Frankreich: Viele Regeln, aber kein Matchplan

Den Teamgedanken stellt Teamchef Didier Deschamps über alles. Nun ist er auf seine Individualisten angewiesen.
Den Teamgedanken stellt Teamchef Didier Deschamps über alles. Nun ist er auf seine Individualisten angewiesen. (c) APA/AFP/FRANCK FIFE
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Didier Deschamps predigt Demut und Respekt, schafft es aber bisher nicht, das große Potenzial des französischen Starensembles auszuspielen. Und im Hintergrund wird der Schatten von Zinedine Zidane immer größer.

Kasan/Wien. Die Jobgarantie hat Didier Deschamps bereits in der Tasche, egal, wie das Achtelfinalduell heute gegen Argentinien verläuft. Deschamps werde bis 2020 Frankreichs Teamchef sein, stellte Verbandspräsident Noël Le Graët klar, so sehe es der Vertrag vor, „was immer auch passiert“.

Die Rückendeckung kam zur rechten Zeit. Frankreich war in der Gruppenphase dieser WM zwar nie gefährdet, hat aber alles andere als geglänzt. Und nicht erst seit Deschamps' ehemaliger Juventus-Kollege und kongenialer Partner beim WM-Triumph 1998, Zinedine Zidane, bei Real Madrid gekündigt hat – er urlaubt dieser Tage auf Ibiza –, gilt es als ausgemacht, dass dieser ihn eher früher als später als Teamchef beerben wird. Sogar Deschamps meinte: „Er wird eines Tages Nationaltrainer. Das erscheint mir logisch. Wann es sein wird, kann ich nicht sagen. Es passiert, wenn es passiert.“

Was viele aber vergessen: Der 49-jährige Deschamps ist mit 49 Siegen aus 79 Spielen der erfolgreichste französische Teamchef der Geschichte, heute folgt Partie Nummer 80, damit wird er außerdem den bisherigen Rekordhalter Raymond Domenech (79) ablösen.

Noch herrscht also weitgehend Einigkeit über die Qualitäten von Deschamps. Die Franzosen schätzen die harte Hand, mit der er diese Truppe von Exzentrikern und begnadeten Individualisten führt. Dass er konsequent blieb bei Karim Benzema, den er wegen einer Erpressungsaffäre zu Hause gelassen hat und der ihm deswegen vorwarf, „rassistischem Druck“ nachgegeben zu haben. Dass er einst auch unbequeme Spieler wie Franck Ribéry oder Dimitri Payet seine Vorstellungen von Disziplin spüren ließ und noch unzählige andere Egotrips unterbunden hat. Zuletzt war es Adrien Rabiot von Paris St. Germain, der nicht zu Deschamps' Mantra von „le groupe“ passte. Sein Regime, Laptops und Zeitungen etwa sind am Tisch verboten, gilt als Garant dafür, dass sich das „Fiasko von Knysna“ nicht wiederholt. Die Spielerrevolte gegen Teamchef Domenech bei der WM 2010 in Südafrika weitete sich zur Staatsaffäre aus, die Grande Nation wurde zum Gespött der Fußballwelt.

Wer wirft die Tormaschine an?

Sechs Jahre trägt Deschamps, der wie Zidane in Aimé Jacquet, dem Weltmeistertrainer von 1998, seinen Lehrmeister fand, nun schon die Verantwortung. Doch eine Identität, ein Spielsystem, hat er der Equipe tricolore noch immer nicht verpasst. Im Gegenteil. Eigentlich unvorstellbar, wie es diese spektakulären Fußballer – Frankreich stellt den teuersten WM-Kader – schaffen, das Spiel derart zu verlangsamen.

Bisher fehlt die Abstimmung, Kombinationen sind Mangelware, auch das Gegenpressing hat keinen Nachdruck. Der bisher auffälligste Franzose war Ersatzmann Nabil Fekir von Olympique Lyon, der im letzten Gruppenspiel gegen Dänemark allein auf weiter Flur wirbelte. Es scheint, als habe Deschamps immer noch Probleme, diese Ansammlung von Ausnahmetalenten zusammenzuführen. Die Topstars Pogba, Mbappé und Griezmann gehen uninspiriert zu Werke, sinnbildlich lieferte Frankreich die bisher einzige torlose Partie dieser WM.

Aber das schöne Spiel war nie die Sache des Didier Deschamps. In der Nationalmannschaft war es die Aufgabe des Basken, dem großen Spielmacher Zidane den Rücken freizuhalten. Eine Rolle, die nun Frankreichs Fußballer des Jahres, N'Golo Kanté, bravourös erledigt. Liefern müssen in Russland nun aber die Offensivstars. Und um diese potenzielle Tormaschine anzuwerfen, sehen einer Umfrage zufolge inzwischen 52 Prozent der Franzosen Zidane als den besseren Mann.

Deschamps wird wohl einmal mehr Frankreichs Garant für ein gutes Resultat sein. Wie bei der WM 2014 (Viertelfinale), seiner ersten Endrunde als Teamchef, und der Heim-EM 2016 (Finale). Vielleicht reicht es auch, um im Amt zu bleiben, obwohl Zidanes Schatten immer größer wird. In Wirklichkeit aber ist diese französische Generation längst titelreif.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2018)

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