Merk's Wien

Tschüss zum Wort Nachhaltigkeit: Auch die Sprache geht mit der Zeit

Seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es viele neue Wörter, die nicht alle aus dem Englischen kommen.

Nein, ich werde niemanden übers Knie legen, der zur Verabschiedung „Tschüss“ sagt. Ich verwende zwar diese Floskel nicht, auch meine sich ständig erweiternden Kreise der Familie, Verwandten und Freunde beiderlei Geschlechts haben meines Wissens nach fast nie Zuflucht zu dieser Kurzform der Verabschiedung genommen, die auch im Äther immer wieder vernehmbar ist – aber nur in Sendern nördlich der Rhein-Main-Linie. Wir sagen „Auf Wiedersehen“ oder „Auf Wiederhören“ oder auch „Servus“.

Aber die neue Formel der Verabschiedung wird sich in Österreich nicht mehr ausmerzen lassen. Sie gehört in die erste Reihe jener Wörter und Formulierungen, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg die deutsche Sprache überschwemmt haben und, wie es aussieht, nicht mehr verschwinden werden. Sie haben die Sprache der mittleren und jungen Alterskategorie in Beschlag genommen und werden unsere gute österreichische Mundart nicht so bald wieder verlassen. Im Gegenteil: Sie vermehren sich. Die Kinder sagen lecker, wo sie doch einfach gut sagen könnten. Sie verwenden das Wort „gucken“, das durch „schauen“ ganz leicht ersetzt werden könnte. Und gelegentlich steigen sie Treppen hoch und meinen, dass sie die Stiegen hinaufklettern.

Allein, auch uns Erwachsenen bleibt noch viel zu lernen. Okay, es wird niemand daran Anstoß nehmen, wenn wir dieses Wort an Stelle von „gut“ gebrauchen, wobei zu ergänzen wäre, dass dieses „Okay“, das offenbar während des letzten Krieges populär wurde, heute in jeder Sprache der Welt ganz selbstverständlich ist, obgleich es aus dem Englischen kommt, und nicht einmal die Amerikaner erklären können, woher es stammt.


Dass die deutsche Sprache, sogar die, die im Alltag verwendet wird, immer mehr von nichtdeutschen Ausdrücken durchsetzt wird, merken wir an allen Ecken und Enden. Das führte dazu, dass in der Nachkriegszeit und mehr noch zur Jahrtausendwende immer mehr Wörter nicht nur gelegentlich verwendet werden, deren Bedeutung wir noch vor wenigen Jahrzehnten nicht gekannt haben, sondern auch ganze Sätze auszudrücken versuchen, was vorher anders formuliert wurde.

Wann etwa haben wir zum ersten Mal den Ausdruck „bis ans Ende der Fahnenstange“ gehört und das „Gelbe vom Ei“ erwähnt? Dass die Mode auch die Sprache nicht verschont, habe ich bereits vor etlicher Zeit erwähnt und durch Beispiele angereichert. Seither ist einiges dazugekommen, das offenbar beweisen soll, dass sich auch unsere Sprache modernisiert.

Wer hat vor dreißig Jahren von Nachhaltigkeit gesprochen, wenn er das, was er ausdrücken wollte, auch mit „langer Wirkungszeit“ sagen konnte? Wer hatte auf die Gefahr hin, über einen Text einen Absatz zu schreiben, von einem „Narrativ“ gesprochen, was nicht zuletzt auch Printjournalisten angeht, deren Text auch Handlungsfäden nicht abreißen lassen soll? Es gibt eine narrative Erzählweise, eine narrative Gesprächsführung, sogar eine narrative Therapie – fragen Sie mich nicht, was das heißt.

Und wer kennt sich mit dem Wort „Resilienz“ aus, gleichfalls eine Wortschöpfung, die überaus modern ist? Es genügt nicht, trotz belastender Erfahrungen seelisch gesund zu bleiben, wie dieses neue Wort übersetzt wird. Nein, zu all dem kann man nur sagen: Tschüss. Das verstehen wir Gott sei Dank.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.

E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2018)

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