Mit Federn, Haut Und Haar: Katastrophen, Mütter des Neuen?

Der Klimawandel ist Realität, aber das war er eigentlich immer schon. Genauso, wie Tomaten immer schon Gene hatten. Neu ist allerdings das Tempo des Wandels in einer von Menschen dominierten Welt, neu auch die durch Menschen veränderten Gene in besagten Tomaten. Wohl zu Recht fürchten sich moderne Menschen am meisten vor sich selber, denn was wir heute zustande bringen, degradiert den biblischen Angstmacher Gotteszorn zum Papiertiger.

Klimawandel und Gene gehörten übrigens immer schon zusammen, denn die vielen Wellen katastrophalen Artensterbens über die Erdgeschichte hingen immer auch mit Veränderungen des Klimas zusammen. Artensterben war immer einer der stärksten Motoren für die Artbildung. So etwa kam es am Ende des Erdmittelalters wohl auch im Zusammenhang mit Klimawandel zum Aussterben der großen Dinosaurier (die kleinen blieben uns als Vögel erhalten), gefolgt von wahren Artenexplosionen bei den Blütenpflanzen, den Insekten, Fischen, Vögeln und Säugetieren, also zu einer totalen Runderneuerung der Erde. Na bitte, könnte man meinen, die Katastrophe als Mutter einer schönen neuen Welt! Was also soll schlecht sein am "Global Warming"?

Es sei daran erinnert, dass Arten rasch aussterben, aber nur langsam neu entstehen. So etwa kam es in den letzten zehntausenden Jahren zu dynamischen Vorstößen und Rückzügen der Gletscher auf den Nordkontinenten. Dabei wurden in Europa wenig mobile Tiergruppen gegen die Alpen gedrückt und starben aus. Mit der Folge, dass es heute auf dem nord-süd-barrierefreien nordamerikanischen Kontinent zehn Mal mehr Kriechtierarten gibt als in Europa.

Es verschieben sich vor unseren Augen die Zugrouten und Brutgepflo genheiten der Vögel, die Winterruhe der Säugetiere, Insekten wandern ein etc. Wir beobachten viele dynamische Anpassungen. So brütete während der mittelalterlichen Warmzeit ein wunderlicher europäischer Ibis, der Waldrapp, in und um die Städte nördlich der Alpen. Er verschwand mit dem Ende des 30-jährigen Krieges, wohl auch im Zusammenhang mit der damaligen Abkühlung. Nun erwärmt sich just der Alpenraum doppelt so schnell wie die restliche Welt. Die Bedingungen für eine Wiederansiedlung der Waldrappe verbessern sich also - wenn sie Glück haben. Denn wenn die Erwärmung jene nordatlantische Pumpe lahmlegt, welche den Golfstrom antreibt, gäbe das sehr rasch Eiszeit in Europa. Unsere Schipisten wären von Herbst bis Sommer nutzbar, wir müssten sie nur mit Elch, Rentier und Eisbär teilen.

Klimawandel gepaart mit Barrieren tötet. Landwirtschaftssteppen und Kulturwüsten setzen den Ausweichversuchen von Fauna und Flora Grenzen - ähnlich, wie die Pflanzen der Alpen nur bis zum Gipfel ihres Berges ausweichen können. Alleine dadurch kam ein Artensterben in Gang, neben dem sich die Eiszeiten als harmloses Vorspiel ausnehmen. Das war's dann wohl. Denn auf Artneubildung in den nächsten ein bis zwei Millionen Jahren zu hoffen wäre absurd. Schließlich lebt ja auch Homo sapiens als biologische Art mit Ablaufdatum.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

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