und dem Staat sehe er positiv: "Das hat sich beim AMS bewährt", sagte Leitl im "Wirtschaftsparlament". Weiters verteidigte Leitl das System der Selbstverwaltung.
In seinem "Bericht zur Lage der Österreichischen Wirtschaft" verteidigte Leitl auch die Kammern und betonte, dass er die Debatte um die gesetzliche Mitgliedschaft ruhig und gelassen sehe. "Denn wir sind als Wirtschaftskammer-Organisation herzeigbar, wir bieten gute Leistungen. In Umfragen zeigt sich, dass die Mitglieder mehrheitlich zufrieden sind und eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Mitglieder eine gesetzliche, solidarische Mitgliedschaft bewahren will." Daher habe er auch keine Sorge, die Mitglieder zur solidarischen Mitgliedschaft zu befragen.
Der sozialdemokratische Vizepräsident Christoph Matznetter appellierte an Leitl, für die Wirtschaftskammer einzutreten. "Bitte verteidigt diese Kammer. Und zwar schon vor der Regierungsbildung, denn nachher ist es vielleicht zu spät".
(APA)
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