Eine Anfrage, die Klarstellungen verlangt

(c) Peter Kufner
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Die Vorwürfe gegen Generalstabschef Robert Brieger von SPÖ-Abgeordneten sind überraschend. Österreichs Bundesheer befindet sich seit Jahren in einem unerfreulichen Zustand, Landesverteidigung gilt als Unwort.

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Generalstabschef Robert Brieger, erst kurz im Amt, wird in einer intellektuell eher bescheidenen Textierung der parlamentarischen Anfrage 3433/J, vom 25. 4. 2019 (XXVI.GP), eingebracht von der SPÖ bzw. den Nationalratsabgeordneten Rudolf Plessl, Peter Wittmann und GenossInnen, vorgeworfen, er hätte „Schwächen des Bundesheeres“ in einer „schonungslosen Darstellung“ in einer „überschießenden Eigeninitiative und Geltungsdrang“ offengelegt.

Die Anfrage ist für alle, die den unerfreulichen Zustand des Bundesheers seit Jahrzehnten kennen, überraschend, weil es erstens die Pflicht jedes Generalstabschefs ist, Tatsachen offen auszusprechen („überschießend“?), zweitens, welche Geheimnisse von Bedeutung kann ein Staat haben, der mit einem Verteidigungsbudget von 0,5 Prozent des BIPs weltweit zu jenen wenigen zählt, die auf militärische Landesverteidigung wenig Wert legen und die das Heer in eine „Technische Nothilfe“ transformiert haben?

In der EU sind wir seit 1995 Schlusslicht. Es sei erinnert, dass schon General Edmund Entacher immer wieder vor einem extrem unterdotierten Bundesheer warnte und sich so bei der amtsführenden SPÖ unbeliebt machte. Norbert Darabos betonte, dass das Bundesheer (BH) als Hauptaufgabe den Katastrophenschutz und Auslandseinsätze zu erfüllen habe; alle Beschaffungen, so es seit 2005 welche gab, orientierten sich an diesen beiden Aufgaben. Die gesamte BH-Öffentlichkeitsarbeit vermied ein Jahrzehnt lang, jeden Hinweis auf Verteidigung, Waffen und Einsatz. Brieger hat das Bundesheer im jetzigen Zustand von seinem Vorgänger „geerbt“; Vorwürfe und Anfragen sollten daher an Vorgängerregierungen und Militärs gestellt werden, und ich nehme hier den engagierten Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil ausdrücklich aus.

Fehler in der Anfrage

Was die anfragenden Nationalratsabgeordneten erkennen lassen, ist erstaunliche Unkenntnis: Die Organisation und Stärke des Bundesheeres kann man im Org-Plan (Amtskalender, auf der Homepage des Verteidigungsministeriums, im Sipri, in Military Technology und den Mitteilungen an die OSZE und anderen Publikationen wie IHS-Jane's) nachlesen. Außerdem sollte bekannt sein, dass Terrorbekämpfung Sache des Innenministeriums beziehungsweise der Polizei ist, dass die Umfassende Landesverteidigung 1991 im Zuge der Friedenseuphorie beendet wurde, und alle Bemühungen seit 2018 diese wieder zum Leben zu erwecken, bislang am Bundeskanzleramt und dem untätigen Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus gescheitert sind. Das früher neutrale Schweden und die Schweiz riefen hingegen ab 2016 dringend wieder zu staatlichen und privaten Vorsorgen auf.

Landesverteidigung als Unwort

1995 hatte das Heer noch einen Personalstand von 45.000Mann, nun sind es knapp 28.000 und eine auf ein Drittel reduzierte Reserve. Und ein Staat, der 2013/14 eine sogenannte Sicherheitsstrategie verfasst hat, in die die militärische Verteidigung erst vom Innenministerium reklamiert werden musste (!), diese trotzdem von der Budgetpolitik ignoriert wird, passt zum politischen System dieser Republik, die seit 1955 mehrfach erklärt hat – siehe Aussagen von Julius Raab bis Franz Vranitzky –, dass das Bundesheer nie eingesetzt werde. Und nun sorgen sich genau jene Kräfte ob Brieger's Offenheit.

Militärische Kampfkraft fehlt

In einem Staat, in dem Worte wie „Kampfpanzer“ oder „Luftverteidigung“ verpönt und in dem man nur mehr „Kettenfahrzeuge“ bzw. „Luftpolizeidienst“ sagen soll, ist etwas in die falsche Richtung gelaufen. Denn das Kennzeichen militärischer Fähigkeiten kann man an Qualitäten und Quantitäten ablesen, etwa an Feuerkraft, Mobilität, Ausbildung, Durchhaltevermögen und Fähigkeiten wie dem „Kampf der verbundenen Waffen“ auf Brigadeebene: Feuer in die Tiefe des Gefechtsfelds (kaum vorhanden), Luftverteidigung (haben wir nicht), Luftaufklärung (auch nicht), taktische Luftunterstützung (auch nicht), Artillerieradars (auch nicht), weitreichende Boden-Boden-Waffen (auch nicht), Fliegerabwehr (kaum mehr), Zivilschutz (gibt es nicht). Eine Strategie oder Operation ohne Ziele und Mittel ist wertlos. Wir haben auf dem Papier vier Brigaden, davon eine Panzergrenadierbrigade (vor zwei Jahren waren es noch zwei, aber das hätte je einen Verband mit drei Kompanien à 13Panzern, 78 als Mindestausstattung erfordert – vorhanden sind nur 54). Dazu kommen in den vier Brigaden je 18155-mm-Geschütze, somit 72, vorhanden sind aber nur 30, aber 126 (!) wurden mit Schneidbrennern zu Altmetall, vom ORF als „zeitgemäße, erfolgreiche Sicherheitspolitik“ kommentiert. Rund 1000 schwere Waffen, darunter 240 modernisierte Jagdpanzer Kürrasier wurden zerschnitten.

Das Bundesheer wollte – siehe U-Ausschuss – 24 Eurofighter plus sechs Zweisitzer aus Tranche2/ Block 8, aber just die anfragende Partei „verglich“ sich auf 15 Einsitzer aus Tranche 1/Block 5, davon sechs gebrauchte Ex-Luftwaffe-Block-2-Flugzeuge. Dummheit oderstecken da doch auch andere Motive dahinter? Auch Tausende Lkw verschwanden dank diverser ÖVP-Finanzminister.

„Spionage“ im eigenen Heer?

Wie kann man gegen das eigene Heer Spionage betreiben, wenn man Mängel und Versäumnisse ständiger budgetärer Unterdotierung aufzeigt? Noch gibt es in Österreich Rede- und Meinungsfreiheit, oder haben die Anfragenden das übersehen? Warum wurde diese Anfrage nicht 2016 eingebracht – oder ist das eher nur missglückte Totalopposition? War Darabos' eigenmächtiger Verzicht auf Tranche 2 nicht politischer „Verrat“ an Bundesheer und Republiksvermögen, oder kommt da noch eine Anfrage?

Bleibt das Motiv: Da gibt es die aufschlussreiche Frage „Ist eine Abberufung und Neubestellung der Funktion des ChdGStb vorgesehen? Wenn ja, bis wann wird diese erfolgen bzw. wurde bereits der notwendige Ausschreibungsprozess gestartet? Das ist interessant, weil das in einer Anfrage nicht nur deplatziert ist, sondern versucht, Druck auf das Ressort auszuüben. Das könnte den Verdacht erhärten, jemand aus der SPÖ will unbedingt diese Funktion, bevor die Pensionierung zuschlägt. Nur, falsche Anschuldigungen und Verdächtigungen könnte man ebenso gut als gezielte Destruktion deuten; die Frage ist nur, zu welchem Zweck?

Die ausländischen Militärattachés sind viel eher über die geringen militärischen Potenziale des (noch neutralen) Österreich überrascht, das sich zwar offiziell ständig für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (Gasp), Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) oder eine „Europaarmee“ starkmacht, aber „postmodern“ UNO, OSZE, EU und den Europarat als „Sicherheitsgaranten“ vorschiebt, obwohl diese heute unübersehbar völlig handlungsunfähig sind. Das haben die Einbringer der Anfrage übersehen oder bewusst ignoriert. Hier daher die Richtigstellungen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der Autor

Friedrich Korkisch (*1940), Ministerialrat im Ruhestand. Studierte an mehreren Universitäten in den USA, war jahrelang im Bundesministerium für Landesverteidigung tätig. Lektor an der Landesverteidigungsakademie, zahlreiche Veröffentlichungen über militärische Entwicklungen und geopolitische Zusammenhänge.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2019)

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