Gastkommentar

Das Westbalkan-Veto Macrons unterlaufen!

(C) Peter Kufner
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Dass die EU mit Nordmazedonien und Albanien nicht über einen Beitritt verhandelt, ist ein schwerer Fehler mit unabschätzbaren Folgen.

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Der verärgerten Feststellung des EU-Kommissionspräsidenten, Jean-Claude Juncker, die Verhinderung der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien durch Emmanuel Macron sei ein „schwerer historischer Fehler“, ist aus vollster Überzeugung zuzustimmen.

Vor allem Nordmazedonien hat durch die Beendigung des viele Jahre laufenden Namensstreits mit Griechenland und unter Überwindung heftigster innenpolitischer Widerstände die entscheidende Vorbedingung für die Aufnahme von Verhandlungen erfüllt. Albanien hat sich vor allem in der Justizreform besonders angestrengt, innenpolitisch allerdings einige Rückschritte zu verzeichnen. Nun ginge es bloß um die Aufnahme von Verhandlungen, die ohnehin noch Jahre dauern werden, und noch lang nicht um einen EU-Beitritt. Die Enttäuschung auf dem Westbalkan ist groß und erschüttert das Vertrauen in die EU zutiefst. Die Auswirkungen, die alle nicht im Interesse eines gemeinsamen Europas sein können, sind noch gar nicht abzuschätzen. Zunächst einmal wird es in Nordmazedonien wegen dieser negativen Entscheidung zu Neuwahlen kommen, deren Ausgang ungewiss ist und zu einer Destabilisierung führen kann. Die Abwendung der Westbalkan-Länder von der EU hin zu China, Russland und der Türkei steht realistisch im Raum. Außerdem wird die Migration vor allem junger Menschen aus dem Westbalkan in die EU mangels Zukunftsperspektive rapide zunehmen.

EU hält ihre Zusagen nicht ein

Die Reformmotivation in den anderen Westbalkan-Ländern wird nun gegen null tendieren unter dem Motto: „Wir können uns anstrengen, wie wir wollen, die EU hält ihre Zusagen sowieso nicht ein.“ Mit seiner völlig unverständlichen und auch gar nicht argumentierten Verhinderung der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen hat Macron genau das zementiert, was er immer anprangert: die mangelnde Handlungsfähigkeit der EU. Wenn es um innenpolitische Interessen geht, handelt auch er diametral gegen jenes Ziel, das gerade er im Brustton der Überzeugung postuliert hat: die Stärkung und Einigkeit der EU.

Blockade für den Westbalkan

Seine Forderung, zuerst müsse der EU-Vertrag reformiert werden, bedeutet für den Westbalkan eine viele Jahre dauernde Blockade und Stagnation ihrer Annäherung an die EU. Eine Einigung auf einen neuen Vertrag ist nämlich unter den immer weiter auseinanderdriftenden Interessen der EU-Mitgliedstaaten in absehbarer Zeit völlig außerhalb jeder Realität.

In Bosnien-Herzegowina gibt es nach den Wahlen im Oktober 2018 nun seit über einem Jahr noch immer keine Regierung, weder auf der gesamtstaatlichen, noch auf der Föderationsebene. Unter großem Engagement der Europäischen Kommission hat es vor wenigen Monaten eine Einigung der drei wichtigsten Parteien über ein Koalitionsabkommen gegeben. Dabei war es sogar gelungen, eine gemeinsame Formulierung mit den bosnischen Serben über eine mittelfristige Annäherung an die Nato zu finden. Wie es scheint, ist es vor allem über massiven Druck der USA nicht zur Beschlussfassung im Staatspräsidium gekommen, was die Voraussetzung für die Bildung eines gesamtstaatlichen Ministerrats gewesen wäre. Die USA drängen auf ein klares Bekenntnis zu einem Nato-Beitritt Bosnien-Herzegowinas, was für die Serben – aus historischen Gründen bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar – zumindest derzeit ein No-Go ist.

Unerträglicher Zustand

Jedenfalls: Die Bemühungen der EU sind wieder einmal von außereuropäischen Kräften und Interessen unterlaufen worden.

Dieser unerträgliche Zustand auf gesamtstaatlicher Ebene in Bosnien-Herzegowina bringt es mit sich, dass es auch auf der Ebene der Föderation keine demokratisch legitimierte Regierung gibt und dass das über zehn Jahre ungelöste Problem der Stadt Mostar weiterhin ungelöst bleibt. In dieser Stadt gab es seit 2008 keine Wahlen, es regiert dort ein kroatischer Bürgermeister mit einem bosniakischen Finanzreferenten ohne jegliche demokratische Kontrolle, da es keinen Gemeinderat gibt. Da Mostar eine „geteilte Stadt“ ist, bestehen die meisten kommunalen Einrichtungen doppelt und werden doppelt – kroatisch und bosniakisch – kontrolliert und alle Posten doppelt besetzt. Ein inakzeptabler Zustand, mit dem es sich offensichtlich – trotz aller Gegensätze – ganz gut lebt.

Die Krise zwischen Serbien und dem Kosovo bedürfte gerade nach den jüngsten Wahlen im Kosovo einer neuen Motivation und eines verstärkten Engagements der EU. Ohne eine einigermaßen erträgliche Lösung zwischen beiden Ländern wird es keinen Beitritt Serbiens geben.

Wie hält es der Neue?

Es wird spannend, wie sich der künftige EU-Außenbeauftragte, der Spanier Josep Borell, also aus einem Land kommend, das sich bisher konsequent weigerte, den Kosovo anzuerkennen, in dieser kritischen Frage verhalten wird. Außerdem wird sich zeigen, ob es der neue Erweiterungskommissar, der ungarische Diplomat Oliver Varhelyi, der vom Europäischen Parlament erst bestätigt werden muss, schaffen wird, sich von den vordergründigen (medien-)politischen Interessen des ungarischen Ministerpräsidenten auf dem Westbalkan zu emanzipieren.

Die Beitrittsverhandlungen mit Serbien und Montenegro gehen ohnehin schleppend voran, nur wenige, eher unbedeutende Kapitel sind abgeschlossen. Die Motivation, sich mehr anzustrengen, wird durch die jüngste negative Entscheidung auch bei diesen beiden Beitrittskandidaten nicht gerade steigen.

Ein Weg der Zuversicht

Ein Weg, die erschütterte Berechenbarkeit und Verlässlichkeit der EU wiederherzustellen, könnten informelle Gespräche und (Vor-)Verhandlungen der Europäischen Kommission mit Nordmazedonien und Albanien nach dem Format der Beitrittsverhandlungen sein, ohne dass abschließende Entscheidungen gefällt würden. Die harten und arbeitsintensiven Verhandlungen könnten aber vorweg geführt werden, um dann, wenn endlich grünes Licht für den Start der offiziellen Beitrittsverhandlungen gegeben wird, aufgrund dieser Vorarbeiten rascher zu einem formellen Ergebnis zu kommen. Außerdem könnten mit verstärktem Engagement der EU die Vorbereitungen für die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums der sechs Westbalkan-Länder – wie von Kommissar Hahn beim EU-Westbalkan-Gipfel in Triest im Juli 2017 angeregt – intensiviert werden. Damit würde für diese sechs Länder später der Eintritt in den gemeinsamen europäischen Markt wesentlich erleichtert.

Es gäbe also – trotz des verheerenden Effekts des französischen Vetos – doch einige Möglichkeiten, wieder mehr Zuversicht auf dem Westbalkan einkehren zu lassen.

DER AUTOR

Univ.-Prof. Dr. Franz Schausberger (* 1950 in Steyr) studierte Philosophie, Pädagogik und Geschichte. Dr. phil. Univ. Prof. für Neuere Geschichte, ehemaliger Landeshauptmann von Salzburg. Vorsitzender der Arbeitsgruppe Westbalkan des Europäischen Ausschusses der Regionen, Sonderberater der Europäischen Kommission für die Erweiterungsländer, Vorsitzender des Instituts der Regionen Europas (IRE).

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2019)

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