Sind doch eh nur Kinder...

Unser kinderskeptisches System nimmt die Probleme der Jüngeren nicht ernst.

Die Wartezimmer von Wiens Kinderärzten sind kein schöner Anblick. Im Normalfall quellen sie über, Wartezeiten von zwei Stunden (mit Termin) sind keine Seltenheit. Ähnlich sieht es in den Kinderambulanzen der Spitäler aus, in die man an den Tagen ausweichen muss, an denen der Kinderarzt keine Ordination hat. Dort darf man schon mal zwischen vier und sechs Stunden die bunten Bildchen an der Wand studieren.

Was uns das sagen will? Das, was wir ohnedies wissen: dass das von der Krankenkasse finanzierte Gesundheitssystem in Sachen Kinder seit Längerem massiv an seine Grenzen stößt. Und dass jeder, der kann, sich in den Privatsektor rettet.

Das mag schon schlimm sein, wenn es um eine Mittelohrentzündung geht. Noch ärger aber ist es bei den sogenannten „Lebensstilerkrankungen“ – jenen neuen Krankheiten, von denen die Gesellschaft nicht so recht weiß, wie sie damit umgehen soll: ADHS (Hyperaktivität), Stress, Autismus, Verhaltensauffälligkeiten, Sprachstörungen. Soll sie diese neuen Krankheitsformen als Elternhysterie abtun, als Panikmache gieriger Therapeuten, oder soll sie sie ernst nehmen? Soll ihre Behandlung der „Luxus“ jener Eltern bleiben, die sie bemerken und sich teure und lange Therapien leisten können? Oder sollen sie für alle da sein?

Tragisch für Österreich ist, dass unser kinderskeptisches System (kinderfeindlich wäre vielleicht doch ein bisschen zu stark) die veränderten Bedingungen nicht wahrhaben will, unter denen Kinder und Jugendliche heute aufwachsen. Und dass es daher besonders lange dauert, bis es sich aufrafft, die Probleme von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen. Vor allem, wenn die Alternative zum Kleinreden ist, dass man vielleicht auch noch ein bisschen Geld in die Hand nehmen müsste.

Eine mittelfristig kontraproduktive Einstellung. Und eine, die nicht nur der Genesung von Kindern und Jugendlichen im Weg steht. Sondern die ganze Gesellschaft vergiftet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2010)

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