Song Contest: Kitsch und Pathos ohne Reue

Second Semi Final - 2019 Eurovision Song Contest in Tel Aviv, Israel
Second Semi Final - 2019 Eurovision Song Contest in Tel Aviv, Israel(c) REUTERS (RONEN ZVULUN)
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Im Finale heute werden die Karten neu gemischt. Wer passt am besten zum schrillen Event, wem gönnen wir den Sieg – und was passiert nun mit der ausgeschiedenen Paenda? Ein Überblick.

Das Schöne am Eurovision Song Contest ist neben dem reuelosen Konsum von Trash seine Unwägbarkeit bezüglich der Gewinner. Prognosen stimmen selten. Heuer dürfte allerdings ein Mann gewinnen. Die beste Sängerin, die Lettin Sabine Zuga, schaffte es leider nicht ins Finale. Der Osten trumpft mit Modernität auf, während sonst stilsichere Länder wie Norwegen eher bizarre Beiträge entsandten.

Der Trash-Faktor

Über die Jahrzehnte hat sich der Eurovision Song Contest von einem lieblichen Chanson- und Schlagerwettbewerb zu einem schrillen Event entwickelt, dessen DNA aus Kitsch, Pathos und einem Schuss Wahnsinn besteht. Die Staaten des ehemaligen Ostblocks lieferten diesbezüglich lange die beste Mischung. Das hat sich gehörig verändert. Heuer sind es Island und Norwegen, die an der Grenze zur (sich meist lohnenden) Peinlichkeit balancieren. Lustvolles Fremdschämen ist mit martialisch rockenden Fetisch-Putzerln und gurgelnden Wikingern möglich. Die Russen und Aserbaidschaner hingegen bestechen mit State-of-the-Art-Ästhetik.

Song mit Botschaft

Der in Paris geborene, marokkanischstämmige Bilal Hassani zog im Vorfeld viel Hass auf sich. In Ethnie und Sexualität weicht er vom Mainstream ab, was für einigen Wirbel sowohl in Frankreich als auch in Marokko gesorgt hat. „Ja, ich erfinde mein Leben, fragt mich nicht, wer ich bin“, lautet eine Zeile in „Roi“, einem nachdenklichen Lied, das Toleranz einfordert und gut zum heurigen ESC-Motto „Dare to Dream“ passt. „Nur Gott kann dich und mich beurteilen. Was man selbst ist, haben wir uns nicht ausgesucht“, lautet eine weitere Schlüsselzeile. Hassani aktualisiert die Message von Conchita Wurst.

Leider ausgeschieden

Der vielleicht geschmackvollste Beitrag des heurigen Wettbewerbs kam nicht ins Finale. Die lettische Band Carousel performte „That Night“ beinah schmucklos mit Trommel, Kontrabass und Gitarre. Die gestisch zurückhaltende, aber stimmlich hochcharismatische Sängerin Sabine Zuga ist Opfer eines Zeitgeists, der in sanftmütiger Eleganz und Introvertiertheit keinen hohen Wert erkennt. Trostpflaster: Mit so einer Stimme sollte eine internationale Karriere gelingen.

Die Favoriten

Siegkandidaten provozieren Widerspruch. Ob die favorisierten Niederlande mit ihrem Kandidaten Duncan Laurence reüssieren können, muss sich also erst weisen. Aserbaidschan könnte überraschen. Der virile, 28-jährige Chungiz verwöhnt mit einem nicht bloß gemütsaufhellenden, sondern euphorischen Disco-Song namens „Truth“. Auch Tschechien hat eine superbe Nummer am Start. „Friend of a Friend“ charmiert mit beinah britischer Anmutung. Der Franzose Bilal Hassani gilt vielen als Geheimfavorit, weil er für die Forderung nach Inklusion steht. Auch Italien beschickt das Finale mit einem halb arabischen Kandidaten. In Zeiten, in denen in Europa der Rassismus auf dem Vormarsch ist, wäre die Wahl von Mahmoud genauso wie jene von Hassani ein schönes Zeichen. Starke, weibliche Beiträge sind heuer rar. Einzig der 18-jährigen Michela aus Malta ist ein Spitzenplatz zuzutrauen.

Die Österreicher beim Song Contest

„Paenda werden wir wohl nach dem ESC China zurückgeben müssen“, scherzte ein heimischer ESC-Fan im Internet. Selbst jener Teil der Österreicher, der sich gern patriotisch aufpudelt, kann der 30-jährigen Steirerin nicht gram sein. Sie hat bei ihrer Performance, trotz kleinerer Brüchigkeiten, alles richtig gemacht. Über ihren Mangel an Charisma konnten allerdings weder blaue Haare noch Tätowierungen hinwegtäuschen. Am Ende war es dann doch zu konventionell unkonventionell. Dass nicht nur große Musiker wie Udo Jürgens beim ESC erfolgreich sein können, bewies das musikalische Leichtgewicht César Sampson. Nach seinem dritten Platz im Vorjahr hat Sampson gerade mal eine Single veröffentlicht. Und auch Conchita Wurst, 2014 mit einem erfrischend radikalen visuellen Konzept siegreich, ist in der Sackgasse. Tom Neuwirth, der Mensch hinter der Kunstfigur, kann sich weder vom nur begrenzt haltbaren Image lösen, noch irgendetwas Neues von Wert produzieren. Die Teilnahme an diesem Wettbewerb kann, wie man sieht, durchaus toxische Nachwirkungen zeitigen.

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