Der Staat muss seine Beziehung zu den Religionen überdenken

Was zu tun wäre, ist klar: das Konkordat abschaffen sowie alle religiösen Feiertage zugunsten staatlich-verfassungsbegründeter freier Tage.

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Der Karfreitagspfusch unserer Regierung birgt große gesellschaftliche Sprengkraft, was mir als Wissenschaftler und Bürger Sorge bereitet. Kleine Ungleichheiten muss die Gesellschaft aushalten, meinte Wolfgang Mazal völlig zu Recht. So gesehen war die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs zum Karfreitag so nötig wie ein Kropf – und Yom Kippur werden wir wohl auch aushalten. Der eigentliche Pfusch besteht nicht in der praktischen Lösung des Nichtproblems protestantischer Feiertag, sondern ist intellektueller Natur. Bedrückend etwa, wenn eine Regierung meint, dass sich für 96 Prozent der Österreicher „eh nichts ändert“ (über die restlichen vier Prozent fährt man drüber). So wurde den Protestanten ihr höchster Feiertag abgeschafft. Eine Minderheit derart zu behandeln ist ein Alarmzeichen für die Verfasstheit unserer Demokratie. Das lässt für den zukünftigen religiösen und sozialen Frieden im Land nichts Gutes erahnen.

Aus historischen Gründen besteht zwischen unserem Staat und dem Heiligen Stuhl ein 1933 (!) unterzeichnetes Konkordat. Abgesehen vom seltsamen Umstand, dass es 1957 erneuert wurde, könnte man natürlich für diesen Vertrag argumentieren, dass die überwiegende Mehrheit der Österreicher katholisch ist. Religiöse Minderheiten gab es bislang ja kaum, mit Ausnahme der in der Gegenreformation auf nahezu null reduzierten Protestanten und der durch die Nazis radikal vernichteten Juden.

Heute ändert sich das Bild rasch. Die religiöse Vielfalt nimmt zu, die Bedeutung der katholischen Kirche rasant ab – aus gesellschaftlichen und selbst verschuldeten Gründen. Es gab 2018 zwar neben 8000 Juden, 30.000 Buddhisten, 60.000 Aleviten, 300.000 Evangelischen, 700.000 Muslimen und fast 800.000 Orthodoxen immer noch fünf Millionen Katholiken, Mitglieder einer Kirche, deren Rolle sich freilich immer mehr auf Traditions- und Zeremonienpflege beschränkt. Gerade noch ein Zehntel der Katholiken besucht gelegentlich die Messe. Soll sein – auch bei den anderen Religionsgemeinschaften sind nicht alle aktiv. Allerdings ist der Sonderstatus der Katholiken durch das Konkordat heute nicht mehr zu rechtfertigen, immerhin gibt es ja auch bereits fast drei Millionen Konfessionslose. Angesichts dieser Zahlen so zu tun, als hätte sich seit den 1950ern bezüglich der Religionen nichts verändert in unserem putzigen Land, wird sich eher über kurz, denn über lang rächen. Jeder Versuch, die ohnehin schon verfahrenen Beziehungen der Religionen mit Gesellschaft, Staat und untereinander durch kleine Anpassungen zu stabilisieren, wird nur die bestehenden Ungleichheiten vertiefen. Dass etwa die Muslime rasch mehr werden, mag uns gefallen oder auch nicht, aber kann man ihnen deswegen religiöse Feiertage verwehren? Und warum an katholischen Feiertagen für alle festhalten, wenn tatsächlich nur noch höchstens 500.000 Leute diese widmungsgemäß nutzen? Ein zunehmend gefährlicher Anachronismus, der nichts dazu beiträgt, den Zusammenhalt im Staat zu fördern.

Was zu tun wäre, ist klar: das Konkordat abschaffen, ebenso alle religiösen Feiertage zugunsten staatlich-verfassungsbegründeter freier Tage. Sowie eine völlige Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften, einschließlich der Agnostiker und Atheisten. Das wird natürlich nicht geschehen, stattdessen driften wir weiter in Richtung immer stärkerer Konflikte.

Kurt Kotrschal, Verhaltensbiologe i. R. Uni Wien, Wolf Science Center Vet-Med-Uni Wien, Sprecher der AG Wildtiere/Forum Wissenschaft & Umwelt

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2019)

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