Am Herd

Wenn Gier zur Tugend wird

Geld macht glücklich. Auch wir kriegen nicht genug.
Geld macht glücklich. Auch wir kriegen nicht genug.imago/Panthermedia
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Wann wurde die Gier eigentlich zu einer Art Tugend? Und seit wann bewundern wir einen Menschen allein deshalb, weil er eine Menge Geld hat?

Da hat also wieder einer den Hals nicht voll bekommen. Hat geglaubt, ihm gebühre mehr, noch mehr als das viele, das ihm ohnehin zugestanden wurde. Ist übermütig geworden, maßlos, hat gerafft, was ihm möglich war, ohne Rücksicht auf andere, vielleicht auch ohne Rücksicht auf das Gesetz. Weil er meinte, er komme damit durch, weil er immer damit durchgekommen ist. Und wäre er seinem Bodyguard gegenüber ein wenig großzügiger gewesen, hätte es auch geklappt.

Eigentlich hätten wir es wissen können. Wir hätten ihm Einhalt gebieten müssen. Stattdessen haben wir ihn noch angestachelt: Eine Gesellschaft, in der Gier keine Sünde mehr ist, sondern eine Art Tugend, in der bewundert wird, wer Geld hat, egal, ob er etwas dafür geleistet hat oder nicht. Betrug ist für uns das Recht desjenigen, der sich nicht erwischen lässt. Wir haben zugelassen, dass das Gemeinwohl nichts gilt, wir verachten die Schwachen, die Mitleidigen auch, und preisen die Zyniker, die sind so viel cooler. Wir wären auch gern so.

So sehr identifizieren wir uns mit den Reichen, dass wir mit der Schulter zucken, wenn sie im großen Stil Steuern hinterziehen. Panama Papers? Cum-Ex? Egal, wir wissen eh nicht genau, wie das funktioniert, und wer würde nicht den Staat übers Ohr hauen? Aber wehe, ein Armer schwindelt mit der E-Card. Da vergeht uns das Augenzwinkern und das Schulterzucken, da fordern wir Maßnahmen und sind empört.


Geld macht glücklich. Auch wir kriegen nicht genug. Woher kommt die Gier? Wir wissen doch, dass Geld zwar glücklich macht, aber sehr viel Geld nicht glücklicher. Irgendwann hätten zumindest manche von uns eigentlich genug: Genug für ein schönes Leben. Genug auch, um den Kindern ein bisschen etwas zu hinterlassen.

Warum muss es viel sein? Haben wir solche Angst vor der Zukunft und der Zukunft unserer Kinder, dass wir Reichtümer anhäufen müssen? Warum knausert der Freund, der doch das Ererbte und Ersparte bis an sein Lebensende nicht wird ausgeben können? Warum hat der Nachbar eine Eigentumswohnung, zwei Autos und ein Motorrad, fliegt regelmäßig auf die Malediven und nach New York und hat immer noch das Gefühl, er sei zu kurz gekommen?

Was haben wir eigentlich geglaubt? Dass die Gier irgendwann endet, die Gier nach Geld, die Gier nach Macht? Dass ausgerechnet jene, die unsere Welt am liebsten brennen sehen würden, die Hass verbreiten, die Moral verhöhnen und die Justiz verachten, dass die unsere Gesetze ehren? Das war kein Zufall, früher nicht, jetzt auch nicht. Es wird wieder passieren – und auch das nächste Mal werden wir es nicht verhindert haben.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

www.diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2019)

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