Gastkommentar

Wie man Spreu vom Weizen trennt

Der Literaturnobelpreis sollte nur an Autoren verliehen werden,die seit mindestens 20 Jahren tot sind.

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Peter Handke hat schon vor langer Zeit gefordert, den Literaturnobelpreis abzuschaffen: Daher bin ich überzeugt, dass er ihn bis zum 10. Dezember noch ablehnen wird. So weit würde ich nicht gehen, aber eine Reform ist unumgänglich.

Der Literaturnobelpreis sollte prinzipiell erst postum, also an Autoren verliehen werden, die seit mindestens 20 Jahren tot sind: Da erst trennt sich die Spreu vom Weizen, und man sieht, wer ohne Unterstützung des Betriebs zu Buchstabenstaub zerfällt und wer eine Nachwelt hat und dauerhaft – auch ohne Skandal und Eklat – gelesen wird. Anna Karenina! Die Odyssee! Don Quijote! Epochale, hervorragend lesbare Meisterwerke, wenn auch samt und sonders von Nichtnobelpreisträgern!
Peter Handke hatte, wenn auch immer schon sperrig, als literarischer Revolutionär begonnen – Princeton, Beschreibungsimpotenz, Publikumsbeschimpfung, Kaspar, Angst des Tormanns, Wunschloses Unglück, schnelle Berühmtheit, schneller Kultstatus. Comics, Popstar etc.

Dann vollzog er eine Wende ins Kryptische, wurde – nicht geistig, sondern: geistlich, allerdings nichtreligiös geistlich, und seine Literatur wurde immer öfter so beschrieben: Langsam, lahm, langweilig, verschroben, umständlich, kraftlos, saftlos, öd. Mein Jahr in der Niemandsbucht, Versuche über Jukebox und Müdigkeit, Kali. . . Das war lange vor „Serbien“, lange vor „Milošević“. Nach und nach verabschiedeten sich die Leser von der Lektüre: Nicht nur die Leselaufkundschaft, die Lesemitläufer, auch die sogenannten qualifizierten.

Thomas Bernhards Urteil

Man schlug sich im „Kampf“ der beiden gegenwartsliterarischen Heroen auf die andere Seite. Ohne seinen Namen zu nennen, qualifizierte Thomas Bernhard dessen Programm ab: „Da beschreibt einer jedes Blärmal (Blümchen) extra; bis der beim Gartentor hinaus ist, sind schon sechzig Seiten weg?“ Jeder wusste, wer gemeint war. Ihr gemeinsamer Verleger Unseld versuchte bei einem „Geheimgipfel“ in seinem Salzburger Landgasthaus Aussöhnung: Es ging nicht gut.

Das Verhasperltheater

Postum: Auf diese Weise ersparten sich künftige Literaturnobelpreisträger all die lästigen Interviews mit all diesen „illiteraten“ Journalistinnen & Journalisten und ihrer Fertigbauteilsprache aus ihrem Fertigbauteilweltbild. Die wiederum liefen nicht Gefahr, auf ihre 50-Euro-Fragen als 860.000-Euro-Antwort zu bekommen, sie „sollen jetzt sofort verschwinden, bitte.“ Das ist ja ein literarisches Merkmal des aktuellen Literaturnobelpreisträgers: das Verhasperltheater! Wie die Satzteile nicht zusammenpassen! Ein Kommando ist keine Bitte, eine Bitte kein Kommando! Man bittet jemanden zu gehen; man fordert jemanden auf, sofort zu verschwinden.

Vor allem hätten wir Nachwelt dank meiner kleinen Nachjustierung jetzt auf Jahrzehnte hinaus Gelegenheit, Schriftsteller zu küren, die sich den Literaturnobelpreis wirklich verdient hätten: Franz Kafka oder Leo Tolstoi (auch wenn der am Lebensende gaga geworden ist), Doderer oder Bernhard, Mark Twain oder Philip Roth, Astrid Lindgren oder Eugène Ionesco, Ödön von Horvath oder Friedrich Dürrenmatt, Tschechow oder Bulgakow, Fernando Pessoa oder Italo Svevo. Ibsen, Wedekind, Màrai, Musil, Polgar, und, und, und.

Und das Allerbeste: Man ersparte sich einen Haufen schwedische Kronen, umgerechnet Jahr für Jahr fast eine Million Euro, die man auf ganz tolle lebende Schriftstellerinnen und Schriftsteller aufteilen könnte, die sie wirklich brauchen.

Egyd Gstättner (* 1962) studierte Germanistik und Philosophie. Er ist Schriftsteller und Essayist. Zuletzt erschienen: „Mein Leben als Hofnarr“ (Picus Verlag).

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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