Replik

Die Kroaten brauchen Zeit? Wieso? Und wofür?

Wie viele Jahre sollen vergehen, ehe die Kroaten sich ihren dunklen Jahren stellen?

Es ist schon eine Weile her, dass ich auf jene derbe Art der Rechtfertigung gestoßen bin, wie sie von Karl-Peter Schwarz in seinem „Quergeschrieben“, „Bleiburg: Über den Brauch, der Toten würdig zu gedenken“ (17. 5.), fabuliert wird. Fragt sich jemand, wie eine nackte Information in Hetznews-Produktionsstellen in Serbien und Kroatien in den 1990er-Jahren gedreht und gebogen wurde, bis sie passte, ist die Antwort: Genau so! Tendenziös, mürrisch, rücksichtslos!

Hier die Auflistung der auffälligsten Argumentationslinien:
? Journalisten seien jämmerliche Denunzianten. Anstatt die hier und da verräterisch aufblitzende Ustaša-Symbolik zu übersehen, haben sie jene Teilnehmer, die sie trugen, bei der Exekutive verpetzt. Demzufolge lautet das erste ethische Schwarz-Postulat: Das tun anständige Journalisten nicht. Sie unterlassen das Denunzieren der Übertreter. Die Kroaten brauchen Zeit, bis sie begreifen – aber so dekoriert darf man sich heutzutage eigentlich nicht zeigen.
? Im Vergleich zu den Österreichern hätten die Kroaten ein schlimmeres politisches Erbe aufzuarbeiten. Das wäre das zweite Schwarz-Postulat. Aber woher die Feststellung, Österreich hätte eine gnädigere Geschichte als Kroatien gehabt? Betrachtet man sie auf der historischen Bühne, mit allen Verlusten, die sie hinnehmen mussten, erscheinen die Österreicher als grandiose Pechvögel. Heißt das, dass sie mit Nazi-Devotionalien herummarschieren dürfen?

Gestoppte Aufarbeitung?

Außerdem: Wer misst bitte die historischen Pannen der Nationen, um dann den schlechter positionierten großzügig ethische Rabatte zu gewähren?
? Am schändlichsten ist das dritte Schwarz-Postulat. Es lautet ungefähr so: Die Kroaten waren im Begriff, das Erbe ihres Vasallenstaates 1941 bis 1945 zu verarbeiten, als sie von der großserbischen Aggression Anfang der 1990er-Jahre getroffen wurden. Das habe den Aufarbeitungsprozess gestoppt und „Täter in Opfer und Opfer in Täter verwandelt“. Für diesen Paradigmenwechsel treffe also die Kroaten keine Schuld, das hat für sie der Geist der Geschichte erledigt.

Nur missverstandene Seelen?

Die Kroaten waren gerade dabei, ihre Bürgerkriegs-Fußnote aus dem Zweiten Weltkrieg herauszulösen und separat zu behandeln – aber nein, es wurde ihnen nicht gegönnt, weil sie von der großserbischen Aggression „noch einmal“ gestört wurden. Und jetzt ist ihnen die Lust an weiteren Aufarbeitungen vergangen. Also seien die Serben schuld, wenn Kroaten heute der Wille fehlt, ihren Vasallenstaat NDH als das zu sehen, was er war: ein Quisling-Staat, der zuerst auf eigene Rechnung, danach für Hitler mordete.
? Das vierte Schwarz-Postulat ist, die kroatische Linke verschlimmere die Situation nur, indem sich dort keiner wage, „Titos Opfern in Bleiburg seinen Respekt zu erweisen“. Das ist eine dicke Lüge. Der sozialdemokratische Premierminister Ivica Račan hat 2002 die Gedenkstätte in Bleiburg besucht. Erst dadurch fühlte sich die andere Seite in ihrem Zorn bestätigt.
? Aus allen aufgelisteten Schwarz-Postulaten ergibt sich das Oberpostulat: Die Kroaten stecken immer noch mitten im Bürgerkrieg. Man solle diesen Prozess nicht „noch einmal“ unterbrechen.

Kurzum: Die Kroaten brauchten Zeit. Wieso, wofür? Es sind 73 Jahre vergangen. Wie viele Jahre sollen es noch sein? Ohne eine vernünftige Frist zu stellen, könnte man dem Irrglauben verfallen, die Neofaschisten seien nur missverstandene Seelen, die an der Eindeutigkeit der Geschichte scheitern. Aber da sehe ich nur schwarz.

Vesna Knezevic (* 1956 in Prishtina) studierte Politikwissenschaften in Belgrad und Wien. Sie arbeitet als Korrespondentin für serbische Medien in Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2018)

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