Persönliche Kontakte entscheidend für Integration

Massenquartiere kosten Solodaridät.
Massenquartiere kosten Solodaridät.(c) Clemens Fabry
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Forscherinnen der Uni Wien zeigen, dass Massenquartiere Solidarität kosten, weil Berührungspunkte mit der Bevölkerung fehlen. Und dass ein Like in den sozialen Medien echte Proteste gegen Abschiebungen nicht ersetzt.

Geschichten über Flüchtlinge, die in ihre Heimat abgeschoben werden, machen immer wieder Schlagzeilen. Arigona Zogaj (2007) oder die Komani-Zwillinge (2010) erfuhren in Teilen der österreichischen Bevölkerung große Solidarität. Die Proteste und Interventionen veranlassten die Politik dazu, ihnen trotz negativen Asylbescheides das Bleiberecht zu gewähren. Sieglinde Rosenberger und ihr Team am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien haben in dem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt „Taking Sides“ untersucht, was Menschen bewegt, gegen Abschiebungen von Flüchtlingen zu protestieren und unter welchen Bedingungen die Politik auf diese Proteste eingeht.

Im Rahmen eines länderübergreifenden Projektes mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Schweizer Nationalfonds wurden die Schweiz, Österreich und Deutschland zwischen 1993 und 2013 in dieser Frage verglichen. Dabei kamen die Wissenschaftlerinnen zu dem Ergebnis, dass sich das „Engagement der Bevölkerung hauptsächlich aus der persönlichen und räumlichen Nähe zu den Flüchtlingen speist“, so Rosenberger. Interviews mit Protestierenden zeigen, dass Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Fairness einerseits, Ohnmachtsgefühle, Zorn und Enttäuschung andererseits starke Motive sind. Mit von der Abschiebung Bedrohten solidarisch seien in der Regel Menschen, die Kontakt haben, die sich beispielsweise in der Schule oder dem Fußballverein begegneten. Ihre Proteste stießen bis 2013 auf politischer Ebene immer wieder auf offene Ohren.

Rückhalt durch Bürgermeister

„Wenn in einer Gemeinde Bürger gegen Abschiebungen protestierten und sich der Bürgermeister hinter sie stellte, haben die Entscheidungsträger diese Forderung in mehr als der Hälfte der Fälle erfüllt“, sagt Rosenberger. Die Proteste seien durch das Argument der Integration der Personen in ihre Gemeinde verstärkt worden. Damit sei ein Kriterium für die Erteilung des Bleiberechtes erfüllt. „Außerdem galten vor etwa zehn Jahren Abschiebungen in Österreich noch eher als Tabu, es wurde kaum darüber gesprochen. Der Widerstand, der diesen Teil der Migrationskontrolle öffentlich machte, war folglich politisch nicht erwünscht“, so Rosenberger.

Interessant ist, dass Unterstützungserklärungen per Like in den sozialen Medien das Engagement „auf der Straße“ nicht ersetzen können. „Die direkte, unmittelbare Form des Protests, zum Beispiel auf der Straße und vor Unterkünften, ist ein deutlich wirksameres Partizipationsinstrument.“

Die Proteste in Deutschland und der Schweiz unterscheiden sich – so das Ergebnis der Studie – grundlegend von den österreichischen. In der Schweiz beteilige sich die Bevölkerung mehr in direkt demokratischen Kanälen. In Deutschland sei der Widerstand gegen Abschiebungen deutlicher in die politische Debatte um asylrechtliche Verschärfungen eingebunden. Während sich in Österreich eher kleine Gruppen von Menschen ad hoc für ihre Nachbarn engagierten, werden Proteste in Deutschland eher von Nichtregierungsorganisationen und politischen Gruppierungen organisiert.

Wenn Asylwerber nicht in Gemeinden und kleineren Unterkünften aufgenommen, sondern in Massenquartieren untergebracht werden, verringere dies die „Ressource Solidarität“. „Die Politik kann das Engagement von empathischen Menschen gegen Abschiebungen unterbinden, indem sie Geflüchtete in Großquartieren unterbringt“, erklärt Rosenberger. Da es in der Bevölkerung gleichzeitig mehr Ablehnung gegen die Einrichtung von Großquartieren gibt als gegen die Unterbringung in Wohnungen in Gemeinden, werde dieses Vorhaben „auch die negative Stimmung gegen Flüchtlinge weiter schüren“, sagt Rosenberger, die auch als Sachverständige für Migrationsfragen in Berlin tätig ist. Das sei in Bayern bereits zu beobachten gewesen. (msb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2018)

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