Im Juni ist es vorbei

Thomas Dormann hat sein bisheriges Arbeitsleben bei einem steirischen Automobilzulieferer verbracht. Nach jahrelangen Problemen schließt das Werk. Endgültig. Vom Verschwinden der Arbeit: aus der Serie „Krise & Alltag in Österreich“.

Das kann nicht jeder. Das muss sehrgenau gefertigt werden, auf sieben Tausendstel Millimeter.“ ThomasDormann hält einen kleinen stählernen Motorenteil in seiner Hand und erklärt voller Stolz die notwendigen Bearbeitungsschritte. Doch wirklich tragen kann ihn dieses Wissen nicht mehr, seine traurigen Augen sprechen einen anderen Text. Dormanns Unternehmen, der obersteirischeAutomobilzulieferer Maini Precision Products, ist seit November 2009 im Konkurs, der Masseverwalter lässt nur mehr offene Aufträge abarbeiten, dann wird zugesperrt. Und Dormann gehört zu den vier Mann, die bis zum Schluss da sein werden, auch wenn die Produktion bereits eingestellt ist. „Ich habe einen Schein als Staplerfahrer, deswegen bleibe ich noch einen Monat länger.“

Schon jetzt ist das Verschwinden der Arbeit unübersehbar. In der mächtigen Halle geht es einigermaßen ruhig her. Nur mehr drei der großen Fertigungsautomaten produzieren, gedämpft ratternd, vor sich hin – zuletzt waren es zwischen 30 und 40 gewesen. Schon tut sich die eine oder andere Lücke auf, und auf dem öligen roten Fliesenboden lässt sich unschwer ausmachen, wo bereits eine Maschine abgebaut und weggeschafft wurde. „Es gibt nur noch sechs Arbeiter in der Produktion“, so Dormann, der selbst für die Qualitätssicherheit zuständig ist. Der Masseverwalter hatte vor Jahresende alle 80 Beschäftigten gekündigt und 20 von ihnen lediglich auf wenige Monate neu angestellt. „Jeden Monat fehlt wieder jemand, mit dem du viele Jahre zusammengearbeitet hast“, erzählt Dormann.

Das Unternehmen, gegründet in den Siebzigerjahren, befand sich nicht zum ersten Mal in Schwierigkeiten. Schon vor drei Jahren konnte eine Insolvenz nur knapp in einen Zwangsausgleich umgewandelt werden, jetzt brachte die Wirtschaftskrise das Aus. „Als kleiner Schöpfer hat man ja keinen Einblick“, meint Dormann, scheinbar ratlos über das Ende. Aber im Kreis der übrig gebliebenen Arbeiter vor dem Kaffeeautomaten im winzigen Pausenraum findet sich dann ein ganzes Bündel von Gründen, allesamt konkreter als der bloße Verweis auf „die Krise“. Mit der Massenproduktion von Teilen für Motoren und Benzinpumpen sei das Unternehmen dem Preisdruck der Großen hilflos gegenübergestanden. Und Jahr für Jahr mussten die Lieferanten noch einmal billiger werden. Überdies habe das Management sich fast gänzlich einem einzigen Gegenüber ausgeliefert – dem Systemlieferanten Continental. Mit den Endkunden wie BMW oder Peugeot hat man gar keinen Kontakt. Die Vielfalt, die einst von Bosch über Hilti, von Magna bis zu Knorr Bremse reichte, wurde ohne Not aufgegeben. Immer wieder fällt das Wort „Management-Fehler“.

Denn auch die guten Zeiten sind den Arbeitern in Kindberg noch in frischer Erinnerung. „Wir haben gearbeitet wie die Trotteln und mit den Überstunden auch ordentlich verdient.“ Eine zweite Produktionsstätte in der Slowakei wurde eröffnet, diese hatte zeitweise mit 200 Mitarbeitern mehr als der steirische Mutterbetrieb mit 140. Doch dann ging es kontinuierlich bergab, es folgten mehrere Eigentümerwechsel, die Tochterfirma im Nachbarland wurde trotz niedrigerer Löhne erst zurückgefahren und schließlich voriges Jahr geschlossen. Jetzt sind sie selber dran.

„Viele überspielen es“, erzählt Dormann, „aber besonders die Frauen haben schon Tränen in den Augen gehabt.“ Mit fast 40 Prozent war der Frauenanteil im Unternehmen für einen Industriebetrieb recht hoch, neben den Maschinenführern gab es zahlreiche Jobs beim Sortieren und Verpacken. Und einige der Arbeiterinnen erwischt es in Kindberg nun schon zum zweiten Mal. Für die Älteren von ihnen wird es mehr als schwierig werden.

Dormann weiß zwar von seinem regelmäßigen Surfen auf der Website des Arbeitsmarktservice, „dass es momentan nichts gibt in der Metallbranche bei uns da“. Aber mit seinen 37 Jahren sei er noch jung genug für etwas Neues, im schlimmsten Fall müsse er halt pendeln, etwa ins eine Stunde entfernte Graz. Freilich hat auch dort der Autocluster – allen voran Magna Steyr – reihenweise Personal abgebaut, und zuletzt wurden im näher gelegenen Edelstahlwerk von Böhler Kurzarbeitsverträge in Kündigungen umgewandelt, wenn auch weniger als ursprünglich befürchtet. Dormann hat sein ganzes Arbeitsleben in derselben Halle verbracht. Gleich nach der Fachschule für Maschinenbau in Kapfenberg wurde er aufgenommen: „Ich habe mich am Donnerstag oder Freitag beworben und am Montag gleich anfangen können.“ Einige Jahre lang bediente er Drehmaschinen, erst solche, bei denen jeder Motorenteil einzeln eingelegt werden muss, später die schnell laufenden automatischen, bei denen parallel an sechs Spindeln bearbeitet wird, wo die Teile wie auf dem Fließband hektisch durchlaufen. Es waren wohl Millionen von Werkstücken, die Dormann an sich vorbeiziehen sah.

Aber die eintönige Arbeit reichte ihm nicht, und als ein Kollege aus der Qualitätssicherung in eine andere Firma wechselte, sah er seine Chance. In einem mehrmonatigen Wifi-Kurs in Graz ließ er sich qualifizieren, die letzten fünf Jahre kontrollierte er im Büro und Labor die Genauigkeit der Teile. Jetzt hofft er, dass ihm diese Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt größere Möglichkeiten eröffnet. „Qualitätssicherung brauchen sie auch in anderen Firmen.“ Der Wechsel vom Schichteln zu normalen Bürozeiten hatte ihm auch einen Nebenjob ermöglicht: Für die steirische „Woche“ berichtet er Samstag und Sonntag über die Fußballspiele der Region – von der Gebietsliga bis zur höchsten Spielklasse. Einige Hunderter sind da noch drin im Monat, und auch neben der Arbeitslosen, die auf ihn zukommt, darf er bis zu 366 Euro dazuverdienen.

Seine Frau arbeitet 25 Wochenstunden bei Spar, vom Hausbau ist nur mehr „ein kleinerer Kredit“ übrig. Vom Insolvenzfonds sollte auch noch eine Abfertigung für seine langen Jahre eintreffen, mit der rechnet Dormann aber erst in einigen Monaten. Die Familie werde also zurechtkommen, meint er, auch wenn nicht gleich neue Arbeit zu finden sein wird. Die Insolvenzeröffnung im Spätherbst hatte allerdings trotz aller erkennbaren Probleme die Belgschaft überrascht, und neben dem Oktobergehalt war auch das Weihnachtsgeld ausgefallen. „Das war nicht leicht, den zwei Kindern zu erklären, dass es heuer für das Christkindl nicht so gut ausschaut.“

Jetzt hoffen einige der gekündigten Arbeiter auf die Voestalpine nebenan. Dort werden Rohre für die Erdölindustrie erzeugt, auch dort hatte die Krise Kurzarbeit, Kündigungen und die Auslagerung von Beschäftigten in eine Stiftung erzwungen. Jetzt scheinen die Investitionen in der Energiebranche wieder anzuziehen, zwei Kollegen von Dormann können dort in Kürze anfangen. Und auch die Härterei, einst ein Teil von Maini, scheint eine neue Chance als eigenständiger, kleiner Betrieb zu bekommen – bereits jetzt Zuflucht für erste Insolvenzopfer.

Inzwischen hält Dormann gemeinsam mit ein paar Kollegen die Stellung – und wird auch in den nächsten Wochen das eine oder andere gewohnte Gesicht auf einmal nicht mehr sehen. Im Juni soll dann der Auktionator kommen und die restlichen Maschinen direkt hier in der Halle versteigern. Dann ist es endgültig vorbei. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2010)

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