Sozialbetrug im Vormarsch:"Kämpfen wie die Wilden"

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Sozialbetrug VormarschKaempfen Wilden(c) APA (ROBERT JAEGER)
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Staatssekretär Reinhold Lopatka erhält Nachhilfe vom Finanzamt. Probleme: Schwarzarbeit, Scheinfirmen, Dolmetscher und Familienfreibetrag - "so ein Schmarren".

Wels/Steyr/Wien. Der Finanzstaatssekretär wird mit einem unauffälligen japanischen Mittelklassewagen vom Bahnhof in Wels abgeholt. Ans Steuer setzt sich ein Mann im grauen Anzug mit offenem Hemd vom Typ des österreichisch-deutschen Weltklassegewichthebers Mathias Steiner. Thomas Willersdorfer ist Teamleiter der Kiab, der 2002 eingerichteten Sondereinheit zur Kontrolle illegaler Arbeitnehmerbeschäftigung und Sozialbetrugs, im Finanzamt Grieskirchen-Wels. Der sprudelt während der Fahrt los: „Das mit den Scheinfirmen nimmt massiv zu.“ Spachtler würden sich als Gewerbe anmelden, aber im Pfusch alle Arbeiten am Bau erledigen.

Der Mann im Fonds des Autos heißt Reinhold Lopatka und hört während der Fahrt zum Finanzamt, einem schmucklosen Siebzigerjahre-Bau, interessiert zu. „Wir kämpfen wie die Wilden“, versichert der schnauzbärtige Kiab-Mann gegenüber dem Staatssekretär. Zuletzt ertappten die Kontrollore eine Personalleasingfirma, die 1,4 bis 1,5Millionen an Steuern nicht bezahlt und eine bedingte Strafe für drei Jahre ausgefasst hat.

Zahl der Kontrollore aufgestockt

Österreichweit ist die Kiab deutlich aufgestockt worden: von 98 Beamten im Jahr 2002 auf 310 im Vorjahr. Zum Vergleich: Finanz und Zoll wurden durch Umstrukturierungen und Reformen von rund 18.000 auf 12.000 Posten geschrumpft. Der Ausbau des Betrugsdezernats in der Finanz trägt auch bundesweit Früchte, wie die aktuellste Statistik des Finanzministeriums für 2009 zeigt (siehe auch Grafik): Rund zehn Prozent mehr Strafanträge, mehr erwischte illegal beschäftigte Ausländer und insgesamt mehr Personen, die keine Sozialversicherung zahlen.

Mittlerweile rücken die Kiab-Beamten immer öfter ganz gezielt nach Anzeigen von Arbeitsmarktservice und Polizei aus. Lopatka verweist im Gespräch mit der „Presse“ darauf, dass es 2009 österreichweite Aktionstage der Kiab– auf dem Bau und in Diskotheken – gegeben habe, um zu signalisieren, „dass Abgabenbetrug nicht toleriert wird“. Daneben gab es regionale Schwerpunktaktivitäten im Transportgewerbe, bei Taxis, aber auch im Gebrauchtwarenhandel und in der Gastronomie.

Kosten für Dolmetscher steigen

Markus Hoffinger, Kiab-Teamleiter im Finanzamt Steyr-Kirchdorf-Perg, schildert Lopatka am Nachmittag ein anderes Problem bei der Überprüfung der Ausländerbeschäftigung: „Da brauchst an Dolmetscher dazu, sonst kriagst keine Aussagen, die gerichtlich verwendbar sind.“ Mittlerweile würden ihnen die Kosten für die Dolmetscher davonlaufen.

„Mit der Scheinselbstständigkeit – das ist ein Wahnsinn“, bilanziert er. Es gebe mittlerweile neue Wege, um die in Österreich eingeführte Haftung von Generalunternehmern, damit Finanz und Sozialversicherung zu ihrem Geld kommen, zu umgehen, etwa zwischengeschaltete Leasingfirmen. Auf der Strecke blieben bei diesen Machenschaften die typischen Klein- und Mittelunternehmen.

Beim Rundgang durch das Welser Finanzamt unter der Führung von Vorstand Franz Jaksch machten Bedienstete den Staatssekretär zuvor auf ein anderes Problem aufmerksam, das erst durch die vorjährige Steuerreform nun beim Steuerausgleich akut wird: die Möglichkeit, 220 Euro als Kinderfreibetrag absetzen zu können. Dieser sei wegen des bürokratischen Mehraufwands „ein Wahnsinn“, klagt eine Mitarbeiterin. Teilweise werde dieser Betrag sogar von Personen beantragt, die ohnehin keine Steuer zahlen. Im Jänner seien es an manchen Tagen bis zu 90 Prozent Ausländer gewesen, die sich wegen der Familienunterstützung erkundigt hätten, erinnert sich eine Dame im Infocenter im Erdgeschoß.

„Freibetrag – so ein Schmarren“

In Steyr fällt das Urteil über den Freibetrag bei den Finanzbeamten noch deftiger aus. „So a Schmarren mit dem Familienpaket“, grollt Franz Pramhas, der Teamleiter im Infocenter. Der Vorstand des Finanzamtes in Steyr, Walter Littringer, drückt es genau so, aber in gemäßigteren Worten aus: Man sei darüber „überhaupt nicht glücklich“. Das gibt Lopatka zu denken, obwohl sich gerade die ÖVP die Maßnahmen für die Familien bei der Steuerreform auf ihre Fahnen geheftet hat. Er sei dagegen, „krampfhaft“ an etwas festzuhalten, wenn es keine sinnvolle Lösung sei, verspricht er.

Nur beim Personal macht Lopatka „seinen“ Mitarbeitern, die Veränderungen und die Reduktion von 81 auf 40 Finanzämter – weniger Vorstände sind nun für die Standorte verantwortlich – miterlebt haben, neben viel Lob keine besonderen Hoffnungen: „Wir müssen uns selbst am Riemen reißen.“ Jedenfalls hat er bei seinem Ausflug nach Oberösterreich einiges dazugelernt, bevor es im Zug nach Wien geht. Unbehelligt, auch wenn Lopatka sich zuletzt für Eingriffe bei den Eisenbahnerpensionen starkgemacht hat.

AUF EINEN BLICK

Kiab gegen Schwarzarbeit. Im Finanzministerium wurde 2002 eine Einheit zur Kontrolle illegaler Arbeitnehmerbeschäftigung (Kiab) eingerichtet. Deren Tätigkeit zur Bekämpfung von Abgaben- und Sozialversicherungsbetrug betrifft Aus- und Inländer. Die Kiab wurde von 98 auf 310 Personen stark ausgeweitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2010)

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