Ich möchte eine gewählte Politikerregierung

Neuwahlen, bitte! Eine Expertenregierung auf Dauer ist keine Option. Wir sollten bald wählen.

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Nun haben wir also eine Expertenregierung und das vermeintlich freie Spiel der Kräfte im Parlament. Die neue Regierung ist seit Montag im Amt, und schon hört man Stimmen, die das nicht nur als vorübergehende Einrichtung sehen. Klingt doch verlockend: endlich echte Experten mit jahrelanger Verwaltungserfahrung in den Regierungsämtern, die jetzt sogar die eine oder andere lang gehegte Maßnahme umsetzen könnten. Und freie Mehrheiten im Parlament, wo sich nun die besten Ideen durchsetzen werden. Haben sich das viele nicht schon länger gewünscht?

Es ist für mich als Staatsbürger beruhigend zu wissen, dass wir in der Republik über qualifizierte Richterinnen und Beamte verfügen, die in einer außergewöhnlichen Situation als Kanzlerin und Minister einspringen können. Dennoch wird es hoffentlich bei einer kurzen Übergangszeit bleiben. Auch wenn selbstverständlich keine Regierung im eigentlichen Sinn gewählt wird, besteht hier doch ein wichtiger Unterschied: Keines der Regierungsmitglieder ist zu einer Wahl angetreten oder hat ein Programm zur Regierungsarbeit vorgelegt. Jedem einzelnen Mitglied kann von einer beliebigen Mehrheit im Nationalrat jederzeit das Misstrauen ausgesprochen werden. Die Regierung wird womöglich gezwungen sein, Beschlüsse des Parlaments umzusetzen, die sie selbst nicht für richtig hält.

Was leider nur wenig beachtet wird: Die Mitglieder der Bundesregierung sind seit dem EU-Beitritt Teil der Legislative. Im Rat beschließen sie europäische Gesetze. Dafür benötigen sie ein klares Mandat, welches in dieser Situation aber nicht gegeben ist. Bei aller Hoffnung auf das eine oder andere Transparenzgesetz lassen die Erfahrungen aus koalitionsfreien Zeiten keinen allzu großen Optimismus in Bezug auf das freie Spiel der Kräfte im Parlament zu. Insbesondere in Wahlkampfzeiten nehmen es manche Parlamentsfraktionen mit ihrer staatspolitischen Verantwortung nicht so genau. Der Anreiz, kurzfristig bei den Wählern zu punkten, ist dann doch stärker.

2008 wurden in einer berüchtigten Sitzung mit freier Mehrheitsfindung Milliarden an Wahlzuckerln verteilt. 2017 wurde trotz aller Beteuerungen zur Budgetverantwortung noch schnell der Pflegeregress ohne jede Gegenfinanzierung abgeschafft. Ich fürchte mich davor, was das freie Spiel der Kräfte diesmal an neuen Budgetbelastungen bringen wird.

Bitte keine Überraschungen!

Als Staatsbürger möchte ich weder vom Parlament noch von der Regierung überrascht werden. Ich möchte auch keine Konflikte zwischen Parlamentsmehrheiten und der Regierung. Ich wähle Parteien aufgrund der Wahlprogramme oder weil ich den handelnden Personen vertraue. Ich möchte ein Regierungsprogramm, auf das ich mich einstellen kann und an dem eine Regierung gemessen werden kann. Ich brauche keine Zufallsbeschlüsse, keine unüberlegten Geldgeschenke und keine wechselnden Absprachen im Parlament. Und ich möchte eine in der EU voll handlungsfähige Regierung.

Die Einsetzung der Expertenregierung durch den Bundespräsidenten nach der Abwahl der alten Regierung ist nachvollziehbar. Aber dieser Zustand sollte durch möglichst rasche Neuwahlen beendet werden. Mag sein, dass diese Ansicht gerade nicht in ist, aber ich möchte wieder rasch eine Politikerregierung. Regierungsparteien, die natürlich wiedergewählt werden wollen, aber die in der Zwischenzeit auch längerfristiger denken. Und eine Opposition, die die Regierung kontrolliert.

Auch wenn das bedeutet, dass wir dann nicht mehr nur von hoch qualifizierten Juristen regiert werden, sondern auch von Menschen, die „nur“ Lehrabschluss oder Matura haben. Aber ist das nicht eigentlich eine Errungenschaft der liberalen Demokratie?

Mag. Gregor Raidl (*1978) ist Angestellter und Neos-Bezirksrat in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2019)

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