Gastkommentar

Transzendieren Sie noch, oder dilettieren Sie schon?

(c) Peter Kufner
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Würden Fachexperten ihre Gedanken klar und schlüssig artikulieren, könnten wir es den Fake-News-Verneblern etwas schwerer machen.

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„Das große Ganze sehen“, „über den Tellerrand blicken“, „nicht in der eigenen Blase verharren“, „vernetzt denken“, „out of the box thinking“ – bekäme ich für jedes im Laufe eines Jahrs gehaltene Motivationsseminar für Führungskräfte, bei dem eine dieser Tugenden genannt wird, einen Euro, ich könnte mich gelassen zur Ruhe setzen.

Auch moderne Curricula der Universitäten und Fachhochschulen bieten vielgestaltige Lehrveranstaltungen an, um Interdisziplinarität gezielt zu fördern. Denn es steht fest: Komplexen Gemengelagen, zu denen unterschiedlichste Faktoren beitragen, ist mit dem Werkzeugkasten einer einzelnen Spezialdisziplin nicht beizukommen. Das gilt für politische und gesellschaftliche Spannungsfelder und umfassende Leitbilder ebenso wie für strategische oder politische Entscheidungen, wie sie von den Spitzen großer Unternehmen und Institutionen zu treffen sind.

Ebenso fest steht: Mit dem ersten Schritt hinaus aus dem Hafen der eigenen Stammexpertise beginnt eine Reise in heikles Terrain. Eine Flanke, die sich in diesem Moment öffnet, beschreiben Reaktionen wie: „Wer sagt das?“: Ein Mann? Eine Fachfremde? Ein Kaufmann oder einer „aus dem geschützten Bereich?“ Ein Christ? Ein Wiener . . .?

Look Who's Talking!

Klar – es ist eine wichtige Zusatzinformation, vor welchem Hintergrund eine Meinung geäußert oder ein Sachverhalt interpretiert wird. Sie wird jedoch allzu oft zur ausschlaggebenden Information. „Jessas, eh klar, ein . . .“ legt sich als prägendes, vernebelndes Paradigma („Look who's talking!“) über die Wahrnehmung des Gesagten. Ist ja auch unglaublich, da formuliert jemand, mit anderem Hintergrund, fachspezifische Gedanken – vielleicht noch dazu schlüssig und in klarer Sprache (also unter Verzicht von „Fachchinesisch“) – na, mehr braucht er/sie oft nicht.

Ein veritabler „Shitstorm“ ist programmiert, so richtig die Argumente auch sein mögen. Als stünde es nur den „Eingeweihten“, mit Fachexpertise „Gesalbten“ zu, klare Kernbotschaften aus einer komplexen Matrix zu destillieren. Was diesen überdies allzu selten gelingt.

Das Zusammendenken mehrerer Stränge ist jedoch nicht nur für inhaltliche Analysen, sondern für zahlreiche Berufsbilder geradezu Grundqualifikation. Erstreckt sich ein Verantwortungsbereich über eine Einzeldisziplin hinweg, gilt es, sich breit aufzustellen. Das trifft für manche Journalistinnen und Journalisten ebenso zu wie für Manager und Managerinnen oder etwa ausgesuchte Spitzendiplomaten. Eine ideale Botschafterin etwa, die an einem Tag den Besuch des Verteidigungsministers vorbereitet, tags darauf Mitglied einer Verhandlungsdelegation zu einem Wissenschaftsthema ist, abends die Wirtschaftskammer bei einem heiklen Termin zum Bankgeheimnis unterstützt und zudem einen Galeristen mit ihren Kontakten für einen Kulturevent berät. Nützlich, wenn diese kluge Diplomatin dabei stets auf Erfahrungen aus ähnlich gelagerten Prozessen (unter Umständen aus völlig anderen Fachbereichen) zurückgreifen kann. Erfreulich für die von ihr Unterstützten, wenn sie Analogien herstellt, Querverbindungen schafft und mit einem „Blick von außen“ neue, frische Zugänge ermöglicht.

Den sicheren Hafen . . .

Interdisziplinär agieren – das kann dünnes Eis sein, aber vor allem: Es erfordert eine ganz eigene Qualifikation. Teil dieser Qualifikation – und ich würde fast sagen, es ist das, was neben der Fähigkeit, vernetzt zu denken, gutes Transzendieren wirklich ausmacht: Grenzen zu kennen. Zu wissen, bis zu welcher Detailtiefe man den Diskurs noch führen und begleiten kann und wann andererseits der Zeitpunkt gekommen ist, sich auszuklinken und das Feld den „Auskennern“ zu überlassen (und das auch zu sagen oder sich zumindest nur mehr „rezeptiv“ zu verhalten). Dies zu beurteilen bedarf großer Kompetenz – man könnte auch „G'spür“ dazu sagen.

Hilfreich dabei ist jedenfalls, diese Beurteilung aus dem sicheren Hafen eigener Kompetenz vornehmen zu können. „Allround“ ist okay, aber ohne in einer Disziplin wirklich firm zu sein, wird es schwierig, die feine Linie zwischen Interdisziplinarität und Dilettantismus zu erkennen. Auch um den Wert externer Ratschläge einzuschätzen, bedarf es der richtigen Mischung aus „G'spür“ und Kompetenz. So bezeichnete Gerd Bacher einst (berichtet der Doyen des deutschen Journalismus, Gunter Hofmann, in der „Zeit“) den damaligen deutschen Bundeskanzler, Helmut Schmidt, ob dessen Liebe zum Detailwissen etwas schnippisch als „Spezialist im Kanzleramt“ und stellte ihm den Typus des „Generalisten“ gegenüber, der eben das Talent habe, sich für komplexe Gemengelagen die richtigen Berater zu holen. Schmidt selbst jedoch meinte, ohne die genaue Kenntnis einer komplizierten Sache könne man nicht entscheiden. „Das wäre verantwortungslos. Als ,Generalist‘ mag einer über vieles reden. Wenn er aber die Probleme nicht wirklich durcharbeitet, ist er weder entscheidungsfähig, noch kann er den Überblick erwerben.“ Die Quadratur des Kreises, die „breit Aufgestellte“ zu leisten haben, ist: Obwohl sie zwangsläufig bei der Behandlung von Fachthemen nicht in die Tiefe und ins Detail gehen können, dürfen sie trotzdem in ihren Schlüssen und Interpretationen nicht oberflächlich werden.

. . . des Zitierens verlassen

Kluge Transzendierende und ebenso kluge, abstraktionsfähige Spezialisten sollten im Idealfall zu den gleichen Schlüssen gelangen können. Das in derartigen Dialogen entstehende Klima des Ringens um Wahrhaftigkeit und das gegenseitige, spürbare Aufeinander-Zugehen lassen dann auch keinen Platz für allerlei Schwurbler, Wahrheitsvernebler und Verschwörungstheoretiker.

Die Kernforderung an die Spezialisten lautet: Mut zum Einfachen. Auch dies ist eine Art von Transzendenz: Das Terrain des Fachjargons, der sichere Hafen des Zitierens und Verweisens, wird ja auch hier ein Stück weit verlassen. Der Wissenschaftsjournalist Hubert Beyrle stellt fest: „Vereinfachung ist offenbar eine kreative Leistung, deren Technik nicht vollständig gelernt werden kann. [. . .] Voraussetzung dafür ist, dass das Problem vorher verstanden worden ist. Und umgekehrt: Dass jemand ein Problem gut vereinfachen kann, ist der Beleg dafür, dass er es verstanden hat.“ Detailverliebtheit andererseits schafft jedenfalls Isolation und kann zweifellos auch zur Folge haben, sich Scheuklappen aufzusetzen und den Blick fürs große Ganze zu verlieren. Als Hohe Schule würde ich bezeichnen, wenn es gelingt, vor dem Hintergrund des Fachwissens den Wesenskern einer Problematik in einfacher Sprache darzulegen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Thomas Jakl (* 1965) ist Biologe und Erdwissenschaftler. Er arbeitete bis 1991 an der Uni Wien, wechselte dann ins Umweltministerium.
Inzwischen ist er in leitenden Funktionen im Bereich des Umweltschutzes in verschiedenen nationalen und internationalen Institutionen tätig. Unter anderem ist er Mitglied des Vorstands des Forums Wissenschaft und Umwelt; er war Vorsitzender des Verwaltungsrats der EU-Chemikalienagentur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2019)

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