Nazi-Forscher kehrten wieder zurück

Die Universität Graz auf einem undatierten Archivbild zur Zeit des Nationalsozialismus.
Die Universität Graz auf einem undatierten Archivbild zur Zeit des Nationalsozialismus.APA/SAMMLUNG KUBINZKY
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Wie unterschiedlich die Instanzen der Entnazifizierung an den Unis agiert und welche Kontinuitäten einen Neuanfang erschwert hatten, untersuchten Zeithistoriker in Graz.

Österreichs Universitäten waren schon vor dem „Anschluss“ 1938 der Motor für die Etablierung deutschnationalen, antisemitischen und nationalsozialistischen Gedankengutes. In Graz und der Steiermark konzentrierte sich der Deutsch-Nationalismus schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert.

Die Region verstand sich als „deutsches Bollwerk gegen den Südosten“, erklärt Gerald Lamprecht, Professor für jüdische Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte in Graz. Diese spezielle steirische Entwicklung spiegelte sich an der Karl-Franzens-Universität wider. Tradierter Antisemitismus bewirkte unter anderem, dass es dort kaum jüdische Studierende und Lehrende gab. Entsprechend wenige Lehrende wurden im Vergleich zur Universität Wien 1938 entlassen.

Seilschaften statt Expertise

Eine Ausnahme bildete neben dem Nobelpreisträger Otto Loewi und dem steirischen Landesrabbiner David Herzog auch der Althistoriker Franz Schehl, der aufgrund seiner jüdischen Abstammung bald nach dem „Anschluss“ in die USA emigrieren musste. An seinem Institut übernahm 1941 der überzeugte Nationalsozialist Fritz Schachermeyr (1895–1987) den Lehrstuhl. Er gilt bis heute als einer der bedeutendsten Althistoriker Österreichs, obwohl er in der NS-Zeit an der Universität Graz vor allem die NS-Rassenbiologie in seinen Lehrveranstaltungen propagiert hat. Er wurde im Oktober 1945 entlassen, im April 1952 als Ordinarius an der Wiener Universität wieder eingestellt und war kein Einzelfall.

„Nach einem vorübergehenden Ausschluss vom Staatsdienst konnten viele nationalsozialistisch gesinnten Lehrenden wieder in den Wissenschaftsbetrieb zurückkehren“, konstatiert Lamprecht. Auch die Publikationen aus der NS-Zeit erschienen in vielen Fällen nach 1945 in Neuauflagen. Ausgetauscht wurden lediglich die Vorwörter. Der Inhalt stand nicht selten in der Kontinuität der NS-Zeit.

Ein wichtiger Grund für die mangelnde Konsequenz in der Entnazifizierung besonders beim akademischen Nachwuchs ist laut Lamprecht die Tatsache, dass die zuständigen Gremien sich aus Universitätspersonal zusammensetzten. Die Mitglieder der Kommissionen waren vor 1945 gemeinsam mit den NSDAP-Angehörigen an den Universitäten tätig gewesen. Seilschaften spielten, so Lamprecht, eher eine Rolle als die Expertise. „Persilscheine“ der in vielerlei Weise gut vernetzten belasteten Kollegen wurden gern entgegengenommen und bei der Entscheidung berücksichtigt.

Williges Auffangbecken

Nur sehr selten wurde überhaupt in Erwägung gezogen, zur Emigration gezwungene Wissenschaftler um ihre Rückkehr zu bitten. Denn die frei werdenden Lehrstühle begehrte der heimische Nachwuchs. Ganz abgesehen davon, dass sich die Frage der tatsächlichen Rückkehr für Vertriebene häufig nicht stellte, weil sich gerade bedeutende Naturwissenschaftler im Exil etablieren konnten.

Besonders die Österreichische Akademie der Wissenschaften in Wien fungierte als ein williges Auffangbecken für belastete Wissenschaftler. Johannes Feichtinger, der eine neue Geschichte der Akademie vorbereitet, weiß, dass jedes dritte aktive Mitglied der ÖAW 1948 ein Parteigänger der NSDAP gewesen ist. Die Akademiemitgliedschaft selbst jener ehemaligen Nationalsozialisten wurde aufrechterhalten, die an den Universitäten in den Ruhestand versetzt worden waren.

Hinzu kommt das allen wissenschaftlichen Einrichtungen gemeinsame Argument, dass diese ihren Bildungsauftrag nicht hätten erfüllen können, wenn Nationalsozialisten und opportunitätsorientierte Mitläufer hätten dauerhaft ausscheiden müssen. 1947/48 erfolgten Amnestiemaßnahmen, um personelle Engpässe zu überwinden. Sie blieben bis in die späten 1950er-Jahre wirksam, so Walter Manoschek, Politikwissenschaftler an der Universität Wien.

Lamprecht hat zusammen mit seinen Kollegen Susanne Korbel und Heimo Halbrainer vom Centrum für jüdische Studien in Graz mit einem Symposium den Vergleich der steirischen mit den übrigen österreichischen Universitäten ermöglicht. Dort wurden die Ergebnisse des vom Land Steiermark, vom Zukunftsfonds der Republik Österreich und von der Stadt Graz geförderten Forschungsprojekts diskutiert.

IN ZAHLEN

83Prozent betrug der Anteil ehemaliger NSDAP-Anwärter und Mitglieder in der Professorenschaft in Wien an der Medizinischen Fakultät, 77 an der Philosophischen und 71 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen.

92 Prozent
der Professoren der juridischen Fakultät galten im November 1946 trotz vorheriger Entlassungen als belastet. An der medizinischen waren es 94 Prozent, an der philosophischen 82 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2019)

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