Marginalie: Franz Jonas – unter seinem Wert gehandelt

Der Bundespräsident (von 1965 bis 1974) war ein respektgebietender Sozialdemokrat.

Weil morgen also der große Tag ist, an dem Österreich über die zweite Amtsperiode des Bundespräsidenten befindet, darf die kleine Geschichte aus den Tiefen der Erinnerung hervorgekramt werden. Begonnen damit hat Andreas Koller in den „Salzburger Nachrichten“. Er zitierte den Journalisten-Doyen Hubert Feichtlbauer, der mit der „Wochenpresse“-Fotografin Nora Schuster einst beim Ehepaar Grete und Franz Jonas zu Besuch war. „Kaffee oder Tee?“, fragte Bundespräsident Jonas. Darauf seine Frau Grete: „Wir haben nur Tee!“ Und auf den Zusatz „Etwas dazu?“ sagte Grete Jonas: „Wir haben nur Birnen.“

Das kulinarische Angebot, es sei zur Ehrenrettung dieses respektgebietend einfachen Präsidentenpaares gesagt, hat sich im Laufe der Jahre denn doch erheblich gebessert. Im Frühjahr 1971 erschienen wir „Presse“-Menschen zu dritt in der Amtsvilla auf der Hohen Warte. Thomas Chorherr führte das Interview, sein jüngster Mitarbeiter im innenpolitischen Ressort durfte das Tonband bedienen, Marina Faust fotografierte. Und Grete Jonas mahnte zuzugreifen: „Essen S', Kinderl, Sie san so zart!“ In der Tat, das war sie, die Marina. „Ich hab grad ein Bischofsbrot gebacken“, nötigte die herzensgute Frau uns zur Jause.

Sozialdemokratisch sei dieses Präsidentenpaar gewesen, kommentierte im „Standard“ Gerfried Sperl die Koller'sche Episode. Er verwendete den Begriff, um zu demonstrieren, wie puritanisch Grete & Franz lebten. Und auch der Seitenhieb „das Gegenteil seines Nachfolgers Michael Häupl“ saß. Trotzdem war Franz Jonas in einem weit umfassenderen Sinn „sozialdemokratisch“: Aus einer ursprünglich mährischen Arbeiterfamilie stammend, hatte sich der Schriftsetzer in Volkshochschulkursen hochgearbeitet. Seine Ehefrau lernte er bei den Revolutionären Sozialisten kennen; beide engagierten sich im atheistischen Freidenkerbund und bei den Arbeiter-Abstinenzlern. Franz beschäftigte sich auch intensiv mit Esperanto. Weil, so hoffte man damals in der Arbeiterbewegung, die Verständigungsmöglichkeit über Sprachgrenzen hinweg Kriege ein für allemal verhindern würde.


Ein holder Traum, den Franz Jonas bald zerplatzen sah. Er stand 1919 mit dem Gewehr in Kärnten an der Grenze zum neuen jugoslawischen Königreich, das Gebietsansprüche auf das heutige Südkärnten erhob. Er wusste besser als nachgeborene Wiener Spötter um den „Abwehrkampf“ Bescheid.

Soldatisch und überkorrekt blieb er bis zum Tod 1974. Hannes Androsch: „Vor ihm hat auch der Kreisky Spundus gehabt.“ Als sich Jonas 1971 um eine zweite Amtsperiode bewarb, schleifte er uns Jünglinge mitleidlos quer durch Österreich. Seine Wahlkampftour war die reinste Tortur – für den Tross. Der alte Herr selbst trotzte Krankheit, Frühjahrsschnee in Tirol und Regengüssen in Oberösterreich, Hitze im Wiener Stadion. „Noch so a Woche, und i bin hin“, stöhnte „Presse“-Fotograf Rudolf Blaha. Aber er nötigte uns Respekt ab. Den haben wir auch heute noch vor diesem überkorrekten „Staatsdiener“ – im besten Wortsinn. hws

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2010)

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