Ästhet der organischen Chemie

„Es ist einfacher, Profi-Chemiker und Amateurmusiker zu sein, als umgekehrt“: Nuno Maulide, soeben zum „Wissenschafter des Jahres“ 2018 ernannt, an dem alten Klavier, das nun im Institut für organische Chemie (Wien 9, Währinger Straße 38) steht.
„Es ist einfacher, Profi-Chemiker und Amateurmusiker zu sein, als umgekehrt“: Nuno Maulide, soeben zum „Wissenschafter des Jahres“ 2018 ernannt, an dem alten Klavier, das nun im Institut für organische Chemie (Wien 9, Währinger Straße 38) steht.APA/HANS PUNZ
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Nuno Maulide, Chemiker an der Universität Wien, wurde vom Klub der Wissenschaftsjournalisten als „Wissenschafter des Jahres“ ausgezeichnet.

Wer sich über den ungerecht schlechten Ruf der Chemie ärgert, hat in Nuno Maulide einen beredten Mitstreiter. „Wie kann so etwas sein?“, fragt er: „Wasser ist eine Chemikalie, der Mensch ist eine Chemikalienmaschine, also wie kann das Wort Chemikalie einen schlechten Ruf haben?“ Er selbst ist Vertreter der organischen Chemie, jenes Teilgebiets, das sich mit den überaus zahlreichen Verbindungen des Kohlenstoffs befasst. Auf solchen basiert alles Leben, man kann aber auch eine Fülle organischer Verbindungen synthetisieren, auf die das Leben noch nicht gekommen ist. „Wir machen jeden Tag in unserem Labor neue Moleküle, die noch nie auf der Erde waren“, sagt Maulide, „das ist schon sehr spannend.“

Für gewöhnlich teilen sich die organischen Chemiker in solche, die an der Verfeinerung von Synthesemethoden arbeiten, und solche, die an der Totalsynthese von Naturstoffen arbeiten. „Wir machen beides“, sagt Maulide über seine Arbeitsgruppe. Ein Naturstoff, für den sie einen Syntheseweg gefunden hat, ist Chinin, das aus der Rinde des Chinarindenbaums gewonnene Medikament gegen Fieber und Malaria, auch geschätzt als bitterer Aromastoff für Getränke wie Tonic Water. „Dabei haben wir ein verwandtes Molekül entdeckt, mit einem Benzolring statt der Vinylgruppe, das dreimal so wirksam ist und sogar leichter zu synthetisieren ist“, erzählt Maulide: „Wir sind ja stets auf der Suche nach einfacheren Synthesen – nach dem Motto Einsteins: Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher.“

Methodisch befasst sich Maulide etwa mit dem Einfügen von Fluor-Atomen in Moleküle und mit Umlagerungen in schwefelhaltigen Verbindungen. Oft kommen in seinen Arbeiten energiereiche und daher kurzlebige Zwischenprodukte vor, die sich von selbst umarrangieren und dabei manchmal ganz unerwartete Produkte ergeben.

Unkonventionelle Syntheseschritte machen ihm hörbar Spaß, dazu passt seine Antwort auf die Frage, welche Verbindungen ihn ästhetisch am meisten ansprechen: „Die schönste Symmetrie ist die, die nicht sofort erkennbar ist.“ Durchaus nicht simpel an der Strukturformel erkennbar ist auch, ob eine Verbindung gut riecht. Hier sind dem Team schon einige für die Parfümindustrie interessante Stoffe geglückt, über die man freilich nichts Genaueres reden darf, weil sie eben für die Industrie interessant sind.

Möglichst nur ungiftige Nebenprodukte

Wichtig bei den Synthesen ist ihm immer die Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit: So gelang seinem Team unlängst eine Methode zum Knüpfen von Doppelbindungen zwischen Kohlenstoffatomen, bei der – im Gegensatz zur klassischen Wittig-Reaktion – nur ungiftige Nebenprodukte anfallen.

Dass Maulides Beziehung zur Natur – wie bei vielen guten Wissenschaftlern – auch eine ästhetische ist, spiegelt sich in seinem Hobby: Er ist ausgebildeter Konzertpianist, im chemischen Institut in der Währinger Straße hat er ein altes, wohl einst von Oskar Friedrich Olaj, Professor der physikalischen Chemie, gespieltes Klavier entdeckt, auf ihm musiziert er, wenn das chemische Abenteuer gerade eine Pause macht. Am liebsten mag er Johann Sebastian Bach, von dem er genug Stücke für fünf Stunden auswendig kann. „Ich bin immer aufs Neue erstaunt, auf welche mathematische Perfektion man kommt, wenn man diese unmittelbar berührenden Stücke analysiert.“ Beim Plaudern fällt Maulide eine Parallele zwischen Bachs Leben und dem heutigen Universitätsalltag ein: „Seine Bestellung als Thomaskantor in Leipzig verlief wie ein heutiges Berufungsverfahren: Es gab einen Dreiervorschlag, Bach war auf Platz drei, Nummer eins und zwei waren Telemann und Christoph Graupner, die verhandelten sich dann lieber an ihren alten Wirkungsorten in Hamburg bzw. Darmstadt bessere Bedingungen heraus. So sage ich Kollegen gern: Platz drei ist oft der beste . . .“

Auch solche Anekdoten erzählt Maulide bei seinen Vortragskonzerten an der Uni. Seine Forschung nicht nur den Kollegen, sondern auch interessierten Laien nahezubringen, ist für ihn selbstverständlich: „Letztlich werden wir auch von der Öffentlichkeit finanziert, und die Leute haben das Recht zu wissen, warum unsere Forschung wichtig für sie ist.“ (APA/tk)

ZUR PERSON

Nuno Maulide, geboren 1979 in Lissabon, studierte in Lissabon, Löwen (Belgien) und an der École Polytechnique Paris. Als Postdoc ging er an die Stanford University, dann ans Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mühlheim (Deutschland). 2013 habilitierte er sich in Bochum und wechselte an die Uni Wien. Er hat schon etliche Preise erhalten, zuletzt den Förderungspreis der Stadt Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2019)

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