„Frauen üben mehr“

Der Geiger Frank Peter Zimmermann über seine Stradivari und die Begegnung mit Ligeti, über Anne-Sophie Mutter und die Dirigenten, die Karajan am meisten hasste. Ein Gespräch.

Dass man auch mit Repertoire abseits des Gewohnten erfolgreich sein kann, beweist immer wieder der deutsche Ausnahmegeiger Frank Peter Zimmermann. Jüngst erst hat er das 2. Martinu-Violinkonzert für sich entdeckt, für das er nun weltweit wirbt. Im Vorjahr wurde der 1965 in Duisburg geborene, heute in Köln lebende Violinvirtuose für seine exemplarische Einspielung der beiden Szymanowski-Konzerte mit dem Deutschen Schallplattenpreis ausgezeichnet und bekam im Polnischen Kulturinstitut in Wien den begehrten Szymanowski-Preis überreicht. Diesen Herbst erhält er mit 10.000 Euro dotierten Paul-Hindemith-Preis der Stadt Hanau. Bei den kommenden Salzburger Festspielen frönt er seiner jüngsten Leidenschaft, dem Streichtrio, mit seinen prominenten Kollegen Antoine Tamestit und Christian Poltéra mit Beethovens Opus 9. Im Herbst ist er Rahmen des Schumann-Gastspiels des Gewandhausorchesters Leipzig im Wiener Musikverein mit dem Schumann-Violinkonzert zu hören.

Fühlen Sie sich als Nachfahre von Fritz Kreisler, Sie spielen seine Geige?

Kreisler war immer ein Vorbild für mich, ein Geigengott. Er ist einer der Geiger, die man schon nach einem halben Ton erkennt, eine riesen Persönlichkeit mit all seinen Macken, die er hatte. Es wäre ein großer Traum gewesen, ihn kennenzulernen, Milstein hat mir viel über ihn erzählt.

Was war das Typische bei ihm?

Dieses wirklich Wienerische, er war auch als Mensch eine so wunderbare Person, das spürt man mit jedem Ton.

Wie sind Sie zu seiner Stradivari gekommen, was sind die besonderen Eigenschaften dieses aus dem Jahr 1711 stammenden Instruments?

Ich kann die Geschichte nicht genau zurückverfolgen, ich weiß nur, dass sie lange in den Vereinigten Staaten war, nachdem Kreisler sie verkauft hatte. In Chicago ist sie in den siebziger Jahren an einen Geiger der Berliner Philharmoniker verkauft worden. Ich habe sie gesehen, wie ich mit dem Orchester gespielt habe, die Geige klang viele Jahre überhaupt nicht. Zwei Jahre war sie bei einem Geigenbauer in Berlin. Hier entdeckte man, dass eine zweite Holzschicht eingelegt worden war. Man weiß nicht genau, wann das passiert ist, jedenfalls erst nach Kreisler, sonst hätte er sie gar nicht gespielt. Ich habe die Westdeutsche Landesbank auf dieses Instrument aufmerksam gemacht und gesagt, ich würde gerne nochmals wechseln. Sie hat sie dann erworben und mir zur Verfügung gestellt.

Auf welcher Geige haben Sie zuerst gespielt?

Auf der „Dragonetti“, das ist auch eine wunderbare Stradivari, davor die „Hilton“. Die „Hilton“ habe ich von der Bank gekauft, im Moment spielt sie mein Sohn. Der Name hat nichts mit der Hotelkette zu tun, sie ist nach Dr. Reginald Hilton benannt, einem englischen Arzt, der Mitte des vorigen Jahrhunderts im Besitz dieser Geige war. Die „Dragonetti“ ist später nach Japan verkauft worden. Der berühmteste Vorbesitzer der „Dragonetti“ war der berühmte gleichnamige Kontrabassist, in den sechziger Jahren hatte sie Alfredo Campoli.

Woher rührt der Beiname der Kreisler-Geige, „Lady Inchiquin“, worin liegen ihre Besonderheiten?

Der Name kommt von einer englischen Lady, die diese Geige besessen hatte. Kreisler hatte sieben Geigen, man sagt, dass er hauptsächlich die Guernerius-Geigen gespielt hat. Die „Lady Inchiquin“ muss er um 1910 gespielt haben. Ich bin ziemlich sicher, dass er auf ihr das Elgar-Violinkonzert uraufgeführt hat. Sie hat im unteren Bereich ein unglaubliches Volumen und Sonorität. Es war für mich wie ein Schock, als ich sie bekam, ich musste jedes Stück neu erarbeiten. Sie hat mich musikalisch so verfeinert, das haben die beiden anderen Geigen nicht. Die „Hilton“ ist eine mittlere Stradivari, wo er wahnsinnig viel experimentiert hat, sie hat nicht diesen großen Ton. Würde man es mit einem lyrischen und einen Heldentenor vergleichen, wäre die „Hilton“ ein lyrischer Tenor. Die „Dragonetti“ war eine riesen Steigerung, hat aber nicht diese letzte Dimension wie die „Lady Inchiquin“. 1989 hatte ich ein Monat die Geige von Milstein. Er wollte sie mir verkaufen, das aber wollte die Tochter dann nicht, so musste ich sie zurückgeben. Von dem Moment an habe ich zwölf Jahre verzweifelt nach einem Instrument gesucht. Milstein spielte die berühmte „Goldmann“ aus 1715. Er hat sie nach dem Namen seiner Frau und seiner Tochter „ex Maria Therèse“ genannt. 1989 bot man sie für 1,2 Millionen Dollar an, dann schnellte sie auf 5 Millionen hinauf.

Ist die Geige wichtiger oder der Bogen, manche bezeichnen ihn als die Seele, als unmittelbare Verbindung zwischen Spieler und Instrument?

Beides ist wichtig, zuerst muss man die Geige fürs Leben finden. Ich habe mir früher nie etwas aus Bögen gemacht, vielleicht auch, weil ich bis dahin nie die passende Geige hatte. Ich habe das Glück, dass ich Michael Schwalbé, den berühmten langjährigen ersten Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, gut kenne, er ist so ein „Bogen-Freak“, hat viele Jahre in Paris gelebt und studiert. Er besitzt eine große Bogensammlung und hat mir zwei seiner schönsten Bögen vermacht. Die Bach-Violine-Cembalo-Sonaten habe ich auf einem Tourte gespielt, dann besitze ich noch einen Peccatte - das sind die Stradivaris und Guerneris unter den Bögen. Wenn man früher eine alte Geige gekauft hat, waren in dem Kasten drei oder vier solcher Bögen. Heute muss man sehen, wie man dazu kommt, die Bögen kosten um die 150.000 Euro und man bekommt sie kaum. Tourte ist bis Mozart das absolute Ideal, der Bogen ist so etwas wie eine zweite Haut, er ist ein bisschen weich ab Beethoven. Man hat das Gefühl, es ist wie Seide und die Saite wird umschmeichelt. Der Tourte ist die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit, der Pecatte hat diesen goldenen Klang, den man braucht für Brahms, dass einem die Seele aufgeht. Er hat auch die gewisse Härte, damit kann man alles spielen.

Schon mit sechs Jahren haben Sie als Berufswunsch „Weltgeiger“ genannt. Eine Vorahnung von Ihrer Weltkarriere, oder waren Sie sich damals schon sicher, dass Sie einmal ganz oben in der Spitze mitspielen werden?

Das kann ich so nicht sagen. Als Kind bin ich viel mit Musik in Berührung gekommen, mein Vater war Cellist bei den Duisburger Philharmonikern und hat mit seinen Kollegen am Sonntag immer Quartett gespielt. Meine Schwester ist zwei Jahre vor meiner Geburt mit sechs Jahren ganz schlimm an Krebs gestorben und meine Mutter hat auch als sie schwanger war immer nur Callas-Aufnahmen gehört und gesagt, sie wünschte sich, dass ich Musiker werde. Das hat sicher Einfluss gehabt. Ich wollte immer nur Geige spielen, nie Klavier oder Cello. Mit fünf bekam ich eine Geige, und das Tolle war, dass meine Eltern die ersten Jahre mit mir gemeinsam musiziert haben. Der Vater spielte Cello, die Mutter Geige, meist führten wir Triosonaten auf.

Der Ernst des Lebens begann bei Valery Gradow in Essen, der war kurz zuvor aus Russland geflüchtet. Nach zwei Jahren ging ich zu Saschko Gawriloff nach Berlin, da bin ich mit zeitgenössischer Musik in Berührung gekommen. Für seine Stunden musste ich nach Berlin fliegen und war dann der erste in Nordrhein-Westfalen, der vom Kulturministerium eine Schulbefreiung bekommen hatte. Ich hatte einen Lehrer am Nachmittag zu Hause, es ging darum, dass ich morgens Geige üben sollte. Das war schon ein Staatsakt, das ist jetzt auch bei seinem Sohn Serge gelungen. In Deutschland gibt es nicht diese Musikgymnasien, daher kann man nur diesen Weg gehen, denn das Problem besteht darin, dass man sonst in der frischen Zeit zwischen 9 und 13 Uhr in der Schule ist.

Ich erinnere mich noch gut an mein Klassenvorspiel bei Gawriloff als 13jähriger mit der dritten Ysaye-Sonate, der 24. Paganini-Caprice und den Vier Stücken von Webern - die Leute waren vor den Kopf gestoßen. Heute ist die 2. Wiener Schule wie eine Muttermilch, die immer in mir war. Daher auch meine Lust, immer wieder Neues zu entdecken. Ligeti habe ich damals immer wieder gesehen, Gawriloff hat öfter Stücke von ihm gespielt und seine Konzerte besucht, sie waren eng befreundet. Nachdem die drei Jahre Exklusivrecht abgelaufen waren, hat Gawriloff mich dann eingeladen, als zweiter das Ligeti-Violinkonzert zu spielen und es im Rahmen der Ligeti-Gesamtedition aufzunehmen. Es ist eines meiner schönsten und wichtigsten Erlebnisse, dass ich mit einem so universellen Menschen wie Ligeti zusammen arbeiten durfte, so habe ich aus erster Hand seine Wünsche gehört.

Nach Gawriloff sind Sie dann noch zu Herman Krebbers gegangen.

Mein Vater hat immer entschieden, wohin ich gehe. Bei Gradow bekam ich die technische Grundausbildung, das war ganz wichtig, ich musste alle Tonleiter spielen, Doppelgriffe, damals habe ich schon die Paganini-Capricen begonnen. So konnte ich mit 17, als mich die EMI fragte, sämtliche Capricen mühelos einspielen. Gawriloff hatte in der Zeit, als er mich unterrichtete, sehr viele Konzertverpflichtungen, so dass ich oft wochenlang keine Stunden hatte. Daher bin ich zu Krebbers gegangen, der in Düsseldorf gerade eine Gastprofessur hatte. Er konnte nach einem schweren Bootsunfall nie mehr auftreten und hatte sich ganz auf das Unterrichten verlegt. Die Zeit zwischen 15 und 18 Jahren ist immer sehr schwierig, Krebbers war für mich nicht nur Lehrer, sondern wie ein zweiter Vater. Er gab mir seine Erfahrung als Geiger weiter, bei ihm habe ich das ganze große Repertoire gelernt. Alle drei Lehrer waren nicht sehr streng mit mir, ich war damals schon ein richtiger Dickkopf und wusste, was ich wollte. Krebbers hat immer gesagt, wenn ich kam, war es, wie wenn ein gutes Gericht bereits vorbereitet gewesen ist, er hätte nur mehr die Petersilie drüberstreuen müssen.

Die Musikwelt, heißt es immer wieder, erobert man sich durch Erfolge bei großen internationalen Wettbewerben, Sie hatten dafür offensichtlich keine Zeit?

Vor mir stand immer die Karriere der großen Anne-Sophie Mutter, die zwei Jahre älter ist als ich und mit 13 schon mit Karajan auftrat. Auch in meiner Umgebung versuchte man, an ihn heranzukommen, aber das klappte nicht. Aus heutiger Sicht glaube ich, dass es einige Dirigenten gab, die mich als Gegenpol aufbauen wollten. Der erste war Celibidache - ich bin nach wie vor ein großer Verehrer von ihm, aber ich war zu jung. Einmal bin ich mit ihm vier Stunden das Brahms-Konzert durchgegangen, genauer den ersten Satz, und da nur die erste Seite. Da wusste ich gar nicht mehr, ob ich die Geige rechts oder links in der Hand halten soll. Er hatte so eine Art wie Ligeti: zuerst zerstören und einen dann langsam aufbauen. Ich bin nach Hause nach Köln gefahren und habe Celibidache abgesagt, aber schon eine Woche später bekam ich eine Einladung von Lorin Maazel.
Entscheidend war sicher mein Berliner Debüt 1981mit dem Mendelssohn-Konzert mit RIAS Berlin. Davon wurde eine Aufnahme gemacht. Der Berliner Agent Witiko Adler wollte für mich arbeiten und hat dieses Band immer wieder auf der Fahrt zwischen dem Flughafen Berlin-Tegel und dem Hotel oder der Philharmonie allen möglichen Dirigenten vorgespielt. Das Konzert mit Maazel war im Jänner 1983 bei der Mozartwoche in Salzburg mit den Wiener Philharmonikern mit Mozarts D-Dur-Konzert, KV 218. Von dem Moment an lief es. Von 1984 bis 1988 habe ich am meisten unter den Dirigenten gespielt, die Karajan am meisten hasste: Maazel und Barenboim. Er hat mein Paris-Debüt dirigiert, Maazel meine Debüts bei den großen amerikanischen Orchestern.

Die Gleichberechtigung ist überall im Vormarsch, ist das ein Grund, weshalb in den letzten Jahren so viele junge Geigerinnen ins Rampenlicht rückten oder nur Zufall?

Es gibt fast ausschließlich Frauen, die Probespiele gewinnen, wahrscheinlich üben sie mehr. In Asien machen Männer business, Frauen Musik. Was die Entwicklung in Europa anlangt, liegt es sicher daran, dass Frauen fleißiger sind. Aber ich bin zu wenig in Konzerten, um sagen zu können, oder sich darunter ein ähnliches Kaliber findet wie Anne-Sophie Mutter.

Zuletzt haben Sie Konzerte aufgenommen, die man im Konzertalltag kaum oder nur selten spielt: Busoni, Britten und die beiden von Szymanowsky, im „Philharmonischen“ letzten April haben sie das Ligeti-Konzert aufgeführt. Was reizt Sie an diesem Repertoire?

Man kann nicht immer die gleichen Sachen spielen. Das 2. Prokofjew-Konzert werde ich in meinen Leben wahrscheinlich nicht mehr spielen, das spielen so viele gut, da kann man besser Britten spielen. Demnächst fange ich mit dem 2. Martinu-Violinkonzert an. Das sind genau so gute Stücke. Vor drei Jahren habe ich mit Marek Janowski und dem Rundfunksinfonieorchester Berlin ein Projekt mit Konzerten aus den dreißiger Jahren gemacht. Auch durch Sawallisch habe ich viel kennengelernt, etwa die Konzerte von Barber und Hartmann. Das einzige, was ich aus dieser Zeit noch nicht gespielt habe, ist das Schoenberg-Violinkonzert, auch das Walton-Konzert fehlt noch. Ich lebe mit den Klassikern und vergöttere sie über alles, das Beethoven-Konzert kann ich jeden Tag spielen, aber es ist wichtig, dass man auch anderes macht und Uraufführungen in Auftrag gibt. Das Ligeti-Konzert führte ich 1997 zuerst in Würzburg und auf Tournee mit dem Philharmonia Orchestra unter Esa-Pekka Salonen auf, es ist mit Abstand das schwierigste unter den zeitgenössischen Stücken. Das Brett Dean-Konzert geht auch in diese Richtung, aber es ist so wie mit Ysaye und Paganini: Bei Paganini hat man kein Netz, wenn man runter fällt, ist man tot. Bei Brett Dean ist es eher so eine Art nordischer Technik, wo man irgendwie kneten kann.

In den vergangenen Jahren haben Sie sich mit einem Komponisten auseinandergesetzt, dem Sie früher etwas aus dem Wege gegangen sind: Johann Sebastian Bach. Was hat es mit dieser späten Liebe auf sich?

Ich gehe ihm immer noch aus dem Weg, ich traue mich einfach nicht.

Das stimmt nicht ganz, Sie haben zuletzt die Violine-Cembalo-Sonaten aufgenommen.

Ja, ich spiele auch die Konzerte und immer wieder Teile aus den Sonaten. Das Problem besteht darin, dass man es permanent machen muss. Um mich fit zu halten, muss ich aber auch anderes spielen. Wenn ich nur Bach spielte, könnte ich nicht Britten, kein Ligeti-Konzert spielen. Es geht nicht um Technisches, ich fühle mich einfach noch nicht sicher genug. Mein Thema sind weniger die Sonaten als die Partiten, ich weiß noch nicht, wie ich es angehen soll. Alle meine drei Lehrer waren keine Geiger für Bach, möglicherweise liegt auch darin ein Grund.

Ist das Beethoven-Violinkonzert immer noch Ihr Favorit?

Das ist einfach das Stück der Stücke, es gibt kein anderes Violinkonzert, das ich immer spielen könnte. Diese unendlichen Schwierigkeiten, mit denen man sein ganzes Leben verbringt, um es zu verbessern. Beim Brahms-Konzert gibt es immer wieder einen Punkt, wo ich sage, ich will es zwei Jahre nicht spielen, das gibt es bei Beethoven nicht. Hier gibt es so vieles, nehmen sie nur den zweiten Satz: Was sagen die paar Töne? Es ist so etwas auf den Punkt gebracht. Man steht da, das Tutti fängt an, es ist jedesmal das schönste Abenteuer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2010)

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