Wursthund statt Schoßhund

Aus Anlass der bellenden Frau Meinl-Reisinger: Karikaturen sind wegen ihrer Respektlosigkeit prinzipiell zu verurteilen. Und dringend notwendig.

Napoleon III. als Stachelschwein, Bismarck als Krake, Churchill als Bulldogge, Ludwig XIV. als Hausschwein, Julius Raab als Rabe? Der Mensch in Tiergestalt hat in der Karikatur seinen Platz, ist aber selten. Gerade hat das wieder für Aufsehen gesorgt: Neos-Chefin Meinl-Reisinger als Hündchen, das nach der Wurst giert, die ihm von Großspender Hans-Peter Haselsteiner offeriert wird. Der Neos-Parteisprecher – ein guter Mann, ich war in der „Presse“ vor Jahren sein Vorgesetzter – hat die Karikatur als „frauenfeindlich und geschmacklos“ verdammt und ihre Entfernung aus der Öffentlichkeit urgiert.


Menschen als Hunde sind offenbar ganz arg. Der „Stern“ feuerte 1951 nach Leserprotesten seinen jungen Karikaturisten Loriot, der Männchen gezeichnet hatte, die im Stresemann und mit Hut an der Leine geführt werden und Gassi gehen. Und soeben wurde die „New York Times“ wegen einer Karikatur geprügelt, in der ein blinder Trump von Netanjahu als Blindenhund (zur besseren Erkennbarkeit mit Davidstern am Halsband) geführt wird.


Die spannende Frage ist freilich, und das nicht erst seit Charlie Hebdo (die übrigens Marine Le Pen und Sarkozy als Hunde darstellten): Wie geschmacklos und darf Karikatur denn sein? Es gehört ja zu ihrem Wesen zu überzeichnen und die Mächtigen erträglich zu machen, indem wir über sie lachen und Schadenfreude empfinden können. Heute ist das aber noch heikler, weil viele Mächtige und Wichtige gleichzeitig einer „unterprivilegierten“ Gruppe angehören, etwa als Jude wie Netanjahu, als Frau wie Meinl-Reisinger oder als Schwarze wie Serena Williams, deren Zornanfall 2018 von einem australischen Karikaturisten angeblich rassistisch dargestellt wurde. Welche Überzeichnung ist da statthaft, welche Schadenfreude noch korrekt?


Karikatur ist wohl immer eine Gratwanderung. Ihre Respektlosigkeit hat oft etwas von Menschenverachtung an sich (und ich hege Sympathie für einen Parteisprecher, der auch im politischen Kampf guten Geschmack und Kavalierstugend einmahnt). Aber die Karikatur hat einen Wert für unsere Freiheit, weil sie wirksam den Mächtigen trotzt, weshalb sie in vielen Teilen Europas viel länger der Zensur unterworfen war als das geschriebene Wort. Heute gehört auch die politisch korrekte Elite zu den Mächtigen, deren Zensurgelüsten zu trotzen ist. Dass die wegen der Netanjahu-Karikatur angefeindete „New York Times“ sich dann gleich ganz von der politischen Karikatur losgesagt hat, ist ein trauriges Exempel der Selbstdomestizierung. Der Weg zum Schoßhündchen-Dasein ist vorgezeichnet.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2019)

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