Bürogestaltung

Kriterien für optimales Coworking

Fast wie im Home-Office, aber mit mehr Support: Ein günstiger Arbeitsplatz mit Putzservice ist nur die Basis für effektives Coworking.
Fast wie im Home-Office, aber mit mehr Support: Ein günstiger Arbeitsplatz mit Putzservice ist nur die Basis für effektives Coworking.(c) spaces
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Fachliche Gemeinschaft und emotionaler Support sind die Grundessenzen, gemütliches Design ergänzt das „Feel like Home".

Arne Pastoor sitzt am Schreibtisch, schreibt E-Mails und telefoniert. Er will seinen selbst konstruierten multifunktionalen Pkw-Anhänger, den er inzwischen bis zur Serienreife gebracht hat, vermarkten. Dafür hat er sich in einem Coworking-Space eingemietet. „Home-Office, das ist nicht meine Sache. Da vermisse ich den Austausch mit anderen Menschen und die Inspiration“, erklärt der Erfinder.

Der Wahlsteirer steht mit seinem Wunsch, im Job lieber gemeinsam einsam zu sein, keineswegs alleine da: Die Zahl jener, die die Arbeitsform des Coworking bevorzugen, steigt, und mit ihr auch die Zahl der Anbieter: In den vergangenen zehn Jahren haben sich allein in Wien gut 50 Büros etabliert, in denen man Schreibtische und technisches Equipment tage-, wochen- oder monatsweise mieten kann, um dort einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Chaos oder Anregung? Im „Rochuspark“ im dritten Wiener Bezirk ist die scheinbare Dschungelanmutung kreatives Konzept.
Chaos oder Anregung? Im „Rochuspark“ im dritten Wiener Bezirk ist die scheinbare Dschungelanmutung kreatives Konzept.(c) rochuspark

Communitiy Management

Michael Pöll, Gründer und Betreiber des „Rochuspark“ in Wien, zählt vorwiegend Ein-Personen-Unternehmer wie Pastoor zu seinen Kunden: „Zuhause ist es ihnen zu laut oder zu leise, ein eigenes Büro aber kommt zu teuer“, kennt er die Beweggründe. Einen Coworking-Arbeitsplatz findet man hierzulande meist für 200 bis 300 Euro pro Monat. WLAN und Drucker ebenso inklusive wie die Möglichkeit, sich mit anderen Coworkern auszutauschen – beim gemeinsamen Mittagessen, das in manchen Spaces sogar selbst gekocht wird, oder einfach beim Fachgespräch über die Schreibtischkanten hinweg. Pöll sieht sich daher vor allem als „Community Manager“: Die Gemeinschaft sei ein wesentliches Kennzeichen eines funktionierenden Coworking-Spaces und weiterer Grund, weshalb das geteilte Büro gerne dem Home-Office vorgezogen wird. „Man nutzt das Netzwerk im gemeinsamen Büro, fragt, wenn man bei der Arbeit Hilfe braucht, einfach seinen Platznachbarn und kommt so zu Expertisen, für die man sonst zahlen müsste“, erklärt Gerald Bruchmann vom „SpaceLend“ in Graz, wo sich vor allem im aufstrebenden Künstler- und Studentenviertel Lend ebenfalls eine florierende Coworking-Szene etabliert hat.

Die Stadt Graz fördert diese Form des Arbeitens sogar, indem sie für jeden Coworker ein Jahr lang einen Teil der Arbeitsplatzkosten übernimmt. „Wer sich nicht wie zuhause oder im eigenen Büro um Staubsaugen oder Putzfrau kümmern muss, hat außerdem den Kopf frei für seine Ideen“, weiß Bruchmann, weshalb viele Coworker von sich behaupten, seit ihrem Einstieg bessere Einfälle zu haben und mehr Geld zu verdienen als zuvor.

Damit die Community im gemeinsamen Büro funktioniert, achtet Michael Pöll auf die richtige Zusammensetzung des Teams. „Die Branchen, die zusammentreffen, müssen aufeinander abgestimmt sein. Fotograf und Grafiker etwa können einander ergänzen. Es darf auf keinen Fall eine Konkurrenzsituation entstehen.“ Das unterscheide Coworking-Spaces von Bürogemeinschaften. Lieber, so sagt Pöll, riskiere er einen Leerstand.

Clean, smart, weltoffen: Das Spaces in Amsterdam zeigt sich als klar strukturierter Treffpunkt.
Clean, smart, weltoffen: Das Spaces in Amsterdam zeigt sich als klar strukturierter Treffpunkt.(c) Spaces

Internationale Ketten

Der „Impact Hub Vienna“ gehört zu jenen Anbietern, die sich an ambitioniertere Unternehmer, auch an Start-ups, wenden und ihnen mit Inkubator- bzw. Acceleratorprogrammen beim Firmenaufbau zur Seite stehen (siehe Seiten 12-16). Auch beim – durch lokale Lizenznehmer mit gemeinsamer Strategie – internationalen Anbieter steht der Gemeinschaftsgedanke im Vordergrund. Der „Hub“ ist nicht er einzige weltweit tätige Anbieter. Heute sind etliche internationale Unternehmen auf dem Markt, die Coworking-Spaces in mehreren Ländern betreiben. Nachdem es noch vor einigen Jahren ausschließlich lokale Initiativen waren, die diese Form des Arbeitens propagierten, haben sich die internationalen Anbieter mittlerweile auch in Wien etabliert – allen voran Spaces, dessen „Square One“ am Leopold-Ungar-Platz im Oktober als zweites Wiener Standbein neben dem Orbi Tower in Erdberg eröffnet werden soll. Der größte Konkurrent auf dem weltweiten Markt, WeWork, ist, wie man in der Szene hört, derzeit auf Standortsuche in Österreich. Talent Garden, europaweit tätig, ist vor etwa einem Jahr in der Liechtensteinstraße eingezogen.

Fluktuation hilft gegen Hierarchie

Doch egal ob große Kette oder lokaler Betreiber: Der Arbeitspsychologe Paul Jimenez von der Universität Graz sieht den Synergieeffekt positiv: „Das ist, wie wenn Zellen zusammen einen Organismus bilden. Und neben der fachlichen Unterstützung kann die Gemeinschaft auch emotionalen Support geben, wenn nötig.“ Man müsse nur aufpassen, dass es in der Community nicht zu Hierarchienbildung und damit zum Ausnützen vermeintlich Schwächerer komme. Nicht zuletzt deshalb sei eine kontinuierliche Fluktuation sehr wichtig, sagt Michael Pöll. Die durchschnittliche Verweildauer in Coworking-Spaces schätzt er auf ungefähr vier Jahre.

Gemütliche Ecke 1: Im Spaces Vienna Orbi Tower laden Rückzugsmöglichkeiten zum Entspannen oder Plaudern ein.
Gemütliche Ecke 1: Im Spaces Vienna Orbi Tower laden Rückzugsmöglichkeiten zum Entspannen oder Plaudern ein.(c) Spaces

Weltoffener Individualismus

„Rochuspark“ und „SpaceLend“ sind prototypische Coworking-Spaces: Rund 80 Prozent derer, die sich dort eingemietet haben, verorten sich in der Kreativwirtschaft – Grafiker, Webdesigner, Programmierer – und entsprechen damit dem Idealbild des Coworkers, das eine Untersuchung des Internetportals Deskmag in 24 Ländern zutage gefördert hat. Der Studie zufolge ist der durchschnittliche Coworker ein Individualist, oft auch als Berater oder PR-Experte tätig, zwischen 25 und 39 Jahre alt und meist mit Uni-Abschluss. Weltoffenheit und Kommunikationsbereitschaft prägen seine Persönlichkeit. Die Spaces selbst spiegeln das Desideratum der Verschmelzung von Arbeits- und Wohlfühlwelt wider, platzieren oft viel Grün in spannend eingerichtete Räume, nutzen scheinbares Chaos als Quell der Inspiration. Oder sie machen auf betont leger und rücken – wie das Wiener „Cocoquadrat“ – das kreative Frühstück oder den Kaffee in den Vordergrund. Gearbeitet wird quasi nebenher, und abgerechnet in Minuten.

Urbane Treffpunkte

Eines haben alle erfolgreichen Coworking-Spaces gemeinsam: Sie befinden sich in innerstädtischen Lagen und sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar. „Das urbane Lebensgefühl ist ein Schlüsselfaktor“, weiß Pöll. Die meisten Coworker wohnen innerhalb eines Radius von drei Kilometern zu ihrem Arbeitsplatz, zeigt die Deskmag-Studie, und sie kommen gerne per Rad oder mit Öffis dorthin. „Coworking boomt, doch in ländlichen Strukturen wird es nicht Fuß fassen“, sind sich die Experten einig.

Es gibt aber auch weniger Alternativen. Das „Goldene Quartier“ in Wien ist laut Sascha Siegert, Betreiber des Collection Business Center, eines der „Fünf-Sterne-Hotels unter den Coworking-Spaces“. Sein nobler Citystandort bietet, wie inzwischen einige andere auch, Zusatzleistungen wie ein Virtual Office oder einen Concierge-Service an, anstelle eines Großraumbüros gibt es abgetrennte Einheiten. Entsprechend setzt sich das Klientel zusammen. Zu seinen Kunden zählt Siegert „Start-ups von Entrepreneurs, die schon ein oder zwei Firmen erfolgreich veräußert haben, oder ganze Teams von Konzernen, die beispielsweise von hier aus mit fünf oder sechs Leuten den Vertrieb für die Region leiten“. Diese arbeiten gerne für sich, „der Austausch mit anderen ist da weniger wichtig.“

Gemütliche Ecke 2: Der grüne Eingangsbereich zum Rochuspark in Wien Landstraße wird auch als Kommunikationsort genutzt.
Gemütliche Ecke 2: Der grüne Eingangsbereich zum Rochuspark in Wien Landstraße wird auch als Kommunikationsort genutzt.(c) rochuspark

Genau deshalb sind komplette Firmenabordnungen in Coworking-Spaces wie dem „Rochuspark“ oder dem „SpaceLend“ weniger gern gesehen. Sie würden den Communitygedanken untergraben, heißt es. Willkommen sind Vertreter größerer Unternehmen nur, wenn sie einzeln oder höchstens zu zweit auftreten. Die Wiener Videomarketing-Agentur Vervievas hat beispielsweise eine Angestellte in Graz sowie zwei in der „Werkstätte“ in Wattens (Tirol) untergebracht. „Das ,Auslagern‘ einzelner Mitarbeiter entspricht deren Wunsch, nicht in Wien zu arbeiten, weil das von ihrem Wohnort zu weit weg wäre, und erlaubt es zugleich uns, in den Regionen präsent zu sein, ohne dort ganze Büros anmieten zu müssen“, sieht Vervievas-Mitbegründer Matthias Cermak eine Win-Win-Situation. Die Kommunikation zwischen den externen Mitarbeitern und der Firmenzentrale wird über Videokonferenzen aufrechterhalten. Cermak ist mit diesem Modell hoch zufrieden: „So haben wir auch die Möglichkeit, Events oder Workshops außerhalb von Wien durchzuführen.“ Die meisten Coworking-Spaces verfügen nämlich auch über Veranstaltungsräume, die von den eingemieteten Mitarbeitern für Meetings, Kundengespräche und vielem mehr genutzt werden können. „Das wirkt außerdem professioneller, als wenn der Unternehmer einen Geschäftspartner bei sich zu Hause oder in einem Kaffeehaus empfangen würde“, ergänzt Pöll.

Selbstbestimmung

Arbeitspsychologe Jimenez sieht die weitgehende Selbstbestimmung der Arbeitenden als Vorteil: „Man kann kommen und gehen, wann man will. Theoretisch kann man immer Urlaub machen. Aber diese Freiheit führt dazu, dass man letztlich kaum wirklich Urlaub macht, weil man für sich selbst verantwortlich und damit motivierter ist.“ Tatsächlich sei die Wahrscheinlichkeit des wirtschaftlichen Scheiterns bei Coworkern geringer als bei Home-Office-Arbeitern, weiß Michael Pöll aus der Erfahrung. Gerhard Bruchmann vom „SpaceLend“ bestätigt: „Natürlich kommt es vor, dass das Unternehmenskonzept nicht aufgeht. Viele aber verlassen uns, weil sie dem Ein-Personen-Unternehmertum entwachsen sind, Mitarbeiter beschäftigen und sich ein eigenes Büro leisten können bzw. müssen.“

Erfinder Arne Pastoor strebt so etwas aber gar nicht unbedingt an. Höchstens zweimal pro Woche ist er an seinem Arbeitsplatz zu finden, wo er sogar seinen Schreibtisch mit einem anderen Coworker teilt. Die restlichen fünf Tage findet man ihn ganz woanders: auf einem Biobauernhof in der Südsteiermark, fernab des urbanen Lebensgefühls und ohne E-Mails und Telefon.

Wahlkriterien

Wenn es darum geht, sich für einen bestimmten Coworking-Space zu entscheiden, ist für zwei Drittel aller Coworker das Klima des Miteinander das ausschlaggebende Kriterium. Das ergab eine im Vorjahr durchgeführte Studie des Portals Deskmag. Weitere wichtige Kriterien sind die Entfernung vom Wohnort sowie die Qualität der Internetanbindung. 80 Prozent aller Coworker nützen den Space für regelmäßiges Arbeiten, 39 Prozent für Geschäftstreffen, 28 Prozent fürs Networking (Mehrfachnennungen möglich).

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