Otto Pfister: "Als General kann man da nicht auftreten"

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Der deutsche Trainer Otto Pfister arbeitete in Ruanda, Burkina Faso und zehn weiteren afrikanischen Ländern. Nun erinnert er sich im Gespräch mit der "Presse" an „seine Buben“ und spricht über seine Sehnsucht nach Afrika.

„Die Presse“: 1972, Ruanda. 1976 Burkina Faso. Wie kamen die ersten Engagements zustande?

Otto Pfister: Das hat sich mehr oder weniger durch Zufall ergeben. Ich habe an der Sporthochschule in Köln studiert und danach mein Hobby mit dem Beruf verbunden. Mich haben schon immer andere Religionen, Lebensweisen und fremde Kulturen fasziniert, so war ich dann ziemlich bald in Afrika.

Was hat sich in Ruanda seit Ihrem ersten Engagement 1972 verändert?

Pfister: Leider nicht viel. Es gibt mehr Gebäude und einige sanierte Straßen in den Städten, aber an der sozialen Situation hat sich so gut wie nichts verändert. Es fehlt an der politischen Bildung, solange es die nicht gibt, ist es sehr schwer.

Und im Fußball?

Pfister: Mit dem Fußball ist das ein bisschen anders. Fußball ist dort eine Religion. Es gibt professionelle Ligen und unglaubliche Gegensätze. Es gibt Spieler, die verdienen um die 300.000 Dollar im Jahr, für ausländische Spieler werden bis zu einer Million Euro Ablösesumme bezahlt. Wenn Sie aber gleichzeitig die Entwicklung des Landes und die soziale Situation der Bevölkerung sehen, ist das alles paradox.

Sie wechselten 16-mal das Team bzw. das Land. Wurden Sie engagiert, weil Sie ein „Deutscher“, mit all seinen zugeschriebenen Vorurteilen und Tugenden sind?

Pfister: Natürlich. Den Deutschen wird ja vieles nachgesagt: strebsam, arbeitsam, pünktlich zu sein, Ehrgeiz, Know-how, „der weiß alles“. Da gibt es viele Klischees.

Sie haben einmal gesagt: „Fußball kann man nicht lehren.“ Was meinen Sie damit?

Pfister: Auf dem Papier bin ich ja Fußballlehrer. Alles, was trainierbar ist, kann man verbessern. Aber Fußballspielen ist nicht erlernbar. Das ist wie Musik oder Malerei, das ist Kunst. Wenn das einer nicht im Blut hat, kann er trainieren, so viel er will. Da geht nichts. Intuition, diese „Souplesse Naturelle“ („natürliche Geschmeidigkeit“, Anm.), das Gefühl für Zeit und Raum, das macht große Spieler aus. Wenn ich zu Referaten oder Symposien eingeladen werde, gibt es darüber immer tödliche Diskussionen. Ich bin der Meinung: Entweder er kann's, oder er kann's nicht. Der Rest ist Blabla.

Was bleibt da für den Trainer übrig?

Pfister: Ich appelliere bei meinen Spielern immer an ihre Professionalität und sage: Der liebe Gott hat euch dieses Talent gegeben, also verschludert das nicht. Das begreifen sie dann. Ich hatte auch nie Disziplinprobleme. Bei uns in Europa gibt es ja sogenannte Strafenkataloge. Wenn da einer fünf Minuten zum Frühstück zu spät kommt, bekommt er gleich Geld abgezogen. Das können sie mit einem Eto'o nicht machen. Wenn der fünf Minuten zu spät zum Frühstück kommt, das sehe ich gar nicht. Diese Buben muss man einfach ihrer Mentalität entsprechend behandeln. Als General kann man da nicht auftreten.

Inwieweit stimmen die vermeintlichen Vorurteile, der afrikanische Fußball ist „ursprünglicher“ oder „verspielter“ und „frei von jeder Disziplin“?

Pfister: In Lagos oder Accra sieht man tausende Buben im Staub rumkicken. So gewinnen viele von klein auf ein Gefühl für den Ball, Zeit und Raum. Ein großer Unterschied ist auch ihre mentale Stärke. Wenn dort ein wichtiges Spiel verloren wird, ist man zehn Minuten traurig, danach lachen die Buben wieder. Samuel Eto'o hat einmal zu mir gesagt: „Wenn einer so im Elend groß geworden ist wie ich, dann erschüttert mich ein verlorenes Fußballspiel nun wirklich nicht.“ Bei uns in Europa sieht man nach einer Niederlage Trainer weinen. Ähnlich ist das bei Triumphen. Nachdem ein wichtiges Spiel gewonnen worden ist, sind die Buben in Afrika zehn bis fünfzehn Minuten euphorisch, danach sind sie wieder normal.

Wie ist das, wenn so ein afrikanischer „Bub“ ein Star wird?

Pfister: Afrikanische Spieler, die im Ausland erfolgreich sind, haben fast immer eine Großfamilie hinter sich. Das sind Clans von mehreren hunderten Mitgliedern. Im Falle eines guten Vertrages ist die soziale Situation so eines Clans lebenslänglich abgesichert.

Aber es kann auch schiefgehen?

Pfister: Das ist natürlich sehr bitter, weil so ein Spieler mit leeren Taschen nach Hause zurückkehrt. Viele gelten ein Leben lang als gescheitert. Er wird vielleicht nicht schief angesehen oder gar verstoßen, aber man bringt ihm weniger Respekt entgegen. Das Risiko besteht, dass er damit für den Rest seines Lebens umgehen muss.

Nii Lamptey zum Beispiel. Er war 1991 U17-Weltmeister und galt als das größte Talent.

Pfister: Ja, er spielte in der Juniorenmannschaft von Ghana, mit der ich Weltmeister wurde. Er wurde als bester Jugendspieler der Welt ausgezeichnet, man nannte ihn den „zweiten Pelé“. Den hat sich dann ein Agent unter den Nagel gerissen, mit einem Vertrag für Exklusivrechte bei allen Transfers. Das war unglaublich. Nii hat in 14Jahren zwölf Mal den Klub gewechselt. Er war bei Anderlecht, bei PSV Eindhoven, danach bei Aston Villa, dann Coventry City, Venezia, Barcelona, so ging das dahin, er landete bei Santa Fe in Argentinien, kam wieder zurück nach Portugal, war dann bei Greuther Fürth in Deutschland und plötzlich in China. Und heute sitzt er wieder in Accra in Ghana. Zudem trafen ihn einige familiäre Schicksalsschläge, wie der Tod zweier Kinder. Ein solcher Spieler muss professionell betreut werden. Wenn nicht, kann eine Karriere schnell zu Ende sein.

Was ist aus seinen Kollegen aus dieser Wundermannschaft geworden?

Pfister: Der Einzige von diesen Buben, der Karriere gemacht hat, war Sammy Kuffour. Der kam ohne Agent direkt zu Bayern München. Da war eine ältere Dame, die ihn umsorgt und bekocht hat, sodass er sich zu Hause fühlen konnte. Aber das war leider die Ausnahme.

Wann wird es den ersten Weltmeister aus Afrika geben?

Pfister: Es gibt in Afrika zwar Weltklassespieler, aber das Umfeld stimmt nicht. Punktuell schafft man damit Erfolge. Aber Weltmeister – daran glaube ich nicht.

Wurde Ihre Arbeit je von politischen Unruhen beeinflusst?

Pfister: Ich habe einiges erlebt. Umstürze, Ausgangssperren. Auf meine Arbeit hat das aber nie Einfluss gehabt. Auf die Interessen des Landes natürlich umso mehr. Fußball ist ja sehr prestigeträchtig. Wenn dort zwei Spiele verloren werden, meldet sich der Staatschef beim Sportminister und fragt, was da los ist. Der geht dann auf den Verband los, und der geht auf den Trainer los. Wenn man in Afrika zwei oder drei Spiele hintereinander verliert, kann man direkt zum Flughafen fahren.

Sie haben einmal behauptet, dass die Arbeit der Fifa höher einzuschätzen ist als die der Unesco. Wie meinen Sie das?

Pfister: Es gibt tausende Organisationen die Entwicklungshilfe geben. Das ist alles überhaupt nicht koordiniert. Da geht ja so viel Geld verloren. Jeder macht irgendwas. Da kann ich nur den Kopf schütteln. Die Fifa arbeitet wirklich sehr professionell. In allen größeren Ländern gibt es ein Zentrum, das aus einem administrativen Gebäude, einem Hotel, vier bis fünf Trainingsplätzen, Hallen, Schwimmbad usw. besteht, und in dem Experten heimische Trainer ausbilden.

Apropos Entwicklungsarbeit: Interesse an einem Trainerjob in Österreich?

Pfister: Ich würde Österreich ja weniger als Entwicklungsland, sondern mehr als Schwellenland bezeichnen. Österreich, ja, das wäre natürlich auch eine Option. Aber wenn ich die freie Wahl hätte, würde ich mich lieber für Brasilien entscheiden.

Wo werden Sie zukünftig als Trainer arbeiten?

Pfister: Ich habe einige Kontakte, bin aber während der WM bei einer Fernsehstation als Ko-Kommentator für exotische Spiele engagiert. Nach der WM würde ich aber gerne wieder als Trainer arbeiten. Da ich zuletzt in Afrika war, tendiere ich zu Asien oder Südamerika. Ich würde aber auch wieder nach Afrika zurückgehen.

Ihre Liebe zu Afrika. Können Sie die in Worte fassen?

Pfister: Das ist wie ein Virus. Wenn ich in Europa bin, habe ich ja alles. Aber nach drei oder vier Monaten fehlt mir etwas, und ich verspüre diesen inneren Drang. Schon als Bub mit acht Jahren habe ich alle Bücher von Karl May, Sven Hedin, oder Burton, dem Entdecker des Nils, gelesen. Ich hatte ständig dieses Fernweh. Das habe ich heute noch. Mir fällt es schwer, mich hier zu integrieren. In diese Konsumgesellschaft, in der alles geregelt ist. Ich hatte nie so viele Parkbußen und Geschwindigkeitsüberschreitungen wie hier in Europa, weil ich mich hier einfach so schlecht einordnen kann.

Wer wird Weltmeister?

Pfister: Ich gehe davon aus, dass er aus Argentinien, Brasilien oder Spanien kommen wird.

ZUR PERSON

Otto Pfister (*24.November 1937 in Köln) ist einer der erfolgreichsten deutschen Fußballtrainer– der aber nie ein Team oder einen Verein in seiner Heimat betreut hatte.

Seit 1972 betreute er die Nationalteams von Ruanda, Obervolta, Senegal, Elfenbeinküste, Zaire, Ghana, Bangladesch, Saudiarabien, Togo und Kamerun oder arbeitete als Klubtrainer bei Zamalek Kairo, Sfaxien, al-Nejmeh, al-Masry und al-Merrikh Khartum.

Während der WM 2006 coachte er die Nationalmannschaft Togos. 1992 wurde er zum „Trainer des Jahres“ in Afrika gewählt.

Als Spieler versuchte sich der Maschinenbauer als Stürmer bei Viktoria Köln, VfL Köln, Chiasso und FC Grenchen (Schweiz). In weiterer Folge erhielt er bei den Eidgenossen die Trainerlizenz und nach Absolvierung des Sportstudiums 1979 die „Lehrerlizenz“.

Als Spielertrainer übernahm er in den 1960er-Jahren bei Vaduz, St.Gallen, Nordstern Basel, Moutier und Chur das Kommando.

Seine größten Erfolge feierte er mit dem Juniorenteam der Elfenbeinküste (U19-Afrikameister 1983) und Ghana (U17-Weltmeister 1991).

Mit Ghana erreichte er 1992 auch das Finale des Afrika-Cups, unterlag aber der Elfenbeinküste mit 10:11 im Elfmeterschießen.

Mit Zamalek Kairo gewann er 2000 den Afrika-Cup der Pokalsieger, 2001 wurde er Meister und Supercupsieger, 2002 gewann er den Ligapokal.

Im Libanon führte er 2005 den Beirut-Klub al-Nejmeh als Landesmeister in die arabische Champions League.
Spätere Bundesliga-Stars wie wie Abedi Pele, Anthony Baffoe, Anthony Yeboah (Bild links unten) oder Sammy Kuffour (Bild oben) lernten bei Pfister die hohe Kunst des Fußballs.

Auch mit markanten Sprüchen setzte sich der Deutsche in Szene. Nach heftigen Debatten um Yeboahs Geburtsdatum platzte ihm einmal der Kragen: „Wenn Sie wirklich sein Alter wissen wollen, da hilft nur eines: das Bein aufsägen und die Jahresringe zählen.“

Bei der WM 2010 arbeitet er als TV-Ko-Kommentator. [EPA, AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2010)

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