Ein Jahr Retro-Rauchpolitik!

Österreich feiert ein Jahr Ausstieg aus dem Nichtraucherschutz im Gastgewerbe. Eine verpatzte Gelegenheit.

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Vor genau 35 Jahren war es so weit: Nach heftigen Debatten und dramatischen Appellen an die Politik wurde die allgemeine Gurtenpflicht für Pkw in Österreich eingeführt. Die Gegner argumentierten, dass diese Regelung die Freiheit des Einzelnen unzumutbar beschränke. Heute hinterfragt sie niemand mehr. Angesichts der stetig sinkenden Zahl der Verkehrstoten kommt auch niemand auf die Idee, dass die Gurtenpflicht unangemessen wäre. Nach kurzem Raunzen hat sich der Österreicher – wie zu erwarten war – rasch daran gewöhnt.

Auch beim Nichtraucherschutz wäre so ein Verlauf möglich gewesen, wie uns Italien und zahlreiche andere Länder, ohne Lokalsterben und andere Weltuntergangsszenarien, vorexerziert haben. In Österreich kam es jedoch anders. Diese Woche feiern wir ein wenig erfreuliches Jubiläum: den Ausstieg aus dem 2015 beschlossenen Nichtraucherschutz in der Gastronomie, der per 1. Mai 2018 geplant war. Diese Entscheidung der damals frisch angelobten türkis-blauen Regierung war keineswegs eine Vernunftentscheidung für die Zukunft Österreichs, sondern ein profaner Kuhhandel, bei dem die Zustimmung der FPÖ zum Handelsabkommen Ceta mit dem Abnicken des Kippens eines zeitgemäßen Nichtraucherschutzes abgetauscht wurde. Warum die FPÖ so vehement die Stornierung des schon beschlossenen Gesetzes forderte, bleibt im Dunkeln – nur ein Schelm würde annehmen, dass all dies mit den nachgewiesenen Zahlungen der Tabakindustrie an FPÖ-nahe Thinktanks in Zusammenhang stehen könnte.

Mittlerweile ist durch zahlreiche Studien (drei davon durch den Autor selbst geleitet) hinreichend belegt, dass die nun weiter geltenden Regelungen zum Nichtraucherschutz in Lokalen österreichweit grotesk missachtet werden – dies war ja gerade einer der Hauptgründe für die ab Mai 2018 geplante Neuregelung. In Gastronomiebetrieben mit einem Raucher- und einem Nichtraucherbereich (sogenannte Mischlokale) konnten zu mehr als 80 Prozent massive Verstöße gegen das Tabakgesetz nachgewiesen werden, in nahezu allen findet ein deutlicher Übertritt von Passivrauch in den Nichtraucherteil statt. Trenntüren stehen weit offen, Qualm dringt ungehindert in Nichtraucherbereiche ein – Konsequenzen für die Lokalbesitzer gibt es quasi keine.

Todesfälle durch Passivrauch

Konservativen Schätzungen zufolge hätten seit Mai 2018 durch das nicht umgesetzte Gesetz deutlich mehr als 500 vorzeitige Todesfälle durch Passivrauch vermieden werden können. Das sind mehr als die durch die Gurtenpflicht verhinderten Verkehrstoten pro Jahr und sogar mehr als die derzeitige Zahl aller Verkehrstoten auf Österreichs Straßen! Nicht angeschnallte Fahrer gefährden in der Regel nur sich selbst, Raucher in Mischlokalen gefährden auch alle anderen Menschen im Lokal, nicht zu vergessen die Angestellten, die mehrere Stunden am Tag giftigen und zum Teil krebserzeugenden Chemikalien ausgesetzt sind.

Es bleibt zu hoffen, dass der Verfassungsgerichtshof die Wiedereinführung dieses schon zu seiner Einführung im Jahr 2008 völlig untauglichen Gesetzes kippen wird. Das wäre dann ein Ausstieg aus dem Kippen des Ausstiegs aus einem Gesetz – eine austriakische Kuriosität, die für große Erheiterung sorgen würde, wenn es nicht einen todernsten Hintergrund gäbe. Vielleicht wären sogar Kanzler Kurz und Vizekanzler Strache erleichtert darüber, denn es ist schwer vorstellbar, dass es Freude macht, eine derartig schlechte politische Entscheidung jahrelang verteidigen zu müssen.

DI Peter Tappler (* 1959) ist allgemein beeideter und gerichtlich beeideter Sachverständiger für Schadstoffe in Innenräumen, Vorsitzender der Interessengemeinschaft für fairen Wettbewerb in der Gastronomie und leitet ein technisches Büro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2019)

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