Mit Federn, Haut und Haar

Wie wird es mit der Evolution der Menschen weitergehen?

Nach allen evolutionären Kriterien ist das menschliche Gehirn ein bis an seine Grenzen getuntes, spezialisiertes Organ. Das führt in die evolutionäre Sackgasse.

Die geistige Leistungsfähigkeit von Erwachsenen und ihre Resilienz gegenüber mentalen Problemen hängt ursächlich mit den Bedingungen in der frühen Kindheit zusammen. Babys kommen mit konkreten, evolutionär entstandenen Bedürfnissen zur Welt, die erfüllt werden müssen, sollen sie sich kognitiv, emotional, sozial und körperlich optimal entwickeln.

Das menschliche Hochleistungsgehirn wächst im Gegensatz zu unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, vor allem nachgeburtlich, weil seine schiere Größe eine sehr frühe Geburt erzwingt. Dies verschaffte der sozialen Umwelt sehr viel Einfluss auf die Individualentwicklung und machte Menschen zu höchst – wenn auch nicht beliebig – anpassungsfähigen Wesen. Angesichts einer sich rapide verändernden urbanen, technologiebestimmten Welt fasziniert daher die Frage, wie es mit der menschlichen Evolution weitergehen kann.

Das Gehirn entwickelte sich über die vergangenen Jahrzehntausende zum Höchstleistungsorgan. Zwei Prozent der Körpermasse verbrauchen 25% der aufgenommenen Energie. Während unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, über einen 400 cm3 kleinen „Standardmotor“ mit der Welt in Beziehung treten, tun wir Menschen dies mittels eines hochgetunten 1250-cm3-„Rennmotors“. Extrapoliert man die Zunahme des Gehirnvolumens aus den vergangenen 300.000 Jahren, dann könnten Menschen in 10.000 Jahren Gehirne von etwa 1500m3 mit sich herumschleppen. Ist dies denkbar, möglich, wahrscheinlich? Das Gehirnvolumen scheint in den vergangenen 10.000 Jahren eher abzunehmen. Das kann alle möglichen Gründe haben und hängt vielleicht mit der komplexen Statistik zusammen, die nötig ist, solche Trends herauszurechnen. Vorsicht ist angebracht. Es stellte sich ja auch die lang gehegte Weisheit, Frauen hätten ein kleineres Gehirn als Männer, als statistisches Artefakt heraus. Ähnliches gilt für Ergebnisse, die für eine Abflachung der Zunahme des IQ in den vergangenen Jahrzehnten sprechen. Kann sein, hängt vielleicht mit dem Wandel in Gesellschaft und Bildungssystemen zusammen, wer weiß? Sagt jedenfalls wenig über unsere weitere Evolution aus.

Nach allen evolutionären Kriterien ist das menschliche Gehirn ein bereits bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit getuntes, hoch spezialisiertes Organ. Dies ging offenbar auf Kosten seiner Robustheit, wie die zunehmend epidemischen mentalen Probleme nahelegen. Daher sind kaum weitere radikale Leistungssteigerungen zu erwarten. Auch nicht, dass evolutionär etwas ganz Neues daraus entstehen könnte. Spezialistentum führt generell in die evolutionäre Sackgasse, zum Aussterben; neue Entwicklungen sind daher eher aus wenig spezialisierten Arten zu erwarten.

Freilich berücksichtigt dies nicht, welchen Einfluss die Entwicklung von Schnittstellen zwischen Menschen und digitalen Maschinen mit ihrer künstlichen Intelligenz haben werden, oder gar die Möglichkeiten der genetischen Optimierung oder des Abschaltens der Sterblichkeit. Werden sie der gesamten Menschheit zugutekommen oder wieder nur dem Machterhalt privilegierter Eliten dienen? Wird so in wenigen Generationen die Ungleichheit sogar in ein genetisch unterlegtes Kastenwesen münden? Wer weiß? Spannend wird es allemal!

Kurt Kotrschal, Verhaltensbiologe i.R. Uni Wien, Wolf Science Center Vet-Med-Uni Wien, Sprecher der AG Wildtiere/Forum Wissenschaft & Umwelt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.