Sparen auf dem Rücken der Soldaten

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Die Zeiten des Schönredens sind vorbei: Die finanzielle Unterdotierung des Bundesheeres hat ein unerträgliches Maß erreicht. Es stellt sich die Frage, ob das Heer noch in der Lage sein wird, seine Aufgaben zu erfüllen.

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Sicherheit war und ist keine Selbstverständlichkeit, auch wenn dies Nachkriegsgenerationen als Grundkonstante wahrgenommen haben und wenngleich aus österreichischer Sicht wenig bis gar nichts dafür beigetragen werden musste. Man war eingebettet zwischen Ost und West, in einem nuklearen und konventionellen Kräftegleichgewicht, man vertraute auf die Neutralität, die mit einem Feigenblatt geschützt wurde.

Historische Dokumente belegen aber, dass von Ost und West die Neutralität nie als ein Hindernis für einen militärischen Einsatz durch und über Österreich hinweg von beiden Seiten betrachtet wurde. Vielmehr war es das nicht ganz unumstrittene Raumverteidigungskonzept des österreichischen Bundesheers, das eine gewisse Abhaltewirkung erzielt hatte, auch wenn die logistischen Voraussetzungen nie realisiert wurden und der Zivilschutz ausgeklammert blieb.

Politik nahm Risiko in Kauf

Dieses Konzept – auch bekannt als Spannocchi-Doktrin – hätte ein rasches Durchstoßen durch Österreich verhindert und somit einem möglichen Aggressor keinen militärischen Vorteil bringen sollen. Damit wurde eine nachhaltige Abhaltewirkung nach außen erzielt, die Wehrhaftigkeit Österreichs war unter Beweis gestellt – der „Wehrigel“ wurde seinem Namen gerecht.

Zieht man jedoch die damalige Wehrfähigkeit in Betracht, so muss festgestellt werden, dass bereits damals das österreichische Bundesheer für diese existenziell wichtige Aufgabe finanziell unterdotiert war. Da für mechanisierte und fliegerische Kräfte nicht ausreichend Budgetmittel zu Verfügung standen, musste auf eine statische Einsatzführung zurückgegriffen werden. Wäre es damals zu einem militärischen Einsatz gekommen, so wären die Bunker und Verteidigungslinien der damaligen Raumverteidigung zu den Gräbern einer ganzen Generation geworden – daher war dieses Konzept auch so umstritten.

Seitens der Politik wurde dieses Risiko wissentlich in Kauf genommen – in der Hoffnung, dass ein solches Szenario nie eintreten würde, denn jeder Soldat weiß, was Krieg im Detail bedeutet. Bereits damals wurde auf den Rücken der Soldaten gespart, die mit Überzeugung zum Schutz Österreichs eingestanden waren, trotz der hohen persönlichen Risken von Verwundung und Tod im Falle eines Einsatzes.

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs verschwand mit einem Schlag dieses Schreckgespenst, und die Epoche des relativen Friedens in Europa schien angebrochen. Der Wohlstand stieg, die Politik der Konfrontation im Lichte des Zweiten Weltkrieges und des darauf folgenden Kalten Krieges wurde nicht mehr in staatlichen Gewaltakten und Blockaden fortgesetzt. Das Friedensprojekt Europa, getragen durch die EU und deren Vorgängerorganisationen, wurde zu einem Vorzeigeprojekt für die ganze Welt.

Trügerische Sicherheit

Aber eben dieser trügerische Zustand von der absoluten Sicherheit barg und birgt ein großes Gefahrenpotenzial in sich. Nach Jahrzehnten permanenten Friedens innerhalb Europas wird ein Krieg, der flächendeckend ganz Europa erfassen könnte, von vielen als völlig unmöglich eingestuft.

Aber ist dies wirklich die einzige Bedrohung, der wir ausgesetzt sind? Besteht die Gefahr, dass unser Fokus hauptsächlich auf der wirtschaftlichen Weiterentwicklung und im Ausbau des Wohlstandes und Sozialstaates liegt – als ob dies die einzig verfolgenswerten Ziele wären? Verhindert eben dieser hart erarbeitete, hohe Wohlstand eine Weiterentwicklung, um sich langfristig gemeinsam mit den europäischen Partnern gegen die neuen Bedrohungen unserer Zeit zu stellen?

Denn neue Herausforderungen und Bedrohungen liegen in einer globalisierten Welt direkt vor den Toren oder bereits in Europa, wie der Konflikt in der Ostukraine und die Kriege im Nahen Osten und Nordafrika tagtäglich zeigen. Hybride Kriege, Cyberbedrohungen, Terrorangriffe, Naturkatastrophen, unkontrollierte Migration, Blackout-Szenarien, Pandemien und so weiter sind die Risken und Bedrohungen, vor denen der Staat heute seine Bevölkerung zu schützen hat.

Die Zeiten des relativen Friedens sind vorbei! Es bedarf neuer Antworten auf die Sicherheitsfragen der Zeit. Das Bundesheer ist ein wesentlicher, sicherheitsrelevanter Faktor, befindet sich jedoch auf dem Scheideweg, ob es künftig überhaupt noch in der Lage sein wird, seine Aufgaben zu erfüllen.

Riesige Fähigkeitslücken

Der Verfassungsauftrag, die Budgetlage und der Realzustand des österreichischen Bundesheeres passen nicht mehr zusammen. Der Chef des Generalstabes, General Robert Brieger, hat daher in Abstimmung mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Mario Kunasek einen Appell an die Bevölkerung, aber vor allem an die Politik gerichtet. Der Bericht soll hier nicht zusammengefasst werden, er ist auf der Homepage des Bundesheeres (www.bundesheer.at) verfügbar. Aber allein schon die Tatsache, dass die oberste politische und militärische Führung gemeinsam ein solches Positionspapier erarbeitet haben, unterstreicht die Brisanz des Themas.

Auch der Bundespräsident und der nunmehrige Verteidigungsminister, Thomas Starlinger, weisen eindrücklich und mit klaren Worten auf die triste Situation hin. Die finanzielle Unterdotierung des Bundesheeres hat ein nicht mehr erträgliches Maß erreicht, davon kann man sich in jeder Kaserne ein Bild machen. Die Zeiten des Schönredens sind vorbei, zu groß sind die Fähigkeitslücken bereits geworden.

Verankert in der Bevölkerung

Die Forderungen nach einer Steigerung unseres Wehrbudgets auf 3,3 Mrd. Euro in den nächsten Jahren mit einem mittelfristigen Anstieg auf ein Prozent des BIPs sind die notwendigen Antworten! International wird auf die angesprochenen Unsicherheiten bereits reagiert. 2018 sind laut einer jährlich erscheinenden, verlässlichen Studie (Sipri) die weltweiten Verteidigungsausgaben wieder gestiegen, in Österreich nähern sie sich 2020 0,4 Prozent des BIPs.

Das Bundesheer ist durch die allgemeine Wehrpflicht und die Miliz tief in der Bevölkerung verankert. Das Bundesheer ist Teil der Bevölkerung – dies ist unser Selbstverständnis. Der Soldat ist gleichzeitig auch Bürger und trägt in mehrerer Hinsicht für den Staat, das Gemeinwohl, Verantwortung. Daher unterstützen die wehrpolitisch relevanten Vereine (Österreichischer Kameradschaftsbund, Offiziersgesellschaft, Unteroffiziersgesellschaft, um nur einige zu nennen) vollinhaltlich die aufgestellten Forderungen nach mehr Mitteln für die Landesverteidigung.

Denn Sicherheit geht uns alle an, Sicherheit bildet die Basis für nichts Geringeres als unsere Zukunft. „A little less conversation, a little more action, please“ – es ist an der Zeit zu handeln.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Mag. (FH) Reinhard Kraft (geboren 1978 in Mistelbach) ist Oberst des Generalstabsdienstes. Er war zuerst dem Streitkräfteführungskommando in Salzburg zugeteilt. Ab 2015 Dienst in der Flieger- und Fliegerabwehrtruppenschule Langenlebarn bei Tulln; seit 2018 ist er dort Kommandant. Zahlreiche Übungen und Einsätze im Ausland, unter anderem in Afghanistan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2019)

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