Physik: Schwarze Löcher für das vollständige Bild

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In Schladming treffen sich alljährlich Physiker aus aller Welt zur „Winterschule“. Heuer kam auch Nobelpreisträger Gerard 't Hooft. „Die Presse“ sprach mit ihm über Naturgesetze und den LHC in Genf.

Einiges hat sich verändert, seit Leukipp und Demokrit postulierten, die Materie müsse aus kleinen, unteilbaren Einheiten – Atomen – bestehen. Während die Suche nach der richtigen Beschreibung der Materie nach wie vor im Gange ist, haben Etappenerfolge die Welt geprägt: Computer, Handys, GPS und viele andere Entwicklungen wären ohne Quantenmechanik und Relativitätstheorie undenkbar. In der Skistadt Schladming treffen sich derzeit Physiker aus aller Welt, um den neuesten Stand zu diskutieren.

Die Physik-Winterschule hat Tradition in Schladming. „Es gibt sie seit 1962 – das war, bevor sich Schladming zu einem trendigen Wintersportort entwickelte“, erklärt Willibald Plessas vom Institut für Physik an der Karl-Franzens-Universität Graz, Organisator der Veranstaltung. Hier kennt man die Teilchenphysiker bereits und nennt sie auch liebevoll die „Kern-Buam“.

Nobelpreisträger Gerard 't Hooft, Teilnehmer in Schladming, hat bei seinem Vortrag neue Hypothesen anzubieten. In den 70er-Jahren hat er Entscheidendes zum „Standardmodell“ der Teilchenphysik beigetragen. Hinter diesem wenig eleganten Namen versteckt sich ein erstaunliches Gebilde: Es ist eine Theorie aller bekannten Teilchen und aller Naturkräfte – bis auf die Gravitation. Keine andere Theorie ist mächtiger und genauer in Experimenten überprüft worden. Die Frage, wie die Gravitation, die durch die allgemeine Relativitätstheorie beschrieben wird, in diesen Rahmen passt, widersetzt sich allerdings allen Bemühungen der Physiker. 't Hooft versucht, sich der Frage zu nähern, indem er einen extremen Zustand der Materie betrachtet: schwarze Löcher. Warum gerade Schwarze Löcher? Sie sind ja nicht gerade der Mittelpunkt unserer Erfahrung. „Wir können sie nicht ignorieren– sie sind mögliche Lösungen der Gleichungen, die, wie wir glauben, unsere Welt beschreiben. Und wenn wir uns vorstellen, wie sich Schwarze Löcher verhalten, können wir eine Menge lernen“, erklärt 't Hooft. „Wenn wir verstehen, wie Schwarze Löcher funktionieren, verstehen wir vielleicht, wie andere Formen der Materie funktionieren. Und am Ende sehen wir womöglich das vollständige Bild.“ Das Ziel ist eine Theorie der Quantengravitation, eine der großen ungelösten Fragen in der Physik.

Wie konstant sind die Konstanten?

Andere Vortragende, Harald Fritzsch von der Uni München und Ekkehard Peik von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig, befassten sich mit der Frage, wie konstant die sogenannten Naturkonstanten wirklich sind. Es gibt nämlich Anzeichen dafür, dass sie mit der Zeit leichten Veränderungen unterworfen sein könnten. So könnte Licht etwa in sehr langen Zeiträumen unterschiedlich schnell erscheinen. Vor allem mit präzisen Atomuhren sind neuerdings Experimente möglich, um solche Variationen festzustellen. Diese Informationen sind wichtig, um wichtige physikalische Einheiten präzise zu definieren und etwa das Urkilogramm als Norm zu ersetzen. Experimentelle Überprüfung der Konstanz der Konstanten könnte nebenbei die Grenzen der Relativitätstheorie aufzeigen, die (wie andere Theorien) darauf setzt, dass die Naturgesetze – respektive die Konstanten – zu allen Zeiten gleich sind.

Mit Tests der Relativitätstheorie befasst sich auch Anita Reimer (Uni Innsbruck): Sie überprüft sie bei sehr kleinen Distanzen, nahe der Planck-Länge (in Metern gemessen eine Zahl mit 35 Nullen hinter dem Komma).

Auch der LHC ist natürlich Gesprächsthema, die neue Wunderwaffe der Physiker am CERN bei Genf. Wenn er Ergebnisse bringt, werden sie die Zukunft der Teilchenphysik prägen. „Im Gegensatz zu seinen Vorgängern wird er definitiv auf Neuland stoßen“, glaubt 't Hooft: „Er wird Dinge entdecken, die wir noch nicht kennen.“ Etwa das Higgs-Teilchen. Mit der Suche nach ihm befassten sich die Vorträge von Dieter Zeppenfeld von der Universität Karlsruhe.

Was sagt 't Hooft zur Angst davor, dass im LHC ein Schwarzes Loch entstehen könnte? „Das ist sehr unwahrscheinlich, aber möglich. Wenn, dann wird es augenblicklich wieder zerfallen. Das sagen die anerkannten Theorien. Dass sich so ein Schwarzes Loch stattdessen aufblähen könnte, um die ganze Erde zu verschlingen, stammt von Leuten, die ihre eigenen, völlig falschen Theorien über Schwarze Löcher haben und leider ziemlich viel Lärm darum machen.“

Immer wieder deutet sich die Idee von einer vollständigen Beschreibung der Materie an. „Die meisten von uns glauben, dass es sehr grundlegende Gesetze der Natur gibt“, meint 't Hooft: „Ob wir sie finden können, muss die Zukunft zeigen. Zumindest möchten wir so nahe wie möglich kommen.“ Als er schließlich in seinem Vortrag andeutet, man könnte möglicherweise schwarze Löcher und Elementarteilchen als zwei Seiten desselben Konzepts betrachten und damit Gravitation und Quantenwelt vereinen, wirft ein gewitzter Zuhörer ein: „Das wäre dann wohl das Ende der Physik.“

Nicht nur das, sondern wohl ein weiterer Nobelpreis für 'tHooft – der allerdings relativiert: „So einfach wird es nicht sein. Außerdem wäre die Entdeckung eines universellen Gesetzes nicht das Ende der Physik. Es müsste erst verifiziert und untersucht werden – das würde ewig dauern.“

PHYSIK IN SCHLADMING

Zum 48. Mal fand heuer die traditionsreiche Physik-Winterschule in Schladming statt, sie behandelt grundlegende Fragen der Physik. Organisiert wird sie vom Institut für Physik der Karl-Franzens-Universität Graz, Mitveranstalter ist das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Neun Nobelpreisträger hielten bisher hier Vorträge. Diesmal heißt das Thema „Masses and Constants“. Über 100 Teilnehmer sind dieses Jahr dabei.

Gerard 't Hooft, niederländischer Physiker, Nobelpreisträger des Jahres 1999, ist heuer zum zweiten Mal in Schladming. Er sprach über „Black Holes and Quantum Mechanics“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2010)

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