Muss dieses ewige Gegeneinander sein?

(c) Peter Kufner
  • Drucken

Die Gründerin der Wiener Politweiber auf Facebook über digitale Diskussionskultur in emotional aufgeladenen Wahlkampfzeiten.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

Im Mai dieses Jahres gründete ich spontan die geschlossene Facebook-Gruppe Wiener Politweiber. Aus der Idee der Vernetzung und des Austauschs zu politischen Themen entstand der Wunsch, eine Gruppe zu schaffen, in der man sachlich und respektvoll debattiert. Ein Safe Space, in dem Frauen sich austauschen und Interesse an den politischen Überzeugungen anderer zeigen können.

Binnen weniger Tage hatte die Gruppe über 3000 Mitglieder – für mich die größte Überraschung, anscheinend war der Bedarf nach genau solchem Austausch groß. Dankenswerterweise hatte ich sofort Hilfe bei der Administration – denn schnell war klar: Wenn die Gruppe schon so groß ist, dann ist sie ein Raum, wo unterschiedlichste politische Meinungen und Positionen Platz haben müssen – und das muss gut moderiert sein. Nur Gesinnungen, die sich jenseits der Menschenrechte befinden, werden in der Gruppe nicht akzeptiert.

Der Anspruch, den wir an die Frauen stellten: Bitte diskutiert sachlich. Es geht nicht darum, die andere zu überzeugen, sondern darum, die andere zu verstehen – oder eben auch nicht. Aber deshalb muss man nicht gleich in Streit geraten oder sich gegenseitig herabsetzen. „Schaffst du nie“; sagten mir zynische Bekannte. „Es muss doch machbar sein, dass man sich über Politik unterhält, ohne sich gleich gegenseitig zu beschimpfen“, dachte ich stur.

„Schaffst du nie“

Dieses ewige Gegeneinander, und sei es innerparteilich, ermüdet. Selbst seit Jahrzehnten eine leidenschaftliche Grüne, stellte ich meine persönliche Meinung hintan und versuchte, als Moderatorin übergreifend zu agieren.

Viele verstanden und verstehen es einwandfrei, selbst Reizthemen wie etwa Impfpflicht, Kopftuchverbot oder Fleischkonsum sachlich, respektvoll und ohne hochkochende Wut zu diskutieren – eine echte Wohltat im Vergleich zu diesbezüglichen Diskussionen andernorts. Hier entstehen neue Meinungen, es herrscht Austausch und Respekt vor den Positionen anderer. Diese sicher nicht ruhigen, aber gesitteten Debatten machen erfreulicherweise einen Großteil der Postings aus, und das macht großen Spaß. Weiter ins Detail gehe ich öffentlich nicht, da es wesentlich ist, dass die Mitglieder sich in diesem geschlossenen Rahmen sicher fühlen.

Doch eine Ausnahme gibt es, und die möchte ich ansprechen, da sie in dieser Form auch außerhalb der Gruppe beobachtbar ist: Kaum geht es um Personen, allen voran um Sebastian Kurz, gehen einzelnen Gruppenmitgliedern die Emotionen durch – und zwar von beiden Seiten. Sowohl die Gegnerinnen als auch seine Befürworterinnen legen diesem Mann gegenüber eine Stimmung an den Tag, die die faktenbasierte Diskussion komplett unmöglich macht. Manche verteidigen ihn – oft ohne Beantwortung der Nachfrage nach sachlicher Argumentation, andere schimpfen über ihn, und es wird ganz schnell beißend, hetzend, gemein. Mir wird als Administratorin vorgeworfen, „nicht viel in Sachen Politik und davon, wie man Gegner fertigmacht“, verstanden zu haben, weil ich in mahnenden Posts immer wieder betone, dass ich dieses Gebeiße in der Gruppe nicht akzeptieren will.

Am meisten polarisiert Kurz

Es muss machbar sein, dass man nicht jede Meinungsäußerung irgendeiner Person auf Social Media als Wahlkampf wahrnimmt, sondern als Chance, mehr über die Gründe für die jeweilige Meinung zu erfahren. Indem man ruhigen Tones nachfragt, anstelle dem virtuellen Gegenüber gleich verbal eine zu scheuern. Doch einfach ist das derzeit nicht: Man mag über Kurz denken, was man will, aber diese scheinbare Unmöglichkeit, die Ideen der Volkspartei sachlich zu diskutieren, Für und Wider auszutauschen, ist ein Armutszeugnis für politische Kommunikation. Wirklich überraschend ist dieser Trend innerhalb der Politweiber nicht – er spiegelt nur das, was sich im Wahlkampf abspielt: Personenkult anstelle von echten Inhalten, Unterstützungsvideos von Schauspielerinnen und Boxern ohne jegliche politische Aussage, und die unausgesprochene, aber scharfe Trennlinie: Ist man nicht für ihn, ist man gegen ihn.

In einem Haushalt aufgewachsen, in dem es immer um politischen Austausch ging und in dem die einzelnen Familienmitglieder ein breites Spektrum politischer Überzeugungen abdeckten, war mir neu, dass man sich gegenseitig so persönlich beleidigen kann, weil man anderer politischer Meinung ist. Politische Debatte heißt nicht, andere unbedingt von der eigenen Meinung überzeugen zu müssen, es heißt Austausch von Argumenten und Gedanken. Andere Meinungen zulassen können, sie müssen nicht gleich zur eigenen werden. Agree to disagree. Gehässigkeit und Übergriffigkeit: Ja, wir kennen das aus TV-Debatten, aber das heißt nicht, dass es richtig ist – es ist auch dort mehr als daneben.

In der Psychologie zu Politik ist erwiesen: Politik ist mit Emotionen befrachtet. Welche Politiker bzw. Politikerinnen man bevorzugt, ist immer emotional. Und das ist auch wichtig, aber man muss rationale Entscheidungen in den Mix der politischen Meinungsbildung einfließen lassen. Lässt man sich voll in Befindlichkeiten hineingleiten, kann dies erwiesenermaßen zu Schaden führen: Extreme Strömungen wie der Nationalsozialismus haben ihre Quelle in starker emotionaler Überfrachtung. Bei dieser Emotionalisierung, die gerade stattfindet, ist es für Politiker ein Leichtes, mit Gefühlen wie Angst zu arbeiten, anstatt auf Inhalte zu setzen. Hören wir derzeit nicht immer wieder genau diese Kritik, nämlich dass manche Parteien nur mit Angst arbeiten? Die Basis dafür legen wir genau durch diese extreme Befindlichkeitskommunikation im Moment selbst. Warum gehen wir überhaupt darauf ein, warum lassen wir jene, die nur inhaltsleer polemisieren, nicht anrennen und ignorieren sie?

Erschwerend kommt hinzu, dass genau jene, die sehr wohl sachlich auch über Kurz und Co. debattieren können und wollen, von den übergriffigen Kommentaren jener Frauen, die rein aus der Emotion heraus schreiben, immer häufiger zum Verstummen gebracht werden. „Die Klügere gibt nach“ ist in diesem Fall leider nicht zielführend auf dem Weg zu echter politischer Debatte. „Aus taktischen Gründen zu schweigen hat sich immer noch als Fehler erwiesen“, sagte bereits die schmerzlich fehlende Johanna Dohnal vor gut dreißig Jahren.

Ein Austausch auf sachlicher Basis muss in der Kommunikation über Politik möglich sein – und zwar nicht nur bei den Politweibern, sondern überall. Sich Gehässigkeit und Emotion geschlagen zu geben nutzt nur jenen, die Politik und ihre volkswirtschaftlichen Verwaltungsaufgaben mit persönlicher Macht verwechseln.

Das alles ist nicht neu – weder der Personenkult noch die Art der Kommunikation, die daraus entsteht. Aber dass wir durch stures Beharren auf der eigenen Position und Beschimpfung anderer eigentlich nur auf das Konto des jeweiligen politischen Gegners einzahlen, sollte endlich in die Köpfe vieler.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin

Nunu Kaller (* 1981) ist Bloggerin und Autorin, die sich vor allem mit den Themen nachhaltiger Konsum und Body Positivity auseinandergesetzt hat. Nach dem Studium der Publizistik, Anglistik und Zeitgeschichte arbeitete sie einige Jahre in der Onlineredaktion der „Presse“, bevor sie in die NGO-Welt wechselte. 2018 erschien „Fuck Beauty“ (Kiepenheuer & Witsch). [ Flo Waitzbauer ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.