Tisch-Geschichte

Fast zwanzig Jahre lang haben wir an diesem Tisch gegessen und getrunken, haben auf ihm Kekse ausgestochen und mit Sekundenkleber gepatzt. So sah er schließlich auch aus.

Ich kann mich noch erinnern, wie wir ihn gekauft haben. Hannah war erst ein paar Monate alt, die Wohnung noch alles andere als eingerichtet, und ich schob den Kinderwagen durch die endlos langen Gänge von Ikea – da stand dieser Küchentisch: Fichte, hell und freundlich, mit weiß lackierten Beinen. Man konnte ihn ausziehen, das war wichtig. Und er war nicht zu teuer, das war noch wichtiger. Einen Tag später wurde er geliefert, wir hatten ja kein Auto. Das haben wir immer noch nicht, aber das ist eine andere Geschichte.

Ich kann mich noch erinnern, wie Hannah mit einem blauen Kugelschreiber auf dem Tisch herumgekritzelt hat, irgendeinen Kopffüßler. Ich glaube, ich habe geschimpft. Der schöne Tisch! Wenn ich damals gewusst hätte, was der noch alles würde aushalten müssen, ich hätte nur gelacht: Erwachsene, die Rotwein verschütten, im Streit schon einmal einen Teller zerschmettern und beim Abmanteln eines Kabels mit dem Stanleymesser ausrutschen. Kinder, die im Takt zu „Wir haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Durst“-Rufen mit dem Besteck auf die Tischplatte hämmern und Plastilin mit dem scharfen Messer schneiden. Auf diesem Tisch haben wir fast zwanzig Jahre lang gegessen und getrunken, Kekse ausgestochen und Kerzen gezogen, gemalt, gebastelt und mit Sekundenkleber hantiert. So sah er schließlich auch aus. Überall Schrammen und Flecken, an etlichen Stellen war der Lack abgegangen, und das Holz darunter schimmerte gräulich.

Nostalgische Kinder. Ich wollte ihn weggeben und einen neuen kaufen. Aber das war nicht so leicht. Erstens: Was tut man mit einem ausrangierten Tisch? Wo wirft man so etwas weg? Und zweitens: Der Rest der Familie war strikt dagegen. Für Hannah und Marlene, die ihn jahrelang arg malträtiert hatten, war es plötzlich „unser Tisch“, Kinder sind ja viel nostalgischer als Erwachsene. Und mein Mann will sowieso nie, dass sich etwas ändert. Also habe ich ihm noch eine letzte Chance gegeben. Zuerst habe ich ein Eck abgeschliffen, sehr vorsichtig, dann zunehmend mutiger. Und siehe da: Unter der schäbigen Oberfläche fand sich helles, leuchtendes Holz. Hatte es früher auch so seidig geglänzt? War die Maserung schon damals so schön gewesen?

So restaurierte ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Tisch. Ein paar Macken sind natürlich geblieben. Der Brandfleck von einer heruntergefallenen Zigarette ist nicht herausgegangen. Am Eck sieht man noch Kratzer. Und dort: Dieser blaue Abdruck, stammt der nicht von einem Kugelschreiber? Vielleicht auch darum: Der Tisch ist wunderschön. Zur Sicherheit habe ich ihn viermal lackiert, ich hoffe, das reicht.

Wir werden sehen, wie lang er diesmal hält.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2018)

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