Während Architekten für ihre Entwürfe beachtet werden, agieren Bauingenieure im Hintergrund. Dabei tragen sie als Projektmanager Verantwortung für die Umsetzung der Konzepte.
„Unter Bauingenieuren ist es nicht üblich, sich in Szene zu setzen. Viele sind auch nicht der Typ dafür. Dass es keine Bauingenieur-,Stars‘ gibt, mag aber auch damit zusammenhängen, dass sich deren Know-how schlechter in der Öffentlichkeit diskutieren lässt als ein architektonischer Entwurf“, erklärt Hans-Georg Jodl, Vorstand des Instituts für Interdisziplinäres Bauprozess-Management an der Technischen Universität Wien. Dabei sind es doch gerade die Bauingenieure, die das bauliche Design eines Architekten greifbar umsetzen. Und dazu ist Projektmanagement unumgänglich.
Stein auf Stein
Die TU Wien bietet ein Bachelorstudium in Bauingenieurwesen und Infrastruktur an, das die Fähigkeit zu analytischem und interdisziplinärem Denken, das räumliche Vorstellungsvermögen sowie das Abstraktions- und Modellbildungsvermögen schult. Nach sechs Semestern kann sich der Bachelor spezialisieren und zwischen konstruktivem Ingenieurbau, Bauwirtschaft und Geotechnik, Infrastrukturplanung und -management sowie dem interfakultären Masterstudium Materialwissenschaften wählen.
An der Fachhochschule Campus Wien hingegen kann man Bauingenieurwesen auch berufsbegleitend studieren. „Unsere Vorlesungen beschäftigen sich zu mindestens 30 Prozent mit dem Thema Projekt- und Baumanagement. Zusätzlich müssen die Studierenden ein zweimonatiges Berufspraktikum machen, um erste Erfahrungen zu sammeln“, erläutert Claudia Link-Krammer, Studiengangsleiterin der Bachelorausbildung „Bauingenieurwesen – Baumanagement“.
Wer sich für das sechssemestrige Studium entscheidet, erwirbt nicht nur die technischen Grundlagen, sondern auch Wissen im Bereich der Planung und Bauausführung, des Vertragsmanagements sowie der Kosten- und Terminplanung und deren praktischer Anwendung. Vertiefen lässt sich das im anschließenden Masterstudium „Bautechnische Abwicklung internationaler Großprojekte“. Forciert werden Bereiche wie Entwicklung und Planung sowie Organisation und Abwicklung von Großbauvorhaben, Projektfinanzierung, Controlling und Rechtsgrundlagen.
Steigende Bedeutung
„Der gesamte Bereich des Projektmanagements hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich an Bedeutung zugenommen. Die Bereiche der Projektentwicklung, Projektsteuerung, des Kosten-, Termin-, Risiko- und Chancenmanagements sowie des strategischen Claim- und Anti-Claim-Managements stellen hierbei die wesentlichsten Gebiete dar“, sagt Sämi Behnam, Leiter des Bachelorstudiengangs „Bauplanung und Bauwirtschaft“ sowie der Masterstudiengänge „Architektur und Projektmanagement“ und „Baumanagement und Ingenieurbau“ an der Fachhochschule Joanneum. Während das Bachelorstudium die Absolventen auf einen schnellen Berufseinstieg im Baugeschäft vorbereitet, verfügen Master über die wirtschaftliche, technische, soziale, kreative und Managementkompetenz für den Einsatz in strategischen Geschäftsfeldern und den Aufstieg in Führungspositionen. „Der hohe Praxisanteil wird in Projektarbeiten und Übungen anhand von Praxisbeispielen umgesetzt und gefestigt. Der Fokus liegt auf der Erarbeitung und Verwendung von Tools zur Abwicklung von Projekten, in der kritischen Reflexion von Projektergebnissen sowie in der Anwendung neuester facheinschlägiger Entwicklungen“, erklärt Behnam.
Die DIN-Norm definiert Projektmanagement als „Gesamtheit von Führungsaufgaben, -organisation, -techniken und -mitteln für die Initiierung, Definition, Planung, Steuerung und den Abschluss von Projekten“. Und obwohl die Bauwirtschaft ohne Maschinen nicht auskommt, spielen Menschen und der Umgang miteinander eine wichtige Rolle im Projektmanagement. Das haben auch die Bauingenieure erfahren müssen: „Oft erfahren sich Bauingenieure als stille Arbeiter, die im Kämmerchen vor sich hinarbeiten. Dabei gibt es keine Top-Techniker ohne Führungsqualitäten. Und deshalb bieten wir diverse Vorlesungen an, in denen die Studierenden Referate und Präsentationen machen müssen“, sagt Claudia Link-Krammer von der FH Campus Wien. Auch an der TU Wien werden Soft Skills als freie Wahlfächer angeboten, beispielsweise „Führung von Projektteams und Konfliktmanagement“, „Kommunikation und Rhetorik“ oder „Soziale Kompetenz“.
Disziplin, Neugierde und Lösungskompetenz sollten angehende Bauingenieure aber von Haus aus mitbringen, „denn das kann man an der Uni schlecht lehren“, ist Hans-Georg Jodl überzeugt.
An der Schnittstelle
Projektmanagement ist im Bauwesen vor allem eines: Schnittstellenmanagement. Die Bedürfnisse aller Beteiligten plus die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen nämlich unter einen Hut gebracht werden. „Gerade die Bündelung verschiedener Interessen und Ziele der Beteiligten stellt eine Herausforderung an die Soft Skills von Bauprojektmanagern dar.
An den Studiengängen ,Bauplanung und Bauwirtschaft‘, ,Architektur und Projektmanagement‘ und ,Baumanagement und Ingenieurbau‘ der FH Joanneum wird dieser Tatsache ein hoher Stellenwert eingeräumt, beispielsweise durch Lehrveranstaltungen in Teambuilding & Kommunikation, Präsentationstechnik oder Verhandlungstechnik“, zählt Sämi Behnam auf.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2010)