Gastkommentar

Reden wir über Medienpolitik!

(c) Peter Kufner
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Demokratie braucht guten Journalismus. Der ist noch immer ein gefährdetes Gut. Der Presseclub Concordia verteidigt ihn seit 160 Jahren.

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Eduard Strauss komponierte 1870 eine Polka. Er gab ihr den Titel „Stempelfrei“ und widmete sie der Journalisten- und Schriftstellervereinigung Concordia. Am Concordia Ball wurde das Stück erstaufgeführt, angekündigt mit einem kleinen Vers:

„Ach, fiele doch demnächstens schon – solch edle Composition – Dem Herrn Finanzminister ein.“

Denn der Finanzminister, so die Forderung der Journalisten, sollte endlich die Presse vom Zeitungsstempel befreien. Diese Steuer machte Zeitungen so teuer, dass kritische Information für das Publikum kaum leistbar war, Zeitungen mangels Käuferschaft wirtschaftlich unter Druck standen. So konnten sich Regierungen sicher wähnen, dass Redaktionen schlecht ausgestattet blieben und unabhängiger Journalismus nicht allzu viel Aufmerksamkeit bekam.

„Sieben Plagen der Presse“

In den ersten Jahrzehnten nach ihrer Gründung kämpfte die junge Journalistenvereinigung Concordia gegen die „Sieben Plagen der Presse“. Das waren medienpolitische Barrieren, die die Pressefreiheit in der Monarchie einschränkten. Neben dem Zeitungsstempel erhöhte eine eigene Inseratensteuer den ökonomischen Druck auf die Redaktionen. Und die ständige Gefahr, dass politisch nicht genehme Zeitungen von den Autoritäten konfisziert oder suspendiert werden können, schärfte die Schere in den Köpfen der Herausgeber und Redakteure, die sogar Arrest zu befürchten hatten.

Die damals beklagten sieben Plagen sind in Österreich längst überwunden. Unabhängiger Journalismus mag als Selbstverständlichkeit erscheinen, aber auch heute ist er gar nicht so leicht zu machen. Dabei ist Journalismus in der vernetzten Informationsgesellschaft nicht unwichtiger, sondern wichtiger geworden. Man stelle sich eine Welt vor, in der öffentliche und politische Debatten nicht mehr in klassischen Medien, sondern nur noch auf Twitter und Facebook stattfinden. Eine solche mediale Welt würde einem mittelalterlichen Markt- und Gerichtsplatz gleichen, inklusive Massenpsychosen, Schnellurteilen und brennenden Shitstorm-Scheiterhaufen. Man stelle sich eine Welt vor, in der die Informationen nicht mehr aus unabhängigen Redaktionen kommen, sondern von PR-Abteilungen, Getränkeherstellersendern und Influencern. Was für eine schöne neue Welt das wäre!

Wenn wir eine demokratische Gesellschaft wollen, in der politische Öffentlichkeit auf Basis von Fakten und überprüften Informationen möglich ist, dann brauchen wir unabhängige Medien. Es bedarf mehr denn je professioneller, reflektierender Journalistinnen und Journalisten, die den Informations- und Meinungsschrott aussortieren und das Wesentliche in den richtigen Bezug zur Wirklichkeit setzen, die konstruktive Impulse für einen breiten Diskurs geben und diesen auch moderieren. Kurz: Qualitätsvoller Journalismus war und ist eine tragende Säule der Demokratie.

Frei von Plagen ist der Journalismus auch heute nicht. Ihre Erscheinungsformen haben sich geändert, nicht ihre Konsequenzen:

• Die ökonomische Krise der Medienwirtschaft ist nicht mehr geprägt durch Zeitungsstempel und Inseratensteuer, sondern durch einen grundlegenden Strukturwandel: Medienprodukte als Bündel von Journalismus, Werbung, Kleinanzeigen werden im Digitalen aufgeschnürt und in ihre Einzelteile zerlegt. Der Werbemarkt wurde von Giganten wie Facebook und Google gekapert; Kleinanzeigen gibt es nicht mehr, diese Services bieten jetzt digitale Plattformen, nur wenige im Eigentum von Medienunternehmen. Und die Bereitschaft des Publikums, für professionellen Journalismus zu bezahlen, wurde nicht zuletzt von der Branche selbst untergraben.

Die vor allem im weltweiten Netz grassierende Gratis-Epidemie macht es schwer, die Menschen davon zu überzeugen, dass die Aufbringung guter Informationen Geld kostet und sie daher nicht verschenkt werden kann. Manchen mag es mangels breitenwirksamer Vermittlung von Medien- und Digitalkompetenz schwer fallen, zwischen interessengeleitetem, gratis verfügbarem Informationsüberfluss einerseits und aufwendig recherchiertem Journalismus andererseits zu unterscheiden.

• Oder der Umstand, dass Politik und Wirtschaft ihre Mitarbeiterstäbe und Ressourcen für Medienarbeit und PR sukzessive aufgebläht haben, während die Redaktionen der Medien tendenziell ausgedünnt wurden. Jeder Minister, jeder Spitzenpolitiker, jeder Wirtschaftsboss hat nicht mehr bloß einen Pressesprecher, sondern ein ganzes Team an Medienmenschen und Spindoktoren. Er beschäftigt dazu noch externe Agenturen für Beratung, Krisen- und sonstige PR.

Es herrscht also, wenn dieser martialische Ausdruck gestattet ist, keine Waffengleichheit mehr zwischen denen, die die Öffentlichkeit mit ihrem Weltbild und ihrer Propaganda beeinflussen wollen – und jenen, zu deren Aufgabe es gehört, dieses Weltbild zu hinterfragen und die Propaganda enttarnen.

• Oder der Anachronismus, dass es immer noch kein Informationsfreiheitsgesetz gibt, obwohl ein solches schon von etlichen Regierungen versprochen wurde.

„ . . . nur in Österreich möglich“

Das Amtsgeheimnis, diese Verschwiegenheitspflicht im Verfassungsrang, ist ein historisches Relikt, für das wohl heute noch gelten kann, was Friedrich Austerlitz als Chefredakteur der „Arbeiter-Zeitung“ über den Zeitungsstempel geschrieben hat: „In anderen Ländern mag es Konflikte geben zwischen Parlament und Regierung über das Ausmaß der politischen Freiheiten, dass aber alle, Regierung und Parlament, Volk und Minister, darüber einig sind, dass [dies] ein Unsinn ist und abgeschafft werden muss, und dass sie trotzdem nicht abgeschafft wird, das dürfte nur in Österreich möglich sein.“

• Oder eine Werbewirtschaft, die mitunter glaubt, sich mit Anzeigen und Inseraten gute Berichterstattung erkaufen zu können. Mitunter gelingt ihr das sogar: Wer in gewissen Medien inseriert, wird hoch geschrieben. Wer es nicht tut, dem passiert das Gegenteil. Das führt zur Verlotterung der Sitten und setzt jene Medien unter Druck, die sich auf dieses unmoralische Geschäft nicht einlassen. Denn warum soll jemand in einem Qualitätsblatt inserieren, wenn er ums gleiche Geld in einem käuflichen Blatt nicht nur ein Inserat kriegt, sondern auch noch ein affirmatives Interview?

Wenn das dann auch noch Werbeschaltungen von Regierung oder Verwaltung sind, wird mit öffentlichem Geld eine Art von Journalismus alimentiert, der demokratiepolitisch nicht wünschenswert ist. Die Vergabe öffentlicher Inserate gehört daher zumindest an qualitative Kriterien und das Bekenntnis zu ethischen und professionellen Standards gebunden.

• Oder Politiker, die sich eine „Orbánisierung der Medien“ wünschen. Medien-Orbánisierung, wir brauchen nur ins Nachbarland schauen, wo eine systematische Untergrabung der Glaubwürdigkeit von Medien und eine gezielte Diffamierung und Einschüchterung von Journalisten stattfindet. Wenn Medien die Glaubwürdigkeit verlieren, verlieren sie die Unterstützung des Publikums, können leichter unter Kuratel gestellt werden.

Wir brauchen uns nichts vormachen: Schritte in Richtung Orbánisierung werden auch in Österreich gesetzt, etwa wenn Journalisten von Informationen ausgeschlossen werden, wenn Politiker auf Fragen nicht antworten, wenn in Redaktionen interveniert wird – wenn Journalisten offen gedroht wird, dass ihre Fragen „nicht ohne Folgen bleiben“. Und da reden wir nur von jenen Fällen, die sichtbar sind. Die Struktur dahinter: strategische Einschüchterungsversuche gegen Journalisten. Auch heute sollen sie die Kopfscheren zur Selbstzensur wieder schleifen.

• Oder der Umstand, dass hierzulande Medienpolitik nur allzu gern verwechselt wird mit Macht- und Personalpolitik. Aufgabe einer verantwortungsbewussten Medienpolitik wäre es, Rahmenbedingungen für einen fruchtbaren demokratischen Diskurs zu schaffen.

Medienpolitik heute ist im schlechteren Fall der Versuch, diesen Diskurs durch Einmischungen und Interventionen politisch zu instrumentalisieren. Im Idealfall aber würde Medienpolitik nicht als Nische oder Instrument zur Beeinflussung der Öffentlichkeit gesehen, sondern als ein Politikfeld, das wesentliche wirtschaftliche und demokratiepolitische Zukunftsfragen behandelt.

• Fehlt noch der Appell an die Gesellschaft, an uns alle: Es wäre wünschenswert, wenn wir uns als gut informierte Bürger für Medienpolitik als zentrales Politikfeld interessieren und uns für unabhängigen Journalismus engagieren.

Wenn also professioneller Journalismus wichtiger ist denn je; wenn seine Finanzierung und seine Realisierbarkeit wieder so schwierig ist wie vor 160 Jahren – dann ist auch eine Standesvertretung wie die Concordia heute unverzichtbarer denn je. Wie schon bei ihrer Gründung vor 160 Jahren ist sie Serviceeinrichtung für Journalisten und Ort des Austauschs, aber vor allen anderen ist ihr Daseinszweck, als medienpolitischer Akteur ins Tagesgeschehen einzugreifen.

Nachdrückliche Forderungen

Wir schalten uns in die medienpolitische Debatte ein, wir achten darauf, dass das freie Wort frei bleibt. Und zwar durch konkrete Aktionen: mit öffentlichen Stellungnahmen, direkter Kontaktaufnahme mit der Politik, durch Teilnahme am Gesetzgebungsprozess.

Wir werden den Koalitionsverhandlern beziehungsweise der nächsten Bundesregierung mit Nachdruck unsere Forderungen übermitteln, von der Schaffung eines modernen Informationsfreiheitsgesetzes bis zur Bereitstellung zeitgemäßer Rahmenbedingungen für alle medialen Player. Und warum nicht ein Gesetz schaffen, das sicherstellt, dass öffentliche Inserate und eine transparente, qualitätsorientierte Medienförderung nur an Medien gehen, die sich der Kontrolle des Presserats oder einer anderen Einrichtung der Selbstkontrolle unterwerfen?

Sieben Petitionen gegen den Zeitungsstempel richtete die Concordia seit ihrem Gründungsjahr 1859 an den Reichsrat, 40 Jahre dauerte es, bis er 1899 endlich abgeschafft wurde. Wir haben viele Siege errungen, neue Fronten haben sich eröffnet, der Kampf bleibt der gleiche: Es ist einer für unabhängigen Journalismus als wesentlichen Teil unserer Demokratie.

Es gibt viel zu tun. Es muss ja nicht immer so lang dauern.


Am 7. November feiert der Presseclub Concordia sein 160-jähriges Bestehen mit einem feierlichen Festakt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird die Festrede halten.

Die Autorin

Dr. Daniela Kraus, (*1972), Historikerin und Medienbeobachterin, ist seit Jänner 2019 Generalsekretärin des 1859 gegründeten Presseclub Concordia. Sie war davor Geschäftsführerin des gemeinnützigen Vereins zur Aus- und Weiterbildung von Journalisten namens Fjum?Forum für Journalismus und Medien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2019)

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