Wie pleite ist Ungarn wirklich?

pleite Ungarn wirklich
pleite Ungarn wirklich(c) EPA (ZSOLT SZIGETVARY)
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Die Andeutung ungarischer Politiker, das Land stehe vor dem Staatsbankrott, ließ Börsen, Euro und Forint abrutschen. Hauptaufgabe der neuen Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán ist es nun, dies abzuwenden.

Budapest (b.l./ag.).In der vergangenen Woche schreckten Aussagen ungarischer Regierungspolitiker die Märkte: Das Haushaltsdefizit, so sagte der stellvertretende Vorsitzende der regierenden Fidesz-Partei, Lajos Kósa, könnte mit bis zu 7,5 Prozent doppelt so hoch ausfallen wie bisher angenommen. Schlimmer noch: Hauptaufgabe der neuen Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán sei es nun, „den unmittelbaren Staatsbankrott abzuwenden“. Die Märkte reagierten weltweit nervös: Nicht nur der Forint gab nach, auch der Euro rutschte erstmals seit vier Jahren unter die Marke von 1,20 Dollar. Die internationalen Leitbörsen brachen stark ein, an der Wallstreet fiel etwa der Dow-Jones-Index auf 9931 Punkte, das ist das tiefste Niveau seit Februar.

Seither ist man um Beruhigung bemüht. „Behauptungen über einen Schuldenkollaps sind im ungarischen Fall übertrieben“, betonte EU-Währungskommissar Olli Rehn beim Treffen der 20 einflussreichsten Industrie- und Schwellenländer (G20) im südkoreanischen Busan am Wochenende. Auch Ungarns Regierung war um Beschwichtigung bemüht. „Das geplante Defizit in Höhe von 3,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kann gehalten werden“, erklärte Mihaly Varga, Staatssekretär im Ministerpräsidentenamt, am Wochenende.

Sparkurs brachte Regierung zu Fall

Orbáns Äußerungen seien nicht glücklich formuliert und übertrieben gewesen. Auch die US-Investmentbank Goldman Sachs stellte dem Land ein gutes Zeugnis aus: Ungarn habe noch längst nicht alle Mittel aus dem 20 Mrd. Euro schweren Hilfspaket aufgebraucht. Hintergrund der unheilvollen Aussagen sei der kürzlich erfolgte Regierungswechsel. Indem man die wirtschaftliche Lage des Landes möglichst düster darstelle, wolle man die Erwartungen bezüglich gegebener Wahlversprechen dämpfen.

Varga räumte freilich auch ein, dass die Regierung Schritte setzen müsse, um das Defizitziel zu erreichen. Welche, wollte der Politiker, der in der Regierung für Finanzplanung zuständig ist, vorerst nicht sagen. Eine von der neuen Regierung eingesetzte Kommission soll derzeit eine Bestandsaufnahme über eventuelle Altlasten durchführen, an der man der sozialistischen Vorgängerregierung unter Gordon Bajnaj die Schuld gibt. Steuereinnahmen seien über- und Ausgaben unterschätzt worden.

Im Herbst 2008 stand Ungarn tatsächlich am Rande des Staatsbankrotts und konnte nur durch ein Kreditpaket von Internationalem Währungsfonds (IWF), Weltbank und EU in Höhe von 20 Mrd. Euro gerettet werden. Ein rigider Sparkurs war die Folge: Im öffentlichen Dienst wurden Gehälter eingefroren, das 13. Monatsgehalt für Beamte und Pensionisten wurde gestrichen. Das Paket wirkte: Ungarn erfüllte die harten Auflagen und musste die letzten Kredit-Tranchen gar nicht mehr abrufen. Der Sparkurs hat jedoch die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellen, die Wirtschaft um 6,3 Prozent schrumpfen lassen und schließlich die Regierung zu Fall gebracht.

Nach dem Regierungswechsel im April kündigte der neue Premier Orbán an, mit dem IWF über verlängerte Rückzahlfristen und die Gewährung eines höheren Haushaltsdefizits verhandeln zu wollen. „Weder der IWF noch die EU sind unsere Bosse“, versprach der Fidesz-Chef den Wählern damals. Versprechen, die nicht so leicht zu halten sein dürften: Denn die Gläubiger verlangen von Ungarn nach wie vor einen harten Sparkurs.

Auch wenn die Aussage, dass das Land seine Kredite nicht mehr bedienen könne, „übertrieben“ war, eine unangenehme Folge hatte sie bereits: Dass der Forint gegenüber dem Euro und dem Schweizer Franken weiter abrutschte, bereitet Hunderttausenden ungarischen Hauseigentümern Kopfzerbrechen, die Fremdwährungskredite aufgenommen haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2010)

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