Die Gewalt der anderen

Minuziös und differenziert: Tamar Amar-Dahls Biografie über Shimon Peres.

Kaum einem anderen israelischen Politiker ist es wie Shimon Peres gelungen, hauptsächlich international, eine Public Relation auf die Beine zu stellen, die sich höchstens mit dem (verstorbenen) Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek, messen lässt. Beiden Persönlichkeiten ist gemeinsam, dass ihr Image wenig mit ihrer praktischen Tätigkeit zu tun hat. Tamar Amar-Dahl ist es in ihrem Porträt gelungen, dieses Paradoxon minuziös (manchmal vielleicht zu detailliert) nachzuzeichnen.
Peres ist der letzte Vertreter der Gründergeneration des Staates Israel, er spiegelt die beiden Gesichter des zionistischen Unternehmens perfekt wider. Man sollte jedoch hinzufügen, dass er den „linken“ Flügel vertritt und dessen widersprüchliche Haltung repräsentiert. „Die Gewalt der anderen erscheint als alleinige Ursache für den Konflikt.“ Daher sei auch bei Peres ein „mangelhaftes Unrechtsbewusstsein“ zu konstatieren, meint Dahl. Sein Friedensimage geht einher mit einer nationalistischen Politik gegenüber „den“ Arabern, besonders den Palästinensern innerhalb und außerhalb Israels.
Das zeigt seine Haltung noch vor 1967 zur Zeit der Ausnahmegesetze für die „israelischen Araber“, die beide Gesichter trägt: „Demokratie für Juden, Militärregierung für Araber“. Das gilt auch und besonders für die nach 1967 besetzten palästinensischen Gebiete und die PLO, denn „er sieht in jedem Kompromiss, in jedem Zurückgehen hinter das Erreichte den Keim für das Scheitern des gesamten zionistischen Projekts, denn er weiß, dass dieses Projekt von Anfang an auf Kosten der Araber vorangetrieben worden ist, wie hartnäckig auch immer dies verdrängt und verleugnet wurde“. So ist seine jahrelange Bemühung zu verstehen, das palästinensische Problem durch ein Zusammengehen mit Jordanien zu verleugnen.

Er verstieg sich übrigens noch 1993 zur Behauptung: „Bis zum Unabhängigkeitskrieg im Jahre 1948 gab es kein palästinensisches Volk.“ Es wundert daher auch nicht, dass er den 1987 begonnenen Aufstand (die erste Intifada) als illegalen Widerstand, als „Terrorismus“ bezeichnet, den er durch eine Konföderation mit Jordanien unter Kontrolle bringen will. Dafür ist ihm auch ein palästinensischer Staat recht „und sei es nur für fünf Minuten“.
Trotz seines Images in den europäischen Ländern und den USA, stieß Peres nicht nur auf Zustimmung. Er nutzte etwa seine Position als Vizepräsident der Sozialistischen Internationale (SI), um der PLO auf internationalem Parkett die Anerkennung zu verwehren. Ein besonders tragischer Vorfall ereignete sich 1983 bei dem Kongress der Sozialistischen Internationale in Portugal. Während Peres seine Rede hielt, welche die PLO von der SI fernhalten sollte, wurde Issam Sartawi (der vielleicht wichtigste palästinensische Friedenspolitiker und Freund von Bruno Kreisky) außerhalb der Tagung von „Abu-Nidal“-Terroristen erschossen. Peres fragte bei einer anderen Tagung der SI Bruno Kreisky, warum dieser die israelische Arbeitspartei (IAP) immer wieder kritisiere. Darauf soll Kreisky geantwortet haben: „Wie kann ich euch helfen, wenn ich euch nicht attackiere.“ Kreisky war der einzige (west-)europäische Regierungschef, der die PLO 1978 anerkannte.
Peres wird weniger als Friedensnobelpreisträger (mit Rabin und Arafat) denn als Architekt von Israels Atomwaffenprogramm (in den Fünfziger-und Sechzigerjahren) in Erinnerung bleiben – ein widersprüchlicher Erfolg.
Gideon Levy, der „Haaretz“-Journalist, kennt Peres seit mehr als 25 Jahren, vier davon als direkter Mitarbeiter. Am 25. Jänner 2002 schreibt er in seiner Zeitung einen offenen Brief an seinen ehemaligen Mentor. Und er nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Peres habe zu Brutalitäten der Armee in den besetzten Gebieten geschwiegen, er sei daher ein Komplize der Repression, Levy und seine Freunde bereuen, dass sie einmal an ihn glaubten.
Amar-Dahl kann diese Gefühle nachempfinden. Sie zeichnet das Portrait eines Mannes – jenseits von Sonntagsreden, hin- und hergerissen zwischen außen und innen, zwischen universellen und partikularistischen Interessen, wobei er Letzteren immerzu den Vorrang gibt. Die Autorin zeichnet uns ein differenziertes Bild ihres „Helden“. Sie gibt uns Gründe, zwischen Schein und Sein zu unterscheiden. Dafür gebührt ihr Dank und Anerkennung. ■


("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2010)

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