Gastkommentar

Kontrolliert den Code und seine Konstrukteure!

(c) Peter Kufner
  • Drucken

In einer Welt, die nur noch aus Software besteht, haben Programmierer Macht. Umso wichtiger ist ein Korrektiv.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare"

Egal, ob man eine Netflix-Serie streamt oder Auto fährt – ohne Software geht heute nichts mehr. „Software frisst die Welt“, postulierte der Netscape-Erfinder und Investor Marc Andreessen schon vor einigen Jahren. Autos, Kühlschränke, Lampen, Telefone, Zahnbürsten – einst analoge Objekte sind heute Hochleistungsrechner, die im Internet der Dinge miteinander verschaltet werden.

In einem durchschnittlichen Fahrzeug stecken 150 Millionen Zeilen Programmiercode. Zum Vergleich: Das gesamte Space Shuttle kam mit etwa 400.000 Zeilen Code aus. Kein Wunder, dass die Abgasmanipulations-Software, die VW als faulen Code in seine Fahrzeuge schleuste, so lang unentdeckt blieb. Je codierter und damit datengetriebener unser Alltag wird, desto mehr Macht wächst auch den Programmierern zu.

Schon der Computerpionier Joseph Weizenbaum schrieb in seinem Werk „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“ (1976): „Der Programmierer ist der Schöpfer von Universen, deren alleiniger Gesetzgeber er selbst ist. [. . .] Kein Dramatiker, kein Regisseur und kein noch so mächtiger Herrscher haben jemals eine so absolute Macht ausgeübt, eine Bühne oder ein Schlachtfeld zu arrangieren und dann so unerschütterlich gehorsame Schauspieler bzw. Truppen zu befehligen.“

Architekten der digitalen Welt

Programmierer sind die Architekten der digitalen Welt: Sie konstruieren gigantische Gebäude, erschaffen Spielewelten, errichten Monumente – und zäunen den Bereich ein, in dem sich das digitale Subjekt bewegen kann. Facebook, eine transnationale Arena, halb Forum, halb Shoppingmall, besteht aus 62 Millionen Programmierzeilen. Der gesamte Google-Quellcode umfasst sogar zwei Milliarden Zeilen. Der Code ist der Baustoff des Digitalzeitalters.

Google ist mittlerweile so etwas wie ein Versammlungsort, die zentrale Anlaufstelle im globalen elektronischen Dorf, eine Struktur, die wie eine Mischung aus Auskunftei und werbefinanzierter Bibliothek anmutet. Vielleicht werden in ein paar Hundert Jahren, wenn es die Suchmaschine bis dahin noch gibt, digitale Archäologen, die den Code in irgendwelchen Archiven freilegen, über dieses Bauwerk staunen.

Das Problem ist nur: Niemand kontrolliert die Statik dieser Konstrukte. Und es gibt auch keine Instanz, die den Programmierern auf die Finger schaut, geschweige denn die Produkte oder Dienste kontrolliert. Im physischen Raum gibt es Bauaufsichtsbehörden, die darüber wachen, ob ein Gebäude entsprechend der Bauvorschriften errichtet wird. Niemand darf ein zu hohes Gebäude bauen oder eines, das die Bewohner gefährden könnte. Anders im virtuellen Raum: Dort darf im Grunde jeder bauen, was er möchte. Lügengebäude. Turmbauten zu Babel. Oder Fahrzeuge, die der systemischen Umwelt vorgaukeln: Wir halten uns an die Emissionswerte!

Es ist etwas aus den Fugen geraten: Die Ohnmacht der Rechtsaufsicht ist die totale Macht der Programmierer. Softwareentwickler schreiben ja nicht nur den Code für Anwendungen, sondern sie schreiben auch die Verfahrensregeln der digitalen Gesellschaft. „Code is law“, der Code ist das Gesetz, schrieb der amerikanische Verfassungsrechtler Lawrence Lessig in seinem Buch „Code and Other Laws of Cyberspace“ (1999).

Herrschaft der Programmierer

Doch im Gegensatz zu einer Demokratie, in der Gesetze von einem Parlament verabschiedet werden, können Programmierer ihre eigenen Gesetze formulieren. Mit mathematischen Formeln bestimmt eine kleine Clique autoritativ, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit liegen, was den Tatbestand der Hassrede erfüllt und welche Wörter auf den Index gehoben werden – ohne dazu legitimiert zu sein. Die Herrschaft der Programmierer ist nicht an den Souverän rückgekoppelt. Es gibt keine Wahlen, keine institutionalisierten Klagewege, keine Möglichkeit der Abberufung. Der Wortgewalt der Programmiersprache steht der Bürger macht- und sprachlos gegenüber, was umso schwerer wiegt, weil über den Programmcode ein deterministischer, utilitaristischer Bausatz in den Gesellschaftskörper eingeschleust wird. Welche Nachrichten wir sehen, welchen Partner wir treffen – alles wird einer Nutzenfunktion untergeordnet.

Das demokratietheoretische Problem besteht vor allem darin, dass der Code intransparent ist und sich dem Zugriff der bürgerlichen Öffentlichkeit entzieht. Wie der geheime Google- oder Facebook-Code operiert, wissen allenfalls die eingeweihten Programmierer (die vermutlich selbst nur Bruchteile kennen). Eine gigantische Blackbox.

In seinem visionären Buch „City of Bits: Space, Place, And the Infobahn“ (1996) bezeichnete der Architekt William John Mitchell den Computercode als ein elitäres Medium, worüber Interessen installiert würden: ein „Arkantext in hochformalisierter Sprache, der typischerweise nur ein paar privilegierten Hohepriestern zugänglich ist“.

Es scheint dabei eine strukturelle Analogie zwischen der Bauart von Algorithmen und jener von autoritären Systemen zu geben: Der Code exekutiert Befehle, er operiert in einem System von Nullen und Einsen, in dem es keine Toleranzbereiche gibt, und er immunisiert sich und seine Entwickler gegen externe Kritik. Wahr ist, was eine wahre mathematische Aussage ist. Man könnte daher die These aufstellen, dass die binäre Grundstruktur der Digitaltechnik die Architektur von Autokratien tendenziell stabilisiert, was in bemerkenswertem Widerspruch zur Systemtheorie stünde, die ja davon ausgeht, dass sich autoritäre Systeme nicht an ihre systemische Umwelt anpassen können und irgendwann kollabieren.

Die Macht einhegen

Vor dem Hintergrund, dass der Code immer mehr gesellschaftliche Subsysteme strukturiert, brauchte es ein System von Checks and Balances, das die Macht der Programmierer einhegt. Ein Set an Institutionen, das die Algorithmen auf den Prüfstand hebt und zur Not kassiert. An der Integrität des Codes hängt schließlich die Integrität ganzer Systeme: vom Auto über kritische Infrastrukturen über die digitale Öffentlichkeit bis hin zu Demokratien, deren Wahlsysteme bereits zum Ziel von Hackerangriffen wurden. Robuste und vor allem transparente Codes sind also im Interesse der Allgemeinheit.

Es ist nicht zuletzt auch ein aufklärerisches Gebot, die Zahlenreihen unter die Lupe zu nehmen. Die Idee eines Algorithmen-TÜVs, einer staatlichen Stelle, die automatisierte Systeme überprüft und zertifiziert, geht in die richtige Richtung, lässt sich aber in der Praxis nur schwer umsetzen. Tech-Konzerne sehen ihre Codes als Betriebsgeheimnisse geschützt und lassen sich nur ungern in die Karten schauen. Doch die Souveränität einer Gesellschaft steht und fällt mit der Frage, ob sie ihre eigenen Normen formulieren, kontrollieren und gegebenenfalls revidieren kann.

Am Ende wird es um die Frage gehen, welcher Code im Zweifelsfall gilt: der Programmcode? Oder der Code des Rechtsstaats?

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der Autor

Adrian Lobe (*1988). Studium der Politik- und Rechtswissenschaften in Tübingen, Heidelberg und Paris. Politikwissenschaftler und freier Journalist. 2017 wurde er mit dem Journalistenpreis der Stiftung Datenschutz ausgezeichnet. Vor Kurzem erschien sein Buch „Speichern und Strafen. Die Gesellschaft im Datengefängnis“ (C.H. Beck).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.