Lasst uns die Schule digitalfit machen!

Österreich ist wahrlich kein Digitalisierungsvorreiter. Es braucht einen Kulturwandel beim digitalen Lernen.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

Während wir im Wahlkampf wieder einmal Ankündigungen hören, dass der Unterricht an Schulen künftig stärker durch Notebooks und Tablets unterstützt werden soll (rasch konterkariert von der reflexartigen Kritik der Schulbuchverlage), hat Schweden längst gehandelt und ab 2012/13 Tablets flächendeckend im Schulunterricht eingeführt.

Bis es schließlich auch in Österreich so weit sein wird, haben wir wohl ein Jahrzehnt Rückstand angehäuft. Digitalisierungsvorreiter sehen wahrlich anders aus. Doch wir können von internationalen Beispielen lernen und Fehler vermeiden. Nur, wie soll das gehen?

Neue Lehr- und Lernmodelle, bei denen sogar mithilfe von künstlicher Intelligenz individuelle Förderung von Stärken einzelner Schüler im Klassenverband möglich wird, sind international bereits längst im Einsatz. Aufgaben, die aufeinander aufbauen, ein System im Hintergrund, das völlig transparent auch das Verständnis für einzelne Themenbereiche durch die einzelnen Schüler erfasst und entsprechend mit weiteren fordernden Aufgaben reagiert. Es zeigt sich: Adaptivität und Feedback in digitalen Bildungslösungen fördern alle, aber insbesondere leistungsschwache Kinder.

Nicht nur das Negative sehen

Natürlich zeigt die Alltagserfahrung, dass Handys und Tablets die Aufmerksamkeit verkürzen, uns ablenken und für Stress sorgen. Gerade Selbstregulationsfähigkeiten werden für den Erfolg in sozialen Beziehungen und auf dem Arbeitsmarkt immer wichtiger. Mittlerweile weiß man, dass Konzentrationsfähigkeit und Selbstregulation sich bis in die 20er-Jahre eines Menschenlebens durch Trainings und Lernen gut beeinflussen lassen – auch mit digitalen Tools.

Engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die ihren Unterricht mit selbst erstellten Lehrvideos unterstützen, sind erst der Beginn einer Revolution im Bildungswesen (über solche motivierenden Beispiele sollte häufiger berichtet werden, so wie zuletzt etwa in der Titelgeschichte der „Presse am Sonntag“ vom 1. September).

Schon heute ermöglicht künstliche Intelligenz in Pilotprojekten personalisierte Lernumgebungen und bietet individuelle Unterstützung für viele Lernende gleichzeitig – mit besonders guten Erfolgen bei Leistungsschwächeren. Gezielte Experimente führten bei Schülerinnen und Schülern auch zu einer allgemeinen Steigerung kognitiver und motivationaler Fähigkeiten und mehr Konzentration. Interessante internationale Beispiele sind etwa „New Classrooms“ für den Mathematikunterricht in New York, „Mathe Kids“ in Karlsruhe sowie „Kids-Win“ von Daniel Schunk in Mainz in Deutschland.

Was es in Österreich braucht, ist ein Kulturwandel hin zu mehr Experimentierbereitschaft und -fähigkeit bei Eltern, Lehrenden, Bildungsdirektionen und Ministerien. Digitales Lernen kann durch rasche und systematische Experimente kostengünstig optimiert werden – wir nennen das schlicht Experimentability.

Generationenwechsel nutzen

In den nächsten Jahren steht ein Generationenwechsel in der Lehrerschaft bevor. Diesen sollten wir nutzen und die Weiterentwicklung der pädagogischen Berufe in der vorschulischen Erziehung integriert digitalfit gestalten. Wir plädieren flankierend auch für ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr, um Sprach- und Entwicklungsdefizite möglichst vor dem Schuleintritt auszugleichen und so Bildungsgerechtigkeit zu fördern.

Es geht also weit über die Forderung nach Breitbandanschlüssen oder Tablets hinaus. Wenn das keine Aufgabe für die nächste Bundesregierung ist?

Alexis Johann (*1972) ist Managing Partner bei Fehr Advice in Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2019)

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