Ein Journalist als einsamer Warner 1938

Otto Leichter schilderte die Ohnmacht der Arbeiterklasse.

„Es scheint, als ob der traurig-schmähliche Tod Österreichs nicht der letzte Akt der Tragödie der Selbsterniedrigung der Welt vor dem Faschismus gewesen sei.“

Mit dieser bitteren Schlusspointe, die sich bald bewahrheiten sollte, beendete der sozialistische Journalist Otto Leichter am 25. September 1938 sein Werk „Ein Staat stirbt“. Er schrieb es im Amsterdamer Exil unter dem Pseudonym Georg Wieser, und noch heute verspürt man die flammende Empörung des Autors über das Unvermögen der Arbeiterklasse in den Jahren 1934 bis 1938, den europäischen Faschismus aufzuhalten.

Es handelt sich um eine Neuauflage, die dem Wiener Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien zu danken ist. Bis dato war das Buch nur in wenigen öffentlichen Bibliotheken greifbar, weil es in Österreich nicht verbreitet werden durfte. Und auch nach 1945 kümmerte sich die Geschichtswissenschaft kaum um diese präzise Darstellung eines Funktionärs, der aus dem Innenleben der illegalen Sozialistischen Arbeiterpartei berichtete – in Form einer packenden Reportage, die in eine scharfe Analyse mündet und den Genossen noch Hoffnung machen sollte, dass das Ärgste verhindert werden könne. Exakt vier Tage vor Unterzeichnung des berühmten Münchner Abkommens, mit dem die Westmächte Hitler die Heimholung der sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei gestatteten, schloss Otto Leichter sein Werk ab. Er wusste nicht, was noch kommen werde. Aber: Wenn die „Tschechei“ falle, werde es Krieg geben, meinte er. Und er hat sich nur um einige Monate geirrt.

Der älteren Generation wird der Name Otto Leichter noch ein Begriff sein. Er landete nach mehreren Stationen in Amerika, kehrte nach 1945 zwar wieder nach Wien zurück, war aber von der versöhnlichen Politik der SPÖ in der Koalition mit dem „Klassenfeind“ enttäuscht und ging 1949 wieder zurück in die USA, von wo er bis zu seinem Tod 1973 als Korrespondent für die tüchtige „Arbeiter-Zeitung“ berichtete.


Georg Wieser (Otto Leichter)
„Ein Staat stirbt. Oesterreich 1934–38“,
New Academic Press, 259 Seiten, 19,90 €

NS-Alltag in Niederösterreich

„60.000 Reichsmark kostet dieser Erbkranke auf Lebenszeit. Volksgenosse, das ist auch Dein Geld. Lesen Sie Neues Volk, die Monatshefte des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP!“ Das Plakat zeigt ein erbarmungswürdiges menschliches Wrack. Entstanden während der NS-Zeit, deren Alltagssituationen in Niederösterreich dieses Werk dokumentiert. So schreibt im März 1944 die elfjährige Lotte Kaluzik an „meinen Führer“. Ihre Mutter habe ihr gesagt, der Vater werde nicht mehr heimkehren. Hitler möge ihr helfen, sie verspreche dafür „ewige Dankbarkeit“. Der Vater kam nicht mehr heim. Auf dem Bittbrief steht mit Rotstift von fremder Hand apodiktisch: „Todesurteil“.

Die Recherche der beiden Herausgeber kann nicht genug gewürdigt werden. Neben dem Sichten von Gemeinde- und Stadtarchiven haben sie sich der Mühe unterzogen, unzählige Zeitzeugen zu interviewen. Die zeitgenössischen Fotos und Dokumente ergänzen dieses wichtige historische Werk.


Margarethe Kainig-Huber, Franz Vonwald (Hg.)
„Schreckensherrschaft in Niederösterreich 1938–1945“,
Kral-Verlag Berndorf, 400 Seiten, Großformat, 39,90 €

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2018)

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