Vor 125 Jahren: Hüllenlose Premiere im Moulin Rouge

Tänzerinnen im Moulin Rouge
Tänzerinnen im Moulin Rouge(c) imago
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Am 9. Februar 1893 erlebten Ballbesucher im Moulin Rouge eine "ungeheuerliche Schamlosigkeit": den (angeblich) ersten Striptease in der Pariser Geschichte.

„Zwei grundverschiedene Wahrzeichen erheben sich auf dem Montmartre … die Kirche Sacré coeur … auf der anderen Seite eine alte, verwitterte, rissige, wurmstichige Windmühle, der Moulin de la Galette, dessen Flügel müßig in die Luft ragt - ein Aussichtspunkt für die Fremden und Provinzler, bis der Eiffelthurm die Mühle auch um dieses Bischen Achtung brachte. An die Windmühle reiht sich ein Tanzsalon, in welchem die ewig muntere Jugend des Montmartre Gelegenheit findet, die Traditionen des Cancan nicht gänzlich aussterben zu lassen.“ Das Bild, das die „Neue Freie Presse“ am 31. Dezember 1889 für ihre Leser zeichnete, trifft noch heute zu. Nach wie vor liegt das Etablissement dem Gotteshaus beinahe zu Füßen. Verändert aber hat sich die Anziehungskraft.

Freilich, Touristen suchen den Weg zu den Sehenswürdigkeiten und das Moulin Rouge selbst ließ erst unlängst verkünden, dass nach wie vor mehrere hundert Flaschen Champagner pro Abend geleert würden. Doch die Pariser zieht das Varieté weit nicht mehr derart in Scharen an, wie in der „Belle Époque“. Damals aber war das anders. Der Hunger nach Erotik lockte die Herren in Zylinder und Mantel an.

Hüllenlose Kleopatra

Es war das Jahr 1893. Im Moulin Rouge wurden, wie üblich, von in Strumpfband und Atlasseide gekleideten Damen verrufene Tänze getanzt. So verrufen waren sie, dass sie eine Zeit lang verboten, dann nur unter Aufsicht von Ordnungshütern gestattet waren. Am 9. Februar sollte die Stimmung nicht weniger ausgelassen sein. Es war der Abend, an dem das Moulin Rouge den zweiten „Bal des Quat’z’Arts“ beherbergte; ein karnevaleskes Fest, organisiert von Studenten der „Hochschule der Schönen Künste“ (École Nationale Supérieure des Beaux-Arts). Und zwar eines, das aufgrund der dort zur Schau gestellten Freizügigkeit in der Société einen handfesten Skandal auslösen sollte.

Geschuldet war die Aufregung einer Kleopatra, die den anwesenden Malern nackt Modell stand – sowie diese umringende, sich ihrerseits entkleidende „Dienerinnen“. Eine Kunstaktion, wie Verteidiger vorbrachten, im Zuge derer mitunter die schöne, rothaarige Sarah Brown zur Geltung kommen sollte. „Eine ungeheuerliche Schamlosigkeit“, wie Kritiker konterten. Die Polizei wurde gerufen, der Akt ein Fall für die Justiz. „Sittenwächter“ René Berenguer persönlich nahm sich der Causa an. Der Präsident der Liga für die Verteidigung der Moral stellte die Organisatoren des Balles zur Rede – und ließ sich durch die Bezahlung einer (mehr symbolischen, denn schmerzlichen) Geldbuße besänftigen.

Abseits von Schlagzeilen über den angeblich ersten Striptease von Paris, blieb von dem Ereignis auch Musikalisches für die Nachwelt bestehen: Das Stück „Marche des 4'zarts“ (Text: E. Yamada, Musik: Ed. L. Casanova) geht auf eben jenen Abend zurück.

Stadt der leicht bekleideten Tänzerinnen

Ob den Ballbesuchern nun tatsächlich die erste in Paris je stattgefundene erotische Entkleidung auf offener Bühne geboten wurde, ist nicht restlos geklärt. So wird in manchen Quellen der 13. März 1894 als Tag des ersten Striptease genannt – ebenfalls in Paris, jedoch nicht im Moulin Rouge, sondern im Varietétheater „Divan Fayounau“; die Tänzerin wurde auch hier mit einer Geldstrafe belegt.

Gleiche Stadt, anderes Jahr: Die niederländische Tänzerin (und Spionin) Mata Hari (eigentlich: Margaretha Geertruida Zelle) trat im März 1905 auf Einladung des Industriellen Émile Guimet in dessen Museum vor einem ausgesuchten Publikum auf – (nahezu) Nacktszene inklusive.

Wo auch immer die freizügige Premiere nun stattgefunden haben mag, im Moulin Rouge wird weiterhin getanzt, geflüstert, gelacht und getrunken. Die rote Windmühle ist und bleibt folglich im „Rausch der Rüschen“.

Auf einen Blick: Moulin Rouge

Das Moulin Rouge wurde am 6. Oktober 1889 von Joseph Oller und Charles Zidler eröffnet – jenem Jahr, in dem auch der Eiffelturm erstmals besucht werden konnte. Der Name bedeutet übersetzt „rote Windmühle“ – das Erkennungszeichen des Hauses, das zunächst für Bälle genutzt wurde. Bekannt wurde das Varieté für die dargebotenen Cancans (ursprünglich hieß der Tanz „Chahut“) und die dazugehörigen Tänzerinnen, zu deren bekanntesten „La Goulue“ (dt. die Gefräßige, eigentlich Louise Weber) zählte. Später wurden in dem Haus inmitten des Vergnügungsviertels Pigalle auch Operetten und Revuen aufgeführt, zeitweise diente es als Kino. Heute findet sich im Untergeschoss ein Wein- und Champagner-Keller – oben sind nach wie vor Tanzaufführungen zu sehen.

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