Wie erzieht man Töchter?

Wie erzieht man Töchter? Spoiler: Nicht anders als Buben. Über ignorierte Matchbox-Autos, Fußball und die Schönheiten eines Atomkraftwerks.

Als Hannah vier oder fünf Jahre alt war, wünschte sie sich zu Weihnachten sehnlichst eine Lego-Gärtnerei. Eine Gärtnerei mit einer schwarz bezopften Gärtnerin samt Gießkanne und jeder Menge Blumen. Ich ging also in den Spielzeugladen, fand auch rasch das Gewünschte und entdeckte dabei im Regal daneben einen silbrig glänzenden VW-Käfer. Den kaufte ich ihr auch. Ich wollte nicht, dass sie nur „Mädchensachen“ unter dem Baum findet. Der Käfer verfügte über aufklappbare Türen, einen Rückzugmechanismus und fuhr ziemlich schnell. Gespielt hat Hannah fast nie mit ihm.

Da musste erst ein ferngesteuertes Feuerwehrauto kommen.

Als Hannah in der Volksschule war, besuchte sie einen Hort. Nach den Hausaufgaben gingen alle Kinder in den nahen Beserlpark, die Buben droschen im Käfig auf den Fußball ein, die Mädchen tollten auf der Rutsche herum oder beschossen einander mit Rindenmulch. Irgendwann wollte Hannah auch Fußball spielen, mein Mann musste deshalb bei der Hortleitung intervenieren, das war damals offenbar gar nicht selbstverständlich. Sie durfte in der Folge bei den Buben mitmachen, mein Mann trainierte mit ihr am Wochenende im Prater, und mein Vater schenkte ihr zum Geburtstag ein Trikot in den Farben Brasiliens.

Nach ein paar Monaten verlor sie das Interesse.


Technisches Museum. Als Hannah ins Gymnasium kam, interessierte sie sich für Naturwissenschaften. Ich ging mit ihr ins Technische Museum, besorgte ein Mikroskop und züchtete in der Vase Pantoffeltierchen. Irgendwann kam sie nach Hause, schwärmte mir von der Heisenbergschen Unschärferelation vor und erzählte mit leuchtenden Augen von der fantastischen Funktionsweise eines Atomkraftwerks. „Das ist sooo cool!“

Heute studiert sie Physik, und immer, wenn ich jemandem davon berichte, sagt derjenige entweder: „Echt, Physik?“ oder „Wow, ist ja cool“, oder er fragt: „Wie ist sie denn darauf gekommen?“ Was ich dann sage, ist: Dass sie eine großartige Physiklehrerin hatte. Dass ihr Gymnasium über ein hervorragendes Labor verfügte. Und dass Hannah immer schon super in Mathe war. Was ich nicht sage, aber jetzt hier schreibe: Dass wir ihr nie, nie erklärt haben, es sei „typisch Mädchen“, wenn sie nicht mit Matchbox-Autos gespielt hat oder lieber schwimmen gegangen ist. Oder dass es irgendwie „untypisch“ sei, wenn sie gern Formeln herleitet oder mit ihrem Vater so heftig rauft, dass sie ihm dabei fast einen Zahn ausschlägt. Wir haben sie alles Mögliche ausprobieren lassen, und dabei hat sie entdeckt, was ihr am besten gefällt. So, wie wir das bei einem Buben auch getan hätten.

Und das ist mein Beitrag zum Frauentag.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2019)

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