Ostberlin vor dem Mauerfall: Ein Tag wie in Zeitlupe

Durfte man Ruinen fotografieren in der DDR? Die gesperrte U-Bahn-Station Potsdamer Platz, um 1987.
Durfte man Ruinen fotografieren in der DDR? Die gesperrte U-Bahn-Station Potsdamer Platz, um 1987. Jansch / Ullstein Bild / picturedesk
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Drei Jahre vor der Wende das erste Mal Berlin: Die DDR „feierte“ gerade 25 Jahre Mauerbau. Hoffnung war keine, und in der Erinnerung blieben nur Grautöne zurück.

Die Mauer sah ich zum ersten Mal am 25. August 1986. Gleich hinterm Reichstag, wo unzählige Kreuze auf gescheiterte Fluchtversuche und menschliche Tragödien aufmerksam machten. Bald danach schon die ersten Graffiti und Sprüche wie „Deutschland, bleiche Mutter . . .“ oder „Russen raus aus Afghanistan“. Uns in Österreich hatte der Kalte Krieg damals kaum interessiert, und trotz der 25 Jahre, die sie nun gerade bestand, war auch die Mauer kein großes Thema, obwohl zwei Wochen vorher viel von ihr in den Medien berichtet wurde. Aber sie betraf uns nicht. Die Mauer war schon da, als ich geboren wurde, und sie würde vermutlich auch nach mir noch stehen.

Damals beherrschten die Proteste gegen das bayrische AKW Wackersdorf und die geplante Wiederaufbereitungsanlage die Tagespolitik. Als wir am frühen Vormittag des 24. August, einem Sonntag, am Grenzübergang vor Passau standen, war kein einziges Auto vor uns, das nach Deutschland wollte; trotzdem dauerte der Grenzübertritt eine kleine Ewigkeit. Die Beamten hielten uns wohl für Berufsdemonstranten, die sich auf dem Weg nach Wackersdorf befanden. Wir vier waren damals alle Anfang/Mitte 20, wir waren auch überzeugte Atomkraftgegner, aber wie „linke Chaoten“ sahen wir nicht aus.

Später, an der innerdeutschen Grenze, ging alles viel schneller, für die Grenzpolizisten der DDR waren wir uninteressant und in Westberlin erst recht unverdächtig. Nach außen hin schien die Stadt wenig mit der bundesdeutschen Wirklichkeit zu tun zu haben. Westberlin war wie eine Insel, ein fast der politischen Gegenwart enthobener Kleinstaat, der von der Bundesrepublik so weit entfernt war wie gefühlsmäßig von Berlin-Ost. „Drüben“ fing eine andere Welt, eine andere Zeit an, das konnte ich Tage später, am 28. August, erleben: Die Menschen in Ostberlin waren nicht nur anders gekleidet, sie bewegten sich auch anders auf der Straße, viel langsamer, so kam es mir vor, weil sie vielleicht wussten, dass sie in ihrem Leben ohnehin nichts versäumen konnten. Vermutlich hatte die Perspektivlosigkeit auch ihre Geschwindigkeit bestimmt, und wohl auch die Kommunikation: Die Menschen standen herum oder gingen stumm und unauffällig ihrer Wege. Jedenfalls in meiner Erinnerung geschieht dieser eine Tag Ostberlin fast lautlos, wie in Zeitlupe.

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