Tabaksucht als Zünglein an der Waage

Den Raucherinnen und Rauchern wurde mehr "persönliche Freiheit" durch Aufhebung des Rauchverbotes versprochen. Wiegen Vernunft und Rücksicht weniger als Egoismus und Abhängigkeit?

Die Regierungsvereinbarung, das Rauchverbot zu kippen, verhindert, was europaweit klaglos und zu aller Zufriedenheit funktioniert. Reine Luft und Nichtraucherschutz in der österreichischen Gastronomie – danke nein?

Die Parteitaktiker haben die Tabaksucht für ihre Zwecke entdeckt. „Panem et circenses“ wurde durch „Freies Rauchen“ ergänzt. Die Taktik, das gesetzlich beschlossene Rauchverbot in der Gastronomie aufzuheben, führte zum (Wahl)Erfolg. Die Nikotinabhängigkeit triumphierte über Nichtraucherschutz. Eine einzige Stimme kann eine Wahl entscheiden. Der Schutz vor realen Gesundheitsschäden für Passivraucher sowie die Dauerbelästigung durch Qualm und Gestank sind da nur Nebensächlichkeiten.

Welche „Freiheit“ soll das sein?

Den Raucherinnen und Rauchern wurde mehr „persönliche Freiheit“ durch Aufhebung des Rauchverbotes versprochen. Welche „Freiheit“ soll das sein, überall und jederzeit zu rauchen? Die körperliche und psychische Abhängigkeit von einer Suchtdroge wie Tabak ist Tatsache. Jede Abhängigkeit und auch die Nikotinabhängigkeit schränken „freies“ Entscheiden ein. Das Verlangen der Nikotinabhängigen, unbedingt und jederzeit zu rauchen, ist keine „freie“ Entscheidung. Viele, aber nicht alle, wollen daher, weil es für sie so bequem ist, in der Gastronomie rauchen. Diese Rücksichtslosigkeit soll als „freie“ Willensentscheidung per Gesetz geschützt werden? Rauchen ist nur dann eine „freie“ Entscheidung, wenn andere dadurch nicht gesundheitlich gefährdet und mit Rauch und Geruch belästigt werden.

Abhängigkeit ist nicht Abhängigkeit. Natürlich ist es ein Unterschied, ob man von Nikotin, Alkohol oder Opiaten abhängig ist. Jeder kennt Ex- und Kettenraucher, die aus eigenem Antrieb, ohne fremde Hilfe, aus unterschiedlichsten und nicht nur gesundheitlichen Motiven praktisch von einer Sekunde auf die andere mit dem Rauchen aufgehört haben. Sie haben sich gerade noch „frei“ entscheiden können. Bei Alkoholabhängigkeit oder gar bei Morphinabhängigkeit gibt es das nicht. Um abstinent zu werden, ist professionelle medizinische und psychologische Hilfe notwendig. Abstinent zu bleiben ist eine Lebensaufgabe.

Raucher instrumentalisiert

Über die Tabaksucht haben die Populisten die Gruppe der rücksichtslosen und uneinsichtigen Raucher und Raucherinnen instrumentalisiert. Alle Raucher und Gastronomen wurden in einen Topf geworfen. Nun werden viele zu Unrecht kritisiert und können sich nicht wehren. Nur die Koalition kann sich nicht vorstellen, dass Gastronomen und Raucher aus Rücksicht und Einsicht mehrheitlich reine Luft in Lokalen wünschen und ein generelles Rauchverbot befürworten.

Eine Aufhebung des beschlossenen Rauchverbotes bedeutet, Rücksicht auf rücksichtslose und uneinsichtige Nikotinabhängige zu nehmen. Die Rücksichtslosigkeit, in der Gastronomie zu rauchen, wird zum Recht. Die gesundheitlichen Folgen durch unvermeidliches passives Mitrauchen sowie die Belästigungen durch Geruch und Rauch werden legalisiert.

Man traut seinen Ohren nicht, wenn ein Regierungsmitglied eine Vereinbarung, die Unrecht schafft, als rechtsgültig qualifiziert.

Die rücksichtslosen Raucher und Raucherinnen treiben die Regierungsparteien vor sich her. Ihr rücksichtsloses Verhalten kann schon heute überall in Stadt und Land bewundert werden. Nicht wenige, ob im Nadelstreif oder in der Latzhose, ob im Cocktailkleid oder in der Jogginghose, entledigen sich mit größter Selbstverständlichkeit ihrer Zigarettenstummel gleich an Ort und Stelle. Sehen Sie sich doch um in Stadt und Land. Praktisch überall werden Zigarettenstummel einfach fallen gelassen, und in Eingangsbereichen wird man mit Tabakqualm zwangsbeglückt.

Wirkungsloser Kompromiss

Rauchen ist alles andere als gesund. Es verursacht Raucherbein und Bronchialkarzinom, COPD usw. Viele Raucher und Raucherinnen täuschen sich mit Scheinargumenten über die eigene Nikotinabhängigkeit und Gesundheitsschäden und Krankheitsrisken für sich und andere hinweg. Die Trennung von Raucher- und Nichtraucherbereichen in der Gastronomie ist ein wirkungsloser Kompromiss. Die Belästigungen und die gesundheitlichen Gefährdungen durch Rauchen in der Gastronomie sind nicht verschwunden.

Das ist nahezu überall zu sehen, zu riechen und einzuatmen. Das sind keine Meinungen, sondern Fakten, die auch für Regierung und Opposition gelten. Die Interessen der rücksichtslosen Nikotinabhängigen auf Kosten aller zu vertreten ist kein Fortschritt, sondern ein höchst undemokratischer Rückschritt.

Die leidige Diskussion wird enden, wenn die Luft in der Gastronomie endlich rein wird und bleibt. Die goldene Regel der praktischen Ethik lautet: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“

DER AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Mag. pharm. Dr. phil. Edmund H. J. Berndt
(*1948) studierte Pharmazie in Graz. 1983 legte er die Fachprüfung für den Apothekerberuf ab; Mitglied der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften). [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2018)

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