Maryse Condé: Familie auf Karibisch

Alternativer Literaturnobelpreis 2018: Maryse Condé.
Alternativer Literaturnobelpreis 2018: Maryse Condé.(c) APA/AFP/ADRIAN DENNIS (ADRIAN DENNIS)
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Wir wohnten in Paris in einer Erdgeschoßwohnung im siebenten Arrondissement. Dort war es ganz anders als in Pointe-à-Pitre, wo wir zu Hause eingesperrt wurden. Eine Kindheit zwischen Frankreich und Guadeloupe.

Hätte jemand meine Eltern zu ihrer Meinung über den Zweiten Weltkrieg befragt, hätten sie ohne zu zögern geantwortet, es sei die dunkelste Zeit gewesen, die sie jemals erlebt hatten. Und zwar nicht wegen der Zweiteilung Frankreichs, der Lager in Drancy oder Auschwitz und der Vernichtung von sechs Millionen Juden. Und auch nicht wegen all der nach wie vor ungesühnten Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sondern, weil sie sieben endlose Jahre lang auf das verzichten mussten, was für sie am allerwichtigsten war: auf ihre Reisen nach Frankreich. Für sie war Frankreich keineswegs der Sitz der Kolonialmacht.

Es war wirklich ihr Mutter-Land und Paris die Lichterstadt, die allein ihrem Leben seinen Glanz verlieh. Meine Mutter lag uns ständig in den Ohren mit Beschreibungen, wie wunderbar das Temple-Viertel war und der Markt St. Pierre und dazu noch die Sainte-Chapelle und Versailles. Meinem Vater war das Musée du Louvre lieber und das Tanzlokal La Cigale, das er als Junggeselle besucht hatte, um sich zu amüsieren. Und so nahmen sie ab Mitte 1946 wieder mit größtem Vergnügen das Passagierschiff, das sie nach Le Havre bringen sollte.

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